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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
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Gottberg, Otto von: Der Hotelportier
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0483

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O. v. Gottberg: Der Hotelportier 399

ein Zimmer!" „Es soll doch natürlich im
ersten Stock sein," sagt der junge Mann mit
einer Miene, die beschwört, daß alle Be-
sucher des fünfstöckigen Hauses überhaupt
nur eine Treppe hoch wohnen. Die Dame
wagt keinen Widerspruch und geht in ein
Zimmer, dessen Rechnung sie später mit
Seufzen bezahlt. Oder dem Touristenpaar
in Loden, das gerade nur Unterschlupf sucht,
antwortet der junge Mann auf die Bitte
nach einem Zimmer: „Es soll doch mit Bad
sein!" Die beiden im schlichten Wanderers-
kleid fühlen sich bedrückt genug unter den
Augen vieler Fremden und zahlen mit
Schmerzen fünf Mark mehr als sie ver-
mögen, um schnell flüchten zu können. Solche
Leute werden das Hotel weder jemals wieder-
besuchen noch Bekannten empfehlen. Darum
brächte seiner Gesellschaft wohl mehr Vor-
teil ein junger Mann, der bescheiden nach
den Wünschen von Reisenden fragte und sie
geflissentlich zu erfüllen versuchte. Freilich
liegt die Schuld auch beim Publikum. Noch
immer wähnen Menschen, es sei „unvor-
nehm", vor Fremden Interesse oder gar
Sorge um die Kosten von Dingen an den
Tag zu legen. Tatsächlich aber ist der
Mensch, der sich Übervorteilen läßt, der Un-
vornehmste. Jedes Markstück, das wir be-
sitzen, bietet uns die Möglichkeit, ein Stück
Mutze, Erholung oder Vergnügen zu ge-
nießen. Wer uns ohne berechtigten Anspruch
das Stück Muße nimmt, macht uns zu seinem
Kuli. Wir könnten gerade so gut während
Zehn Minuten für ihn Steine klopfen.
Wie das moderne große Hotel den einen
Besitzer durch mehrere Angestellte ersetzte, so
verteilte es auch die Pflichten des Portiers
auf verschiedene und mancherlei überflüssige
Köpfe. Die neue Karawanserei versucht ihren
Gästen zu beweisen, daß sie mit eigenen
Händen keine Tür öffnen, keinen Regenschirm
aufspannen, keine noch so einfache Hand-
leistung verrichten können. Vor der Tür,
hinter der uns einst nur der Portier be-
grüßte, steht heute einer seiner Trabanten
in der Uniform eines Schweizer Admirals.
Um ihn, den Mond des Portiers, drehen
sich mit der Haustür, die eine Drehtür
ward, wieder kleinere Trabanten, nämlich
Jungens in bunten Affenjäckchen. Die Auf-
gabe des Schweizer Admirals ist es, Drosch-
ken herbeizupfeifen und bei regnerischem
Wetter über dem in den Wagen steigenden
Gast einen Schirm aufzuspannen. Menschen,
die zu Fuß gehen, beweist er seinen Anspruch
auf die nützliche, die notwendige, ja un-
entbehrliche Mark dadurch, daß er vor ihnen
Mütze, Zylinder oder auch Dreimaster lüf-
tet. Doch in Berlin ist ihm das Hutabneh-
men bereits zu sauer geworden. Wohl vor
der Mehrheit von Hotels grüßt er wie ein
Soldat durch Anlegen der Hand an die
Kopfbedeckung. An und für sich hat das
keinerlei Bedeutung, aber es verrät, wie
wenig Wert die moderne Karawanserei auf
Schulung ihres Personals zu guten Sitten

und Höflichkeit legt. Das Recht, mit dem
Deckel auf dem Kopf zu grüßen, hat nur
ein vom König oder Staat Uniformierter.
Wer es sonst ohne Ermächtigung des Ge-
grüßten tut, erlaubt sich eine Unziemlichkeit,
eine Familiarität, die Trinkgeldempfängern
von allen Menschen am wenigsten ansteht,
überhaupt vergessen deutsche Hotels, wäh-
rend sie uns einen Wohnungsluxus bieten,
der weit über Gewohnheit und auch An-
spruch der überwältigenden Mehrheit ihrer
Gäste hinausgeht, daß ein Sofa oder Kristall-
spiegel weit weniger Behagen als ein gut-
beschulter Dienstbote schafft. Sie brauchen
ja nicht gerade jene englischen oder ameri-
kanischen Luxushotels nachzuahmen, in denen
je ein Diener jedem Gast den Koffer auspackt,
die Kleider bügelt, die Knöpfe ins Hemd
steckt und die Kleider für den nächsten Aus-
gang herauslegt, aber wie gering ist die
Zahl deutscher Hotels, in denen man neben
dem ungewohnten Wohnungsluxus die tat-
sächlich gewohnte Bedienung erhält? Der
gute alte Hausknecht einer besseren Zeit mag
heute Hausdiener oder gar vatst heißen,
aber Kleider aufzuhängen und zu behandeln
versteht er darum noch lange nicht.
Hinter den Trabanten finden wir endlich
den Portier in Person. Einst stand er in
einer kleinen „Loge" und teilte sich in den
Dienst mit einem einzigen Nachtportier.
Heutzutage sitzt er oft in zwei Exemplaren
hinter einem Pult oder leitet gar ein ganzes
Bureau mit mehreren Unterlingen. Der
Gast wendet sich bald an diesen, bald an
jenen, und so geht auch dem Portiergewerbe
die Individualität verloren. Immerhin ist
der Portier noch als der ruhende Pol in der
Erscheinungen Flucht zu betrachten. Er muß
wohl der Seßhafteste vom Hotelpersonal
sein. Wer viel reist und gern die gleichen
Hotels besucht, sieht ihn von Besuch zu Be-
such grauer werden, und eines schönen Tages
hat er sich darum den Vollbart abnehmen
lassen, obwohl er ihn vorher augenscheinlich
mit solcher Liebe pflegte, als wäre ohne die
Backenzier sein Handwerk nicht auszuüben.
In der Tat scheinen die besten Portiers die
längsten Bärte zu haben und manche Hotels
bartlose Leute überhaupt nicht anzustellen.
Von Herkunft ist der gutgeschulte Portier aller
Lande so oft Schweizer, daß man sich wundert,
wie ein kleines Volk und felsiger Boden solche
Mengen von Gesichtshaar produzieren kann.
Der Schweizer spricht eben oft in der Kindheit
schon drei Sprachen und lernt darum leicht
neue hinzu. Der Portier aber muß in aller-
hand Zungen reden können. Ferner hat die
Schweiz, ein Land, das, um die Besucher
seiner Berge zu bewirten, als erstes gute
Gasthäuser in großer Zahl baute und die
Hotelindustrie aus der Wiege hob, eine
Hochschule für die dem Gewerbe Dienenden
in Genf oder Lausanne. Der junge Mann,
der hier lernt und dann nacheinander die
Arbeit eines Portiers, Oberkellners, Direk-
tors oder auch Küchenchefs versieht, ist manch-
 
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