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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

DOI Heft:
Heft 4 (Dezember 1913)
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Möller, Marx: Der erste Weihnachtschoral "im Volkston"
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0608

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Der erste Wechnachlschoral
Volkston >
Von Morr Möller

Die Könige waren gegangen;
Die Hirten folgten nach. —
Norm Fenster mit heißen Wangen
Stand ein Knabe und sprach:

„Maria, es muß mich kränken,
Daß leer meine Hände sind;
Ich habe nichts zu schenken
Dir und deinem Kind!
Ich komme von steiniger Scholle
Hoch auf des Berges Kamm.
Hab weder Milch noch Wolle,
Geschweige denn ein Lamm!" —
„Das soll dich Knabe nicht kränken!
Deß komme dir kein Verdruß!
Kannst du nichts anderes schenken,
So schenke uns deinen Gruß.
Die Armut ist zu loben,
Die bloß ihr Herz beschert.
Hat keiner denn dich da oben
Ein Handwerk je gelehrt?" —
„Herrin, ich bin von denen,
Die niemals finden ein Nest;
Die ewig ein Heim ersehnen
Und andern spielen zum Fest.
Ich lebe in Spielmanns Nöten,
Wo immer mein Weg sich zieht;
Ich lernte nichts als Flöten;
Hab nichts als nur mein Lied!" —

„Mein Junge, laß dein Grämen,
Und zeige uns dein Spiel!
Du brauchst dich nicht zu schämen:
Ein Lied, ein Lied ist viel!
Gold, Weihrauch, Myrrhen und Seide
Läßt Motten, Rost, Wind vergehn!
Ein Lied aus sehnendem Leide
Das kann kein Sturm verwehn!
Ein Lied in rechtem Tone
Rauscht wie ein ewiger Baum!
Ein Lied baut Hütten und Throne!
Ein Lied wiegt Kinder in Traum!
Ein Lied kann Ketten sprengen!
Ein Lied bringt Schlachten zur Ruh!
Wenn alle doch immer nur sängen,
Als ständen sie hier wie du!" —
Da trat mit stolzem Erröten
Der Knabe herein geschwind
Und fing an süß zu flöten
Ein Schlummerlied dem Kind.
Es klang seine ländliche Weise
Wie ein Gebet so schliäfl.
Da zog ein Lächeln leise
Über des Kindes Gesicht. —

Das Lied, das da der Knabe


Blies vor dem heiligen Kind,
Ging nicht mit ihm zu Grabe,
Verwehte nie im Wind.
Es wird noch heut gesungen,
Wo sich die Andacht schart,
Der Rose, die entsprungen
Aus einer Wurzel zart.
 
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