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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

DOI issue:
Heft 3 (November 1913)
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Höcker, Paul Oskar: Saisonbeginn an deutschen Bühnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0531

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Das neue Königliche Schauspielhaus in Dresden. Erbaut von Lossow L Kühne (Phot. Brockmann Nachf.)

Saisonbeginn an deutschen Bühnen

„ Dresden
dsltestes bewahrt mit Treue — freundlich
aufgefaßtes Neue" und: „Schönheit ist
ewig nur rein — doch mannigfach wechselt das
Schöne" — In großen Goldbuchstaben zieren
die Aussprüche Alt - Goethes und Schillers die
Stirnseite des neuen Königlichen Schauspiel-
hauses, das am 13. September in einer Erst-
aufführung mit Webers Jubelouvertüre unter
Generalmusikdirektor von Schuchs Leitung,
mit szenischem Prolog von Herbert Eulen-
berg und der Wiedergabe von Kleists Frag-
ment „Robert Guiscard" und Otto Ludwigs
„Torgauer Heide" der Öffentlichkeit über-
geben wurde. Mit dem äußeren Bilde des
neuen Hauses und der wenig glücklichen
Wirkung inmitten des herrlichsten Teils
von Alt-Dresden wird man sich abfinden
müssen.
Der Neubau der Architekten Lossow und
Kühne steht angesichts der Hellen Formen-
sprache der gotischen Hofkirche, der anmut-
reichen, graziösen Rokokolinienführung des
Zwingers schwer und massig mit äußerlichen
Verlegenheitszugaben dürftig belebter Schau-
seite und monotoner Dachformen auf über-
hohem Bühnenhause da. Wahrlich keine er-
freuliche Lösung. Die Schönheit, die dem
Bau von außen fehlt, ist auf das Innere
konzentriert. Wenn hier auch nirgends eine
originelle neue Idee den Besucher überrascht,
so ist doch alles in lichten Farben freundlich
gehalten und atmet mit Geschmack an-
gewandten diskreten Reichtum. Das Haus,
das auf intime Wirkungen berechnet ist, faßt
nur 1300 Plätze. Viel gerühmt werden die
Bühneneinrichtungen des genialen Ober-
inspektors Linnebach, die mit ihren betriebs-
erleichternden Einrichtungen noch die mo-
dernsten Errungenschaften übertreffen sollen.

Die Resultate wird man hoffentlich mit Ge-
nugtuung genießen können.
Die Eröffnungsvorstellung vor dem glän-
zenden Publikum von Elbflorenz, dem Hofe
und zahlreichen auswärtigen Gästen, Dich-
tern, Künstlern, Kritikern war ein recht
ernster Beginn. Das Vorspiel von Herbert
Eulenberg suchte mehr geschwätzig als ge-
dankentief den ewigen Kampf der Alten und
der anstürmenden Jugend zu charakterisieren.
Die „Kritik" reibt sich die Hände, denn der
Kampf gibt ihr ja Anregung, Förderung,
Arbeit. Schließlich versöhnt die abgeklärte
Weisheit eines alten Dramaturgen den
stürmischen, von „seiner" Zeit ganz und gar
erfüllten Poeten mit dem Ältesten, das in
Treue gewahrt werden müsse. Ernste Musik
mit heroischer Note leitete zu dem Fragment
„Robert Guiscard" von Heinrich von Kleist
über. Der gewaltige Auftakt zu einer ge-
waltigen Dichtung löst auf der Bühne immer
wieder die größte Erschütterung aus. Man
ermißt im tiefsten Herzen erschauernd die
Fülle der Verzweiflung, die den Dichter zur
Vernichtung dieser Schöpfung trieb. Dunkle
Vorhänge, die wirklich einmal feierliche Er-
wartung suggerieren, rauschen auseinander.
Nächtliches Dunkel über dem Lager der
Normänner vor Konstantinopel. „Guiscard,
Guiscard" — von fern her tönt der Ruf,
schwillt an, wird stärker und wächst zum
Wehschrei eines tapferen Volkes, dem heim-
tückisch ein unerbittlicher Feind die beste
Kraft gelähmt: Pest im Lager. Die Mannen,
die Führer fallen und faulen auf dem Felde.
„Guiscard, Guiscard" — alle Hoffnung und
Zuversicht der Verzweifelten klammert sich
an den Namen des großen Führers. Aber
Guiscard folgt nicht dem Rufe seines Volkes,
schläft noch im Zelt, und die Sonne rötet
 
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