Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

DOI Heft:
Heft 3 (November 1913)
DOI Artikel:
Torge, Else: Der Kandidat: Skizze
DOI Artikel:
Weise, Katharina: Schiffer im Nebel
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0547

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Kandidat



453

didaten zu: „Männeken, wenn Se mal
hier 'ne fette Pfründe haben, dann komme
ick Ihnen mal besuchen, so als alter
Freund, — wat? Feste, Julius, vielleicht
gewinnste noch!" Und er nickt gönner-
haft und schiebt sich schlurrend hinaus.
Der Kandidat, den Hut in der Hand,
steht noch sehr blaß auf demselben Fleck.
Jetzt sieht er scheu um sich, entdeckt, über
die Orgelempore herabgeneigt, das aufs
äußerste gespannte Gesicht des Organisten
— gegenüber in der halboffenen Sakristei-
tür den verdutzt lauschenden Kirchendiener,
sagt hastig Adieu und geht stumm hinaus
ins Freie-
„Wirklich ein warmherziger junger
Mensch, dieser Kandidat!" sagt der Orga-
nist onkelhaft in die Kirche hinunter.
„Er red't gut!" gibt der Kirchendiener
verdrießlich nach oben zurück. „Aber passen
Se uff, der kömmt nich weit! Denken Se
an mich, was ich jesagt habe!" Damit
tut er einen kleinen Sprung und drückt mit
je einem Daumen die beiden Lichter auf
dem Altar aus. Früher hat er jedes sorg-
sam heruntergenommen, ausgepustet und
wieder hingestellt. Aber teils um die
Gleichförmigkeit des Amtes zu unterbrechen,
teils um rascher nach Haus zu kommen,
hat er sich im Lauf der Jahre so eine Reihe
praktischer und ermunternder kleiner Kunst-
griffe ausgedacht.
R R R
Der Kandidat aber wandert mit leeren
Augen durch das lärmende Getriebe der
Weltstadt, durch blendendes Licht, Men-
schen- und Wagengewühl. Und weiter
durch stillere, dunklere Straßen, immer mit
dem gleichen, ruhelos ausgreifendenSchritt,
als irre die einzige Seele dieser großen
Stadt heimatlos und verloren in ihr umher.

Den Hut hat er über die Stirn zurück-
geschoben und sucht den Himmel zwischen
den Dachrändern der Straße. Aber das
Licht der Läden blendet oder es ist doch
nur ein kleiner dunkler Ausschnitt zu sehen
mit bläßlichen Sternen.
So streicht er stundenlang her und hin,
kommt endlich erschöpft in irgendeins von
tausend gleichen, trüben Häusern, steigt
kahle Treppen empor und tritt in eins von
den tausend gleichen, freudlosen Zimmern,
darin er, wie unzählige andere hier, eine
heimatlose Heimat hat.
Er tappt in die dumpfig-warme Finster-
nis hinein. Die Türe drückt er fest hinter
sich zu, wirft Hut und Mantel auf das
schmale Bett, das gespensterhaft an der
Wand leuchtet, und steht einen Augenblick
still.
Plötzlich greift er sich mit beiden Händen
in den Kragen, als hätte er keinen Atem
mehr, reißt einen Fensterflügel auf, so daß
die kalte Luft vom engen Hofschacht her-
einströmt, zieht mit dem Fuß einen Stuhl
herbei, preßt die gekreuzten Arme auf die
Fensterbank und den jungenhaften Kopf
hinein —
Und sitzt so-lautlos-
Die Winterluft spielt wie eine unsicht-
bare Hand mit seinem blondsträhnigen
Haar.
Hoch über dem Hof steht ein Stückchen
dunkler gewordenen Himmels, an dem die
Sterne jetzt Heller, aber so fern leuchten,
als stiegen sie kaum merkbar auf in immer
höhere Sphären.
Es ist ganz still.
Aber eine Stille, um die wie mächtige
Mauern ein hörbares Brausen und Sum-
men und Wühlen steht, als sei das geheime
Räderwerk der Welt ringsum los-

x L Schiffer im Nebel Z ;
r x Spätherbstabend. Nebel ringsumher. Z A
§ x Weh, wer jetzt auf See ein Schiffer wär'! ? "
t 8 Um den Schiffsrumpf schließt sich festgebannt Z A
x § Eine feuchte, eisenschwarze Wand. A Z
x x Maste zittern, jede Planke dröhnt, " r
L L Wenn das Nebelhorn ins Weite stöhnt L L
L L Wie ein wildes Tier in Sterbensnot. § Z
x L Und auf jeder Welle schwimmt der Tod. r r
L L Plötzlich fieberschauernd steh' ich da: ; 2
L L Weh! ein solcher Schiffer bin ich ja! L r
x L Katharina Weise 8 L
 
Annotationen