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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Ompteda, Georg: Die Blumen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0068

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unserer Zeit lebte ein Graf, der
als Mann schon von bedacht-
sameren Jahren in voreiligem
Unmut den Abschied aus dem
auswärtigen Dienst genommen hatte, weil
er einen Posten nicht bekam, den er erstrebte.
Sein Beruf, ihn von Tokio nach Washing-
ton, von Kopenhagen nach Rio werfend,
verweigerte ihm die Gelegenheit, eine
deutsche Frau zu finden. Eine Fremde hätte
er nicht gewollt. Von hoher, männlicher
Erscheinung, im Besitze eines nicht eben
alltäglichen Vermögens, dazu der letzte
einer standesherrlichen Familie, war er
mehrmals kurz vor dem entscheidenden
Wort nicht zum Entschluß gekommen, weil
er gemeint hatte, er würde nur des Geldes
oder seines Namens wegen genommen. Am
letzten Ende mochte dem zartgesinnten
Manne das Selbstvertrauen fehlen, denn
er war mit sich keineswegs zufrieden und
mitnichten von seinem Werte überzeugt.
Da der Graf nun keine Verwandten
mehr besaß, durch jahrzehntelanges Leben
in fernen Ländern der Heimat entfremdet
war, Politiker und Diplomaten aber aus
gekränktem Stolze nicht eben gern aufsuchte,
fühlte er sich bitter einsam. Ein Schicksal
an das seine zu ketten, erachtete er sich für
zu alt, obwohl manch junger Geck füglich
nicht schlecht dabei gefahren wäre, hätte
er Wuchs und Gesichtsschnitt mit ihm tau-
schen können.
An einem Abend, wo die Einsamkeit
auf dem Grafen mehr noch lastete als sonst,
so daß er gute Kunst nicht sehen mochte,
denn sie hätte ihn zu sehr aufgewühlt, ging
er, um sich zu betäuben, in ein Gaukler- und
Muskelkünstlerhaus. Was dort auf der
Bühne vorging, fand er der Anteilnahme
kaum wert; so musterte er die Gaffer an
den Biertischen unter ihm. Ein Zufallsblick
traf einen blonden Kopf, den er, schnell ver-
loren, wiederfand. Ein dunkler war da-
neben. Zwei Mädchen saßen dichtgedrängt,
hatten die Hüte, die man da unten ablegen
mußte, ängstlich auf den Knien, behütet von
ihren Händen in Zwirnhandschuhen.

Deutlich erkannte er es durch sein Glas,
das nun unablässig zu den beiden wanderte.
Und so rührend fand er deren Hingabe
an die Vorstellung, daß der Abend ihm
nicht verloren schien. Fast glücklich machte
es ihn, diese beiden großen Kinder zu sehen.
Niemand suchten ihre Blicke — erstaunte
Märchenaugen waren allein auf die Bühne
gerichtet, um ja nichts zu verlieren von
den Wundern, die ihnen eine schmale Börse
vielleicht nur selten bot.
Als der Graf nach Hause ging, sah er die
Hüte — er hätte sie nie vergessen — plötz-
lich vor sich, aber nicht auf Knien, sondern
auf einem schwarzen und einem blonden
Kopf. Die Mädchen kicherten aneinander
geschmiegt. Ohne Lauschen und Willen
vernahm er auf der einsamen Straße ihre
einfachen Worte, und ganz gepackt fragte
er wie ein guter Vater: „Kinder, war es
denn so schön?"
Die beiden wandten sich um. Nicht er-
schrocken, daß einer zu nächtiger Stunde
sie ansprach, nein, wahrhaft Kindern gleich,
fragten sie ihnbald nach dem Taschenspieler,
den sie gesehen. Wie der das wohl machte?
Immer mehr wollten sie wissen, und der
Graf gab gütig-eifrig Auskunft. Inzwischen
begann es zu regnen. Bei klarem Himmel
waren sie von zu Haus gegangen, alle drei,
und nun wurden sie naß, alle drei. Die
Gemeinsamkeit band sie weiter, und als er
vorschlug, lieber in einem nahen Cafe das
Unwetter auszuhungern, sahen sie sich an,
ob sie es wohl wagen sollten, lachten und
sagten: „Ja." Einfach gekleidet saßen sie
am Tisch, sprachen wie mit einem guten
Onkel, und himmlisch schmeckte das Eis.
Als der Himmel sich wieder geklärt,
drängten sie heim. Sie zogen die kleine, be-
scheidene Geldtasche, ließen es aber gerne
geschehen, daß er zahlte. Unterwegs fragte
er, ob sie öfters abends ausgingen. Ach
nein, so selten nur. Sie hatten niemanden
in der Stadt, die Blonde überhaupt keinen
Menschen mehr auf der Welt. Dazu kam: als
Stütze in einem Haus gab es für sie soviel
zu tun, daß ihr Sonntag fast lastenvoller
 
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