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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Harder, Agnes: Der Weihnachtskarpfen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0634

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626 Agnes Harder:

ohne Bahn! Bei dem Duft der verlöschten
Wachslichte wurde der „Weihnachtslobge-
sang" gelesen. Und siehe, es erhob sich „der
Geist der heurigen Weihnacht"!
„Wände und Decken waren über und über
so mit lebendigem Grün und Laubwerk Über-
hängen, daß es ganz einem vollständigen
Hain oder Lustwäldchen gleich sah, aus dessen
Dunkel allenthalben prächtige, glänzende
Beeren schimmerten. Die frischen Blätter
der Mistel und des Efeus und die grünen
Nadeln des Wacholders strahlten das Licht
zurück, als ob ebenso viele kleine Spiegel
hier verteilt worden wären, und im Kamin
prasselte und lohte ein mächtiges Feuer. Auf
dem Boden aber lagen, zu einer Art von
Thron aufgehäuft, Truthühner, Gänse, Wild-
bret, Hühner, Pökelfleisch, mächtige Keulen
verschiedener Tiere, Spanferkel, große Kränze
von Würsten, Fleischpastetchen, Plumpud-
dings, Körbchen voll Austern, geröstete Ka-
stanien, rotbäckige Apfel, saftige Orangen,
süße leckere Birnen, ungeheure Dreikönig-
kuchen und dampfende Schüsseln mit Punsch,
die das ganze Zimmer mit ihrem würzigen
Dufte erfüllten." —
Wie liebte ich diesen Geist der heurigen
Weihnacht! Er begleitete mich durch meine
ganze Kindheit, und ich sehe ihn noch heute
mit lächelnder Wehmut den Weihnachts-
schatten der Erinnerung entsteigen. Und doch
— unter seinen Herrlichkeiten fehlt der Karp-
fen! Und auch bei der zweiten Schilderung
Dickens' aus der Weihnachtszeit des „msrr^
oick LllAiÄnck", das unseren Großvätern
Schwesterland und Land der wärmsten Zu-
neigung war — lagen doch die Tage Wel-
lingtons und Blüchers noch nicht so weit
zurück, daß nicht mehr Wärme von ihnen
ausstrahlte — auch bei der lustigen, herzens-
freudigen Weihnacht im Landhause des
prächtigen Mr. Wardle, die die Gegenwart
Mr. Pickwicks und seiner Getreuen verschönt,
wird wohl von der Verstauung mehrerer
Austernfäßchen und eines riesigen Kabeljaus
berichtet, aber nicht von einem Karpfen.
Doch das fiel mir damals nicht auf. Denn
auch in Ostpreußen gab es noch keinen Weih-
nachtskarpfen. Wohl erzählte Mutter, daß
in ihrem Elternhause um diese Zeit der Fest-
braten ein Spanferkel gewesen war, ein be-
sonders schönes Absatzferkel, das geräuchert
und süß gefüllt wurde. Aber das lockte mich
nicht. Eher schon die Mohnnudeln, die da-
zu gehörten und die dann zur Fastnacht von
neuem auftauchten.
Nein, die Schlaraffenlandgenüsse meiner
Kindheit erschöpften sich um die Weihnachts-
zeit in den ortsüblichen Süßigkeiten, vor
allem in Marzipan und Honigkuchen, im
Dialekt Pfefferkuchen genannt, weil wahr-
scheinlich hin und wieder eine Prise Pfeffer
in den Teig genommen war, seine Würzig-
keit zu steigern. Da Pfefferkuchen und Mar-
zipan aber im Hause gebacken wurden, so
konnte der Karpfen später mit ihrer Wich-
tigkeit nicht mehr wetteifern. Wurde doch

der Pfefferkuchen oft schon ein Vierteljahr
vorher angeteigt, bald nach der Honigernte,
mit Mehl bestreut, mit einem blütenweißen
Tuch bedeckt und auf den Ofen gestellt. Das
fromme Nönnchen Katharina, das vor tau-
send Jahren in dem Thorner Kloster das
herrliche Rezept zu dem Kuchen erfunden
hatte, in dem etwas von der Süße und dem
Duft des Sommers gefangen steckt, verlangte
freilich, daß der Teig mindestens ein Jahr
stünde, ehe er gebacken wurde. Geschichts-
schreiber, die sich mit dem Märchen gut stehen,
sprechen sogar von hundert Jahren, und
daß der Teig von der Hauptmasse mit der
Hacke gelöst werden mußte. Die Thorner
Katharinchen, die jener Nonne ihren Namen
danken, schmücken noch heut jeden Jahrmarkt.
Vielleicht hat sie uns lächelnd zugesehen,
wenn wir mit glühenden Wangen die Pfeffer-
nüsse von den langen Teigrollen abschnitten,
auf Bleche verteilten und lange Hälse mach-
ten, wenn Blech auf Blech in oft wochen-
langem Backen in den Waschkorb rollte, der
für diese Zeit seiner eigentlichen Bestimmung
untreu wurde. Er hatte ja sowieso Ferien.
Wäsche durfte in den heiligen Zeiten nicht
auf der Leine hängen, das litt Frau Holle
nicht, die dann mit den alten Göttern über
die Felder ging. So flössen in ihm die süßen
Ströme des Paradieses, Pfefferkuchen in je-
der Form, bis zu dem ganz dicken, der in
Stücke geschnitten wurde. Weihnachten kam
ja der Himmel auf die Erde, dazu paßte das
Land, da Milch und Honig fließt.
Marzipanbacken war feierlicher. Es sind
einmal in das Land Friedrichs des Großen
welsche Schweizer eingewandert, die brachten
den Brauch der süßen Brote mit. Noch heute
haben die berühmten ostpreußischen Kondi-
toren italienische Namen. Pane, das Brot.
In Toledo, im tiefsten Spanien, kaufte ich
echtes, rechtes Marzipan. Um die Weih-
nachtszeit soll es dort in sehr schöner Auf-
machung zu haben sein. Wir sind am Pre-
gel also nicht die einzigen Leckermäuler in
der Welt. Aber kann ein Kuchen aus fei-
neren Zutaten bestehen als aus Zucker, Man-
deln und Rosenwasser? Sagen nicht sie
allein schon, daß es sich um ein Weihegebäck
handelt? Muß ich noch hinzufügen, daß
Marzipan auf dem Dreifuß gebacken wurde,
mit einem kupfernen Deckel bedeckt, in dem
Holzkohlen brauten in pythischen Rauchwol-
ken? Denn seine Unterseite mußte ja durch
schneeiges Weiß den Adel seiner Abstammung
beweisen; nur der Rand, köstlich gekräuselt
mit Hilfe einer Stricknadel, eines absolut
unmodernen Instrumentes, sollte braun sein.
War es nicht Tempeldienst, den Blasebalg
gegen die Kohlen zu richten und ihn lang-
sam zu bewegen? Und dann, wenn die ab-
gekühlten Herzen und Halbmonde der weiße
Guß gefüllt hatte — wieder Rosenwasser
und Zucker! — dann wurden die Blumen
des Sommers auf sie gezaubert und phan-
tastische Füllhörner mit selbsteingemachten
Kirschen und Reineclauden, mit Hagebutten
 
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