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lein, doch noch eine beruhigende Schluß-
stimmung vermittelt und das Schnarchen
des Schnorrers erfolgreich übertönt.
Und so endet alles, wie es immer endet:
die Orgel schweigt. Die alten Weiblein
schälen sich langsam von ihren Plätzen los
und wandern mit scheuer Würde hinter der
Gemeindeschwester her zum Ausgang, nur
daß sie diesmal indignierte Seitenblicke auf
den unheiligen Schläfer fallen lassen und
absichtlich in einem rechten Bogen um diese
Bank herum gehen.
Noch ein dünnes Klimpern, das wie ein
spärlicher Regenguß in die gewichtige Mes-
singbüchse niederrieselt, und die Kirchentüre
schlägt zu.
Der Kirchendiener nimmt die Büchse
und trägt sie, noch voll Kränkung, in einer
seltenen Amtshandlung gestört worden zu
sein, ohne den Strolch eines Blickes zu
würdigen, in die matterleuchtete Sakristei.
Hier findet er den Kandidaten blaß und
zerstreut mitten im Raume stehen und mit
gedankenlosen Fingern an den Bändern des
Bäffchens tüselnd.
Der Kirchendiener, mit zur Schau ge-
tragener Verlegenheit, hilft ihm schweigend,
hängt den etwas schäbigen „Kandidaten-
talar" an den Riegel, überreicht dem
Kandidaten förmlich einen Schlüssel und
wartet.
Der Kandidat schließt die mächtige,
blankgeputzte Messingbüchse auf, und all
diese praktischen kleinen Dinge und die
steife Förmlichkeit des Kirchendieners pei-
nigen ihn unerträglich.
Stumpf sieht er zu, wie der Kirchendiener
die aufgeklappte Büchse mit einem Fach-
griff so auf der Tischplatte umstülpt, daß
die Geldstücke wie Fliegen auf dem grünen
Filz darunter gefangen sind und sie dann
mit ausladender Gebärde fortnimmt, neu-
gierig zählt und etwas geringschätzig ver-
kündet : „Drei Pfennige, ein Groschen, ein
Markstück! — Das Markstück ist von dem
alten Herrn!" fügt er sachkundig hinzu.
Der Kandidat sieht die Münzen einen
Augenblick schweigend an, nimmt den Feder-
halter, den der Kirchendiener zuvorkom-
mend reicht, sucht mit unsicherem Blick auf
den Seiten des Kollektenbuches, bis der
Kirchendiener mit seinem fetten Zeigefinger
diskret lächelnd die Stelle bezeichnet, und
trägt die Summe ein.
„In fünf Stücken — bitte dazu schrei-
ben!" flüstert der Kirchendiener.
„Warum?" fragt der Kandidat.
„Die Herren Prediger wissen gern, wie-
viel Personen bei jedem drin waren!" ant-
wortet der Kirchendiener. Und als der
Kandidat darauf trübe die übrigen Auf-
zeichnungen ansieht, lächelt er ein klein
wenig schadenfroh: „Nu ja, das war auch
erste Garnitur — der erste Herr Prediger
und Hauptgottesdienst und Gesang! Da
kommen dann die reichen Herrschaften aus
dem Westen —"
Der Kandidat nimmt den dünnen Ha-
velock um, greift verloren nach dem schwar-
zen Schlapphut von etwas hinterwäldischer
Form-
„Was soll nu mit-dem da?" fragt
der Kirchendiener, verdrießlich mit dem
Daumen zur Tür deutend.
Eine rasche Röte überflammt das blasse
Gesicht des Kandidaten. Er atmet stockend
auf, wendet sich kurz, tritt mit zusammen-
gepreßten Lippen in die noch erleuchtete
Kirche zurück, und ein neues, zähes Leuchten
glimmt in den grauen Augen auf, die mit
kurzsichtigem Blick den unbekümmert
Schnarchenden in dem braunen Gestühl
fixieren.
Sanft faßt er die Schulter des Schla-
fenden, ruft ihn an und rüttelt ihn schließ-
lich vorsichtig, bis dem nichts anderes übrig
bleibt, als zu erwachen. Doch spielt er
noch den Schlaftrunkenen in der zur zwei-
ten Natur gewordenen Gewohnheit, die
jeweilige Situation eher zu erkennen, als
sich selbst erkennen zu lassen.
Plötzlich besinnt er sich, grinst den Kan-
didaten vertraulich an und sagt: „Se
machen Ihre Sache schon janz nett, junger
Mann!"
Der Kandidat will etwas sagen, aber
es würgt ihm in der Kehle. So greift er
nur jäh in die Tasche und ohne hinzusehen
in sein Portemonnaie und drückt dem Penn-
bruder ein Geldstück in die schmutzige Hand.
„Die Kirche wird jetzt geschlossen. Sie
müssen gehn. Suchen Sie sich ein Nacht-
quartier," stottert er dabei hastig.
„Wat Se sagen!" staunt der Strolch
und besieht verdutzt das Zweimarkstück in
seiner Hand. Endlich grient er verständ-
nisinnig, steht auf, sucht die Nähe des Aus-
gangs zu gewinnen und zwinkert dem Kan-
lein, doch noch eine beruhigende Schluß-
stimmung vermittelt und das Schnarchen
des Schnorrers erfolgreich übertönt.
Und so endet alles, wie es immer endet:
die Orgel schweigt. Die alten Weiblein
schälen sich langsam von ihren Plätzen los
und wandern mit scheuer Würde hinter der
Gemeindeschwester her zum Ausgang, nur
daß sie diesmal indignierte Seitenblicke auf
den unheiligen Schläfer fallen lassen und
absichtlich in einem rechten Bogen um diese
Bank herum gehen.
Noch ein dünnes Klimpern, das wie ein
spärlicher Regenguß in die gewichtige Mes-
singbüchse niederrieselt, und die Kirchentüre
schlägt zu.
Der Kirchendiener nimmt die Büchse
und trägt sie, noch voll Kränkung, in einer
seltenen Amtshandlung gestört worden zu
sein, ohne den Strolch eines Blickes zu
würdigen, in die matterleuchtete Sakristei.
Hier findet er den Kandidaten blaß und
zerstreut mitten im Raume stehen und mit
gedankenlosen Fingern an den Bändern des
Bäffchens tüselnd.
Der Kirchendiener, mit zur Schau ge-
tragener Verlegenheit, hilft ihm schweigend,
hängt den etwas schäbigen „Kandidaten-
talar" an den Riegel, überreicht dem
Kandidaten förmlich einen Schlüssel und
wartet.
Der Kandidat schließt die mächtige,
blankgeputzte Messingbüchse auf, und all
diese praktischen kleinen Dinge und die
steife Förmlichkeit des Kirchendieners pei-
nigen ihn unerträglich.
Stumpf sieht er zu, wie der Kirchendiener
die aufgeklappte Büchse mit einem Fach-
griff so auf der Tischplatte umstülpt, daß
die Geldstücke wie Fliegen auf dem grünen
Filz darunter gefangen sind und sie dann
mit ausladender Gebärde fortnimmt, neu-
gierig zählt und etwas geringschätzig ver-
kündet : „Drei Pfennige, ein Groschen, ein
Markstück! — Das Markstück ist von dem
alten Herrn!" fügt er sachkundig hinzu.
Der Kandidat sieht die Münzen einen
Augenblick schweigend an, nimmt den Feder-
halter, den der Kirchendiener zuvorkom-
mend reicht, sucht mit unsicherem Blick auf
den Seiten des Kollektenbuches, bis der
Kirchendiener mit seinem fetten Zeigefinger
diskret lächelnd die Stelle bezeichnet, und
trägt die Summe ein.
„In fünf Stücken — bitte dazu schrei-
ben!" flüstert der Kirchendiener.
„Warum?" fragt der Kandidat.
„Die Herren Prediger wissen gern, wie-
viel Personen bei jedem drin waren!" ant-
wortet der Kirchendiener. Und als der
Kandidat darauf trübe die übrigen Auf-
zeichnungen ansieht, lächelt er ein klein
wenig schadenfroh: „Nu ja, das war auch
erste Garnitur — der erste Herr Prediger
und Hauptgottesdienst und Gesang! Da
kommen dann die reichen Herrschaften aus
dem Westen —"
Der Kandidat nimmt den dünnen Ha-
velock um, greift verloren nach dem schwar-
zen Schlapphut von etwas hinterwäldischer
Form-
„Was soll nu mit-dem da?" fragt
der Kirchendiener, verdrießlich mit dem
Daumen zur Tür deutend.
Eine rasche Röte überflammt das blasse
Gesicht des Kandidaten. Er atmet stockend
auf, wendet sich kurz, tritt mit zusammen-
gepreßten Lippen in die noch erleuchtete
Kirche zurück, und ein neues, zähes Leuchten
glimmt in den grauen Augen auf, die mit
kurzsichtigem Blick den unbekümmert
Schnarchenden in dem braunen Gestühl
fixieren.
Sanft faßt er die Schulter des Schla-
fenden, ruft ihn an und rüttelt ihn schließ-
lich vorsichtig, bis dem nichts anderes übrig
bleibt, als zu erwachen. Doch spielt er
noch den Schlaftrunkenen in der zur zwei-
ten Natur gewordenen Gewohnheit, die
jeweilige Situation eher zu erkennen, als
sich selbst erkennen zu lassen.
Plötzlich besinnt er sich, grinst den Kan-
didaten vertraulich an und sagt: „Se
machen Ihre Sache schon janz nett, junger
Mann!"
Der Kandidat will etwas sagen, aber
es würgt ihm in der Kehle. So greift er
nur jäh in die Tasche und ohne hinzusehen
in sein Portemonnaie und drückt dem Penn-
bruder ein Geldstück in die schmutzige Hand.
„Die Kirche wird jetzt geschlossen. Sie
müssen gehn. Suchen Sie sich ein Nacht-
quartier," stottert er dabei hastig.
„Wat Se sagen!" staunt der Strolch
und besieht verdutzt das Zweimarkstück in
seiner Hand. Endlich grient er verständ-
nisinnig, steht auf, sucht die Nähe des Aus-
gangs zu gewinnen und zwinkert dem Kan-