üLEELEEEEEELELEELi Der Kandidat U
451
Kandidaten Gesichter, als schmeckten sie
etwas Süßes auf den dünnen Zungen und
sähen nahe vor sich die „Stadtder goldnen
Gassen", auf die sie als Entgelt für ein
hungrig verdarbtes Leben mit eigensinniger
Gläubigkeit warten. Die Gemeindeschwe-
ster sitzt still und versunken in ihrer Bank,
wie eine wunschlose, abgeschiedene Seele.
Aber der kritische alte Herr schaut mit
munter glänzenden Augen lebendig in dem
Bilde hin und her, und der Kirchendiener
ist jetzt wirklich wach und hat einen auf-
merksamen, fast hellseherischen Blick auf
den Strolch geheftet, als folge er mit ge-
spitzten Ohren, gleich einem tüchtigen Jagd-
hund , sachkundig jeder nickenden und wie-
genden Bewegung des Schnorrers —
Immer flammender spricht der junge
Kandidat auf den gesenkten Kopf des Penn-
bruders nieder. Ja — es wächst ein ver-
haltenes Jauchzen in seiner Stimme, das
er selbst noch bezwingen möchte, aber schon
nicht mehr kann, denn es ist ein Rausch,
der mächtiger wird, je tiefer der halbvertierte
Mensch da unten in sich zusammenkriecht
— eine Demut, die sich mit Tränen unend-
lichen Dankes niederwerfen möchte vorder
Allmacht des Ewigen, auch die verlorenste
Seele wieder heranziehen zu können; und
zugleich ist's ein Wirbel junger Priester-
vermessenheit, als sei es seine kaum er-
wachte Kraft allein, die hier die Macht
geübt, zu erlösen oder zu verdammen-
Just, als der Strolch sich sacht wie ein
vertrocknetes Bäumchen zur Seite neigt
und mit leisem Poltern längs auf die Bank
fällt, wo er mit geschlossenen Augen und
offenem Munde liegen bleibt.
Es ist offenbar, daß er schnarcht!
Jählings erbleicht der Kandidat. Ein
Frösteln schüttelt seine heißgewordene Haut
unter dem Winteranzug, darüber der fal-
tige Talar nun wie eine groteske Maske
hängt.
Die alten Weiblein wachen in der plötz-
lichen Stille auf und schauen verstört um
sich. Die Gemeindeschwester richtet sich
unbewegt noch steiler auf, als könne sie die
anderen dadurch zwingen, alles Andacht-
störende zu ignorieren. Der kritische Herr
hat seinen vierschrötigen Kopf lauernd vor-
gestreckt, und hinter den Brillengläsern fun-
kelt es wie heimliches Lachen.
Indes ist der Kirchendiener schon auf
leisen Sohlen herbeigesprungen und sucht
den Schnarchenden diensteifrig von der
Bank zu ziehen, um ihn kraft seines Amtes
mit diskreter Gewalt an die Luft zu be-
fördern.
Plötzlich sagt die jäh verstummte junge
Stimme auf der Kanzel schluckend: „Lassen
Sie ihn schlafen, Hellwig!"
Es klingt ganz laut und fremdartig
durch die kleine Kirche, so daß der Organist
oben mit einem erstaunten Poltern an die
Rampe der Orgelempore tritt.
Auch der Kirchendiener läßt in völliger
Verdutztheit von seinem Opfer ab, klemmt
das Gesangbuch fassungslos unter den Arm
und tritt kopfscheu an die Wand zurück.
Der Pennbruder schnarcht also kräftig
weiter, ohne die verursachte Unruhe zu be-
merken, und der Kandidat spricht nun seine
ursprüngliche Predigt mit sonderbar ton-
loser, aber fester Stimme zu Ende, obwohl
der Schluß ziemlich verloren geht in dem
versteckten Rumoren eines alten Mütter-
chens, das umständlich unter Mantel und
Rock sein vergilbtes Schnupftuch sucht,
um sich einige Male laut und verstört zu
schneuzen.
Der alte Herr, der jetzt seinen durch-
dringenden Brillenblick dauernd auf den
sich gewaltsam zur Ruhe zwingenden Kan-
didaten geheftet hat, steht auf, sobald das
Amen gesprochen ist und der rote Vorhang
der Kanzel sich hinter dem verschwundenen
Talar, leise wehend, wieder geschlossen hat.
Langsam geht er hinaus, eine Faust auf
dem Rücken geballt und mit dem dicken
Stock leise aufstampfend. Die Brillengläser
funkeln im Schein der Kerzen. Aber der
Blick der scharfen Augen ist nach innen
gekehrt, und die streng gemeißelten Züge
des derben Gesichts scheinen von sanfter
Trauer für einen Augenblick gemildert.
In der Türe hebt er mit einem Ruck den
Kopf. Ein hartes Kläcken in der aufge-
stellten Messingbüchse, und er ist fort.
Eilfertig hat sich indes der interessiert
vorgeneigte Kopf des Organisten in den
Hintergrund zurückgezogen, und bald dar-
auf beginnt die Orgel mit einem unver-
mittelt aufdröhnenden Ton das vorgeschrie-
bene Bußlied, das mit seinen vierzehn
Strophen, gesungen von der durchdringen-
den Stimme des Kirchendieners und dem
zaghaft-heiseren Geschrei der alten Weib-
29*
451
Kandidaten Gesichter, als schmeckten sie
etwas Süßes auf den dünnen Zungen und
sähen nahe vor sich die „Stadtder goldnen
Gassen", auf die sie als Entgelt für ein
hungrig verdarbtes Leben mit eigensinniger
Gläubigkeit warten. Die Gemeindeschwe-
ster sitzt still und versunken in ihrer Bank,
wie eine wunschlose, abgeschiedene Seele.
Aber der kritische alte Herr schaut mit
munter glänzenden Augen lebendig in dem
Bilde hin und her, und der Kirchendiener
ist jetzt wirklich wach und hat einen auf-
merksamen, fast hellseherischen Blick auf
den Strolch geheftet, als folge er mit ge-
spitzten Ohren, gleich einem tüchtigen Jagd-
hund , sachkundig jeder nickenden und wie-
genden Bewegung des Schnorrers —
Immer flammender spricht der junge
Kandidat auf den gesenkten Kopf des Penn-
bruders nieder. Ja — es wächst ein ver-
haltenes Jauchzen in seiner Stimme, das
er selbst noch bezwingen möchte, aber schon
nicht mehr kann, denn es ist ein Rausch,
der mächtiger wird, je tiefer der halbvertierte
Mensch da unten in sich zusammenkriecht
— eine Demut, die sich mit Tränen unend-
lichen Dankes niederwerfen möchte vorder
Allmacht des Ewigen, auch die verlorenste
Seele wieder heranziehen zu können; und
zugleich ist's ein Wirbel junger Priester-
vermessenheit, als sei es seine kaum er-
wachte Kraft allein, die hier die Macht
geübt, zu erlösen oder zu verdammen-
Just, als der Strolch sich sacht wie ein
vertrocknetes Bäumchen zur Seite neigt
und mit leisem Poltern längs auf die Bank
fällt, wo er mit geschlossenen Augen und
offenem Munde liegen bleibt.
Es ist offenbar, daß er schnarcht!
Jählings erbleicht der Kandidat. Ein
Frösteln schüttelt seine heißgewordene Haut
unter dem Winteranzug, darüber der fal-
tige Talar nun wie eine groteske Maske
hängt.
Die alten Weiblein wachen in der plötz-
lichen Stille auf und schauen verstört um
sich. Die Gemeindeschwester richtet sich
unbewegt noch steiler auf, als könne sie die
anderen dadurch zwingen, alles Andacht-
störende zu ignorieren. Der kritische Herr
hat seinen vierschrötigen Kopf lauernd vor-
gestreckt, und hinter den Brillengläsern fun-
kelt es wie heimliches Lachen.
Indes ist der Kirchendiener schon auf
leisen Sohlen herbeigesprungen und sucht
den Schnarchenden diensteifrig von der
Bank zu ziehen, um ihn kraft seines Amtes
mit diskreter Gewalt an die Luft zu be-
fördern.
Plötzlich sagt die jäh verstummte junge
Stimme auf der Kanzel schluckend: „Lassen
Sie ihn schlafen, Hellwig!"
Es klingt ganz laut und fremdartig
durch die kleine Kirche, so daß der Organist
oben mit einem erstaunten Poltern an die
Rampe der Orgelempore tritt.
Auch der Kirchendiener läßt in völliger
Verdutztheit von seinem Opfer ab, klemmt
das Gesangbuch fassungslos unter den Arm
und tritt kopfscheu an die Wand zurück.
Der Pennbruder schnarcht also kräftig
weiter, ohne die verursachte Unruhe zu be-
merken, und der Kandidat spricht nun seine
ursprüngliche Predigt mit sonderbar ton-
loser, aber fester Stimme zu Ende, obwohl
der Schluß ziemlich verloren geht in dem
versteckten Rumoren eines alten Mütter-
chens, das umständlich unter Mantel und
Rock sein vergilbtes Schnupftuch sucht,
um sich einige Male laut und verstört zu
schneuzen.
Der alte Herr, der jetzt seinen durch-
dringenden Brillenblick dauernd auf den
sich gewaltsam zur Ruhe zwingenden Kan-
didaten geheftet hat, steht auf, sobald das
Amen gesprochen ist und der rote Vorhang
der Kanzel sich hinter dem verschwundenen
Talar, leise wehend, wieder geschlossen hat.
Langsam geht er hinaus, eine Faust auf
dem Rücken geballt und mit dem dicken
Stock leise aufstampfend. Die Brillengläser
funkeln im Schein der Kerzen. Aber der
Blick der scharfen Augen ist nach innen
gekehrt, und die streng gemeißelten Züge
des derben Gesichts scheinen von sanfter
Trauer für einen Augenblick gemildert.
In der Türe hebt er mit einem Ruck den
Kopf. Ein hartes Kläcken in der aufge-
stellten Messingbüchse, und er ist fort.
Eilfertig hat sich indes der interessiert
vorgeneigte Kopf des Organisten in den
Hintergrund zurückgezogen, und bald dar-
auf beginnt die Orgel mit einem unver-
mittelt aufdröhnenden Ton das vorgeschrie-
bene Bußlied, das mit seinen vierzehn
Strophen, gesungen von der durchdringen-
den Stimme des Kirchendieners und dem
zaghaft-heiseren Geschrei der alten Weib-
29*