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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Neues vom Büchertisch
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G Neues vom Büchertisch G
Von EarlVusso
Hans Hart, Das Haus der Titanen (Leipzig, L. Staackmann) — Franz Re-
biczek. Das Leben und das Sterben des berühmten Harfenisten Maria
Eusebius Zittersamm (Wien, Carl Konegen) — Kurt Martens, Deutschland
marschiert (Berlin, E. Fleische! L Co.) — Heinrich Federer, Sisto e Sesto (Heil-
bronn, Eugen Salzer) — Georg Freiherr von Ompteda, Die Tafelrunde. Rein-
heit (Berlin, E. Fleische! L Co.) — Friede H. Kraze, Die Sendung des Christoph
Frei (Stuttgart, A. Bonz L Co.)

MLMMVL«

uf dem protestantischen Friedhof in
Rom, unweit der Cestiuspyramide,
liegt, von den schönsten Zypressen
der ewigen Stadt überrauscht, das
Grab August von Goethes. Ein
wenig oberhalb, dicht an der Mauer, ist die
Asche Shelleys beigesetzt, und als wollten
die Nachkommen gutmachen, was die Vor-
fahren einst an diesem blassen schönen Fremd-
ling unter den Menschen gesündigt hatten,
bringen die Töchter Albions Blumen mit —
Blumen, für die der Friedhofsbeamte laut


Anschlag schon immer Gläser und Vasen be-
reithält. Er braucht kaum zu fragen, für
wen sie bestimmt sind; sie sind immer für
Percy Vysshe Shelley, nur daß ab und zu
auch John Keats einen Teil davon abbe-
kommt.

Für August von Goethe hat niemand einen
Strauß übrig, aber wenn man in der grünen
Einsamkeit vor dem Grabe steht, sinnt man
wohl ein Weilchen dem unruhigen und ver-
zettelten Leben nach, das hier zur Ruhe kam.
„Holder Knabe, dich liebt das Glück," hatte
Schiller einst dem Sohne seines großen Freun-
des ins Stammbuch geschrieben, „denn es
gab dir der Güter erstes, köstliches, dich
rühmend des Vaters zu freuen."
Ein Prophetenwort war das nicht, und
August von Goethe mag später oft bitter vor
dieser Eintragung gelächelt und viel eher zu
einer andern genickt haben, die kurz und grob
sagte, daß die Söhne eines großen Mannes
nur selten in der Nachwelt zählen. Begabt,
aber natürlich nicht begabt genug, um sich
neben dem übermächtigen Genie des Vaters
irgendwie behaupten zu können, erdrückt von
dem Namen, den er trug, bitter erkennend,
daß er immer nur eine Art Anhängsel sein
und bleiben würde, an den „verrückten Engel"
Ottilie von Pogwisch verheiratet, die weniger
für den Mann, als für den berühmten
Schwiegervater sorgte, fühlte sich August im
eigenen Hause nicht wohl und stöhnte in
schlechten, aber echten Versen, daß er lieber
sessellos am Abgrund stehen, als immer am
„Gängelbande" geleitet sein wolle. Er ver-
schloß sich vor allen, verletzte durch Heftig-
keit, stürzte aus düsterer Melancholie in wilde
Ausgelassenheit und suchte dabei, wie Holtei
erzählt, in unbewußter Nachahmung des

Vaters doch immer eine gewisse Feierlichkeit
der Formen zu bewahren. Haltlos, in Aus-
schweifungen Betäubung suchend, lebte er hin
und starb früh, von Trunk und Weibern
ruiniert. Fast noch beklemmender war ja
das Schicksal seiner beiden Söhne Walter
und Wolfgang, der Enkel des Unsterblichen.
Nach Paul Heyses schönem Wort verdämmer-
ten sie ihre Zeit „im Schatten des Glanz-
gestirns, an einem Namen krank", und fühlten
sich nur als „Stücke des großväterlichen Nach-
lasses", als die „Überbliebenen von Tantalus'
Haus" — lebensscheue, vereinsamte, ver-
schüchterte, sehr förmliche Junggesellen.
Es ist ohne weiteres klar, daß hier Pro-
bleme liegen, die einen Dichter reizen können.
Vor Jahren hat Walter von Molo in einem
Roman die Tragödie der Epigonen, der Kin-
der großer Väter, zu gestalten versucht —
er tat es in seiner knappen, vielfältige
Schicksale fast epigrammatisch zusammen-
ballenden Art. Und nun kommt wieder ein
Molo — Karl Hans von Molo. — und
greift das gleiche Thema in ganz anderer
Weise auf. Unter seinem nom Zrwri-s
Hans Hart veröffentlicht er ein breit
ausbuchtendes Werk „Das Haus der
Titanen" (Leipzig 1913, L. Staackmann):
darin vollzieht sich das „Schicksal des Erben,
dem der hart und schwer erworbene Name
des Vaters als Mauer vor dem eigenen
Leben steht". Und nicht umsonst wird an
einer Stelle der berühmte Vater, Philipp
Emanuel Williguth, mit dem alten Goethe
verglichen.
Die Williguths, die „Titanen", waren einst
Pfeifer, Spielleute, bibelfeste Bauern in
Thüringen und im Niedersächsischen, bieder,
gierig, weitverzweigt, mit starken Ellen-
bogen, eisenhart in ihrer Zusammengehörig-
keit. Dann kamen sie in die Residenz und
holten sich mit ihren harten Händen alles,
was sie begehrten. Ein trotziges Geschlecht
stehen sie zusammen, ob sie nun Organisten
oder Zuckerbäcker, Geistliche oder welt-
berühmte Chirurgen sind. Vier Genera-
tionen leben nebeneinander: angefangen vom
alten r6K6N8 evoi'i Johann Sebastian bis
zum Urenkel Witte, der sich schon genau so
stark und tyrannisch in seinem Kinderkreise
behauptet, wie seine Väter in größeren Lebens-
 
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