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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Harder, Agnes: Der Weihnachtskarpfen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0633

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Der Weihnachtskarpfen
Plauderei von Agnes Harder


drängen sie sich in den Bot-
tichen, die die Händler einladend
WWAsA vor die Tür gestellt haben! Ihre
breiten Rücken, die in schwärz-
lichem Olivgrün schimmern, ragen
über das Wasser hervor, ihre fetten Weichen,
goldgelblich beschuppt, drücken sich gegenein-
ander, und die grausame Köchin mit den
rotgefrorenen, blanken Armen, die, mit der
Latzschürze und dem weißen Häubchen ange-
tan, den Fünfpfündigen greift, der eben für
sie im Käscher herausgenommen wurde,
möchte am liebsten versuchen, ob er auch „ein
Rogener" ist. Denn obgleich gerade die
Milch des Karpfens als gewählte Delika-
tesse der feinen Küche gilt, so will doch der
Volksgebrauch den „Rogenen" zu Weihnach-
ten, denn er allein bringt Glück.
Freilich, 600000 Eier hat er in seinem
Leibe! Und da eine materielle Zeit von dem
Feste der Erfüllung auch die Erfüllung sehr
irdischer Wünsche verlangt, und Fortunas
Glückssäckel, wenn man ihn einmal im Jahre
feilböte, lauter ausgestreckte Hände fände, so
hat diese selbst bei Fischen seltene Fruchtbar-
keit dem Karpfen den Ehrenplatz auf der
norddeutschen Weihnachtstafel errungen. Eine
sorgsam aufbewahrte Schuppe, als Talisman
in der Börse getragen, bestätigt noch die
Anwartschaft auf den Segen. Auch die mär-
kischen Mohnpielen, die neben ihm an diesem
Abend erscheinen, deuten auf nichts anderes
hin. Ist doch gerade der Mohnkopf von
jeher ein Zeichen der Fruchtbarkeit gewesen,
weil so unzähliges Leben in ihm wohnt und
hartköpfig an seine Wände klopft, wenn
man ihn schüttelt. Versuche es einmal, den
Inhalt des Mohnkopfes in deine hohle Hand
zu drücken! Wie es da perlt und so schlaf-
umfangend schwer duftet! Nun versprechen
dir Mohnpielen und Karpfenrogen am hei-
ligen Abend die Fülle irdischer Glückseligkeit,
die sich in Zahlen umsetzen läßt!
Wie sie aber zu dieser Sicherheit kommen,
weiß ich nicht, denn wenigstens der Weih-
nachtskarpfen ist unmöglich von unfern germa-
nischen Vorfahren übernommen worden. De-
ren Braten war für den Tag der Winter-
sonnenwende der Schweinebraten, der Jul-
eber. Fro, der Sonnenführer, dessen Be-
gleiter ein Eber mit goldenen Borsten
war, würde nun endlich die Sonne wie-
der ans Licht führen! Und während der
am Spieße gedrehte Braten in der Halle
vor dem Herrensitz duftete, trat einer nach
dem andern an ihn heran und schwur als
echter Nordlandsrecke eine unerhörte Helden-
tat. Und was bei Fros Eber geschworen
war, mußte gehalten werden! Noch heute
hat das Hauptstück nordischen Gebäcks zum
Julfest die Form eines Ebers. Solche hel-

dische Verpflichtungen legt der solide Weih-
nachtskarpfen nicht auf, schon weil er
erst vor etwas mehr als zweihundert
Jahren aus — Japan und China ein-
geführt wurde. Was wir bei uns von
Bauchflossern als heimischen Arten haben,
Barben, Schleie und Karauschen, sind nur
seine nicht vollwertigen Vettern. Der be-
häbige Herr mit dem gallertartigen Fett war
ein Leckerbissen auf der Tafel der Manda-
rinen. Und da wir einmal darauf aufmerk-
sam gemacht sind, kommt freilich die Erin-
nerung an östliche Malereien, Stickereien und
Steindrucke ein wenig störend in unsere kuli-
narische Festfreude. Der breite, fette Fisch
schmiegt sich gar zu gut in die Wellenlinien,
mit denen der Japaner Glück oder Unglück
ausdrückt. Selbst seine besonders großen
Schuppen, die sich beim Spiegelkarpfen nur
auf die Mitte des Körpers beschränken, lassen
sich bequem stilisieren.
Jedenfalls wurde der Karpfen bei uns
leicht heimisch. Bereitete man ihm doch in
künstlichen Teichen seinen Wohnort, lehrte
ihn auf das Glockenzeichen zu lauschen und
pünktlich zur Fütterung zu kommen! In
alten Schloßparks erhebt sich manch bemoo-
stes Haupt aus den Fluten. Die größten
Karpfen sah ich in Bückeburg, den stärk-
sten Nachwuchs in Pyrmont. Fette Erde,
toniger Untergrund, der gleichzeitig zur Nah-
rung dient, wird vom Karpfen bevorzugt,
der dazu Würmer, Wasserpflanzen und In-
sekten liebt, also eigentlich wie der Bär und
das Schwein — möglich, daß sich einige be-
scheidene Ähnlichkeiten ergeben — ein Alles-
fresser ist. Jedenfalls hat ihn die Küche der
europäischen Länder mit Freuden annektiert,
denn das Kochbuch erzählt auf langen Spal-
ten von böhmischer, englischer — und polni-
scher Art, den Karpfen zu kochen.
Nun, daß die polnische Art bei der Be-
reitung des Weihnachtskarpfens triumphiert
hat, das wissen wir. Nie ist soviel Verlangen
nach dünnem Braunbier und Kochpfeffer-
kuchen wie am heiligen Abend, und die Zwie-
beln, die hinzukommen, werden feierlich mit
Nelken besteckt, daß sie irgendeinem geheim-
nisvollen Symbol gleichen. Geschuppt darf
der Fisch nicht werden. Steckt doch gerade
in den Schuppen der Zauber des „Eselein
streck' dich". -
Wenn bei uns der Weihnachtsbaum ab-
gebrannt war, dann pflegte mein Vater nach
einer Dickens - Ausgabe zu greifen, die schon
damals nicht mehr neu war. Es war die
erste deutsche Ausgabe, und mein Großvater
soll einen roten Kopf bekommen haben vor
Freude, als er sie aus den Kisten packte, die
den weiten Weg nach Ostpreußen gefunden,
zu den masurischen Seen und Wäldern —
 
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