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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Brachvogel, Carry: Der Prinzgemahl
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Der Prinzgemahl
Von Carry Brachvogel

sein Dasein nicht das beneidens-
werteste von der ganzen Welt?
Gleicht sein Schicksal nicht dem
eines wirklichen Märchenprinzen?
Er, der nachgeborene Sohn eines
Fürstenhauses, geht hin, freit um eine junge
Königin, erhält ein errötend geflüstertes Ja-
wort und schreitet, vom Jubel des Volkes
umtost, mit dem herrschenden Fräulein zum
Altar. Nach Recht und Gesetz ist er nun
ihr Mann, teilt mit ihr alle Sorgen und
alle Freuden ihres verantwortungsreichen
und reichen Lebens; sein ältester Sohn wird
ein Herrscher sein, seine andern Kinder freien
um Kronen und Krönchen, und er lebt in
Pracht und Herrlichkeit bis an sein seliges
Ende. Wahrhaftig, um seine Wiege müssen
zwölf gütige Feen gestanden haben, die wett-
eifernd glückspendende Wünsche über den
Säugling sprachen. Schade nur, daß genau
wie beim Dornröschen sich noch eine drei-
zehnte einfand, die mit ihrem hämischen
Zauberspruch die Glückslitanei der holderen
Schwestern trübte! Darum steht am Hoch-
zeitstag des Prinzen unter allen Glücks-
briefen ein kleines Wort, das einem blassen
Siegel der Resignation gleicht und wie ein
Gerichtssiegel kund tut, daß der Prinz sein
Selbst einer höheren Macht verpfändet hat,
daß trotz Pracht und Herrlichkeit nichts mehr
ihm zu eigen ist. Und wenn dies blasse
Siegel auch der Alltäglichkeit unsichtbar und
darum immer nur ein Symbol bleibt, so ist
für ihn, dem es gilt, doch die Enteignung
nicht minder schmerzlich. Denn von dem Tag
an, an dem das königliche Fräulein Reichs-
apfel und Zepter für eine Stunde beiseite
legt, um den Ehering anzustreifen, ist, kraft
des blassen Siegelwortes, der Prinz nicht
mehr der Prinz, sondern nur noch-der
Prinzgemahl.
Den Prinzgemahl historisch bis zu seinem
ersten Ahnherrn zurückzuverfolgen, ist nicht
so einfach, wie man vielleicht denkt- Die
nächsten Wege sind zwar zumeist von der
Neuzeit angelegt, verlieren sich aber oft im
Laufe früherer, stürmischer Jahrhunderte,
sind schließlich gar keine richtigen Wege mehr,
sondern nur noch winzige Enklaven, die da
und dort auftauchen; und wenn der Chronist
unverdrossen und mühselig von der einen
zur andern gehüpft ist, merkt er mit Staunen,
daß er sich im ältesten Staate der Welt be-
findet — im Bienenstaat. Hier hat es von
frühesten Zeiten her nicht nur einen, nein,
Scharen von Prinzgemählern gegeben, feine,
amüsante Herren, deren einziger Lebenszweck
die Erhaltung der Art war. Weil Liebe
aber immer ein vergänglich Ding ist, büßen
zur Herbstzeit die feinen Bienenkavaliere
mit dem Tod, daß sie einen Sommer lang

Königinnen umschwärmen und einen nur
durch die angenehmste Beschäftigung unter-
brochenen Müßiggang führen durften...
Wenn man das tragische Ende der könig-
lichen Bienenehe betrachtet, findet man es
begreiflich, daß der Prinzgemahl durch lange
Zeit nur im Bereich der Honigwabe, nicht
aber im menschlichen Gemeinwesen vorkam.
Das Beispiel der Drohnenschlacht war wirk-
lich kein gutes, und man kann es den
Männern, die ja von alters her die recht-
lichen wie die menschlichen Gesetze bestimm-
ten, nicht verargen, wenn sie schon aus Korps-
geist nichts davon wissen wollten, daß man
ihresgleichen totstach, sobald man ihres irdisch-
sten Teils nicht mehr bedurfte. Aber auch
ohne dies Bedenken des Korpsgeistes luden
die Zeiten noch lange nicht zur Nachahmung
der Bienenvölker ein. Die Menschheit schritt
noch unsicher, Schritt für Schritt den Weg
mit dem Fuß abtastend, durch Kriegsgebrüll,
Blut und Greuel, und der König mußte zu-
gleich der Heerführer sein, der stärkste an
Kraft, List und Gewalt. Die Umrisse der
Länder konnten nur flüchtig mit der Schwert-
spitze auf der Erde gezogen werden, denn
schon am nächsten Tag stampften neue Völ-
ker, neue Schlachten über die Spur hin, die
eine weise Hand geritzt hatte — wo wäre
da Raum und Ruhe gewesen für die zarte
Erscheinung einer herrschenden Frau, ge-
schweige denn gar für einen Prinzgemahl?!
Auch als die Welt dann bestimmtere Linien
der Gestalt, des Rechts und der Sitte an-
genommen hatte, blieb die herrschende Frau
nur eine flüchtige Erscheinung, denn der
Mann, der sie freite, dachte nie daran, sich
ihr unterzuordnen, wollte vielmehr mit ihr
Macht und Krone teilen; so daß die Byzan-
tinerin Zoe gestürzt wurde, weil eben keiner
ihrer vier Gatten Prinzgemahl, vielmehr
jeder Mitkaiser sein wollte. Wohl sagt in
der Grillparzerschen „Libussa" Primislaus:
„Der Fürst verklärt die Gattin, die er wählt.
Die Königin erniedrigt den als Mann,
Den wählend sie als Untertan erhöht" —
aber er antizipiert hier Gefühle, die zunächst
noch kein Mensch, am allerwenigsten der
Mann empfand, oder wenn er sie empfand,
dann hatte er ein Radikalmittel, um sie zum
Schweigen zu bringen. Er schlug nämlich
das Land der Erbtochter oder der Königin,
die er freite, zu dem seinen, verwaltete es,
als hätte es von jeher ihm gehört, und das
Goldfischlein, das ihm den Reichtum zu-
getragen hatte, war's ganz zufrieden, denn
alle rundum fanden, daß der Mann in sei-
nem besten Recht, im Recht des Stärkeren
sei. So erheirateten die französischen Könige
mit den Erbtöchtern von der Bretagne, von
 
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