Fedor von Zobeltitz:
hatte, wo wir aber immer einige Sommer-
monate verlebten. Das war auch meist
die hübscheste Zeit. Hanns besaß einen Pony,
den er Velocitas getauft hatte; ich nannte
das Biest dagegen nie anders als Pigritia,
woraus zu ersehen ist, daß ich nicht allezeit
ein durchweg liebenswürdiger Bruder war,
sondern auch das Necken gern hatte. Von
diesem Einsegnungstage ist mir noch eine
lebhafte Erinnerung geblieben. Hanns trug
zur Feier zum ersten Male ein Oberhemd
mit steif gestärktem Brusteinsatz und Man-
schetten. Damals war ein Freund unserer
Kindertage bei uns, der spätere Maler Fedor
Encke, und er behauptete, Hanns sehe in die-
sem schön geplätteten Hemde wie ein „Geck"
aus. Darauf gab Hanns dem Fedor Encke eine
Backpfeife, die dieser ohne Zögern erwiderte.
Unmittelbar nachher wälzten die beiden sich
auf der Erde; der neue Einsegnungsanzug
geriet in eine trauervolle Verfassung, und
als ich mich in den Männerstreit mischte,
wurde ich zunächst von beiden Kämpfenden
gemeinschaftlich verhauen und heulte dann
so gewaltig, daß die Eltern herbeieilten, um
mich schleunigst abzusondern und in eine
Kammer zu sperren. In dieser Kammer wurde
u. a. Wäscheblau aufbewahrt. Mit einem
Stück Wäscheblau schrieb ich mit meiner tief
begründeten Entrüstung an die Tür: „Mein
Bruder Hanns ist ein Esel und Fedor Encke
auch." Diese Inschrift hat merkwürdigerweise
die Zeit überdauert. Sie ist erst vor wenigen
Fahren bei einer gründlichen Säuberung
der alten Rumpelkammer abgewaschen wor-
den; bis dahin respektierte man sie als eine
charakteristische Äußerung aus meiner Ju-
gendzeit und als Beitrag zu meiner noch zu
verfassenden Biographie.
Nun war also Hanns von unserm alten
Pastor Hickstein konfirmiert worden und
sollte in Berlin für das Abiturium zurecht-
geknetet werden. Jetzt kam der Sommer Sieb-
zig. Ich war mit meiner Mutter und meiner
Schwester Lia wieder in Spiegelberg, und
da stürzte eines Nachmittags unser Pächter
aufgeregt zu uns und rief uns entgegen:
„Kriegserklärung, meine Herrschaften! Es
geht los!" Es ging auch gleich los. Selbst
die alten Herren schlüpften wieder in die
Uniform: mein Vater, der dicke Onkel Fritz,
der Selchower Onkel — allesamt als Haupt-
leute der Garde-Landwehr. Hanns war ein
schmächtiger sechzehnjähriger Bengel, aber er
wollte natürlich auch mit; Mutter weinte dar-
über, Vater war in loher Begeisterung, die
Onkels fanden den Entschluß ganz selbstver-
ständlich — und richtig, schon vor seinem
siebzehnten Geburtstage trug auch Hanns
Uniform: er war als Freiwilliger bei den
Garde - Füsilieren, den Berliner „Maikäfern",
eingetreten.
Ich sah ihn erst in den Weihnachtsferien 1871
wieder, als ich von Plön aus in die Heimat
reisen durfte. Damals hatte Hanns eben-
falls Urlaub erhalten; er hatte den Feldzug
mitgemacht, sich mittlerweile entschlossen, bei
Mein Bruder Hanns ÜMZrZ-ZrZ-LLr 69
der Waffe zu bleiben, und trug nun schon das
silberne Portepee. Wir trafen zu ungefähr
gleicher Zeit in Berlin ein; Hanns war bei
den Verwandten mit üblicher Herzlichkeit ge-
feiert worden und begrüßte mich in etwas
schwankendem Zustande. Als er dies selbst
merkte, bat er mich um einen Liebesdienst.
Ich mußte ihm in der Küche den Kopf unter
die Wasserleitung halten, bis die Dusche alle
Geister des Weins vertrieben und er seine
Männlichkeit wieder erlangt hatte. Nun
blieb er also beim Regiment, wurde Offizier
und wohnte in der Kaserne; seine erste Zim-
mereinrichtung, fast zu üppig für einen jun-
gen Leutnant, hat er später nach Spiegel-
berg gestiftet, wo sie sich noch befindet und
sozusagen heilig gehalten wird.
Schon um diese Zeit begann er zu schrift-
stellern : zunächst auf militärischem Gebiet. Ein
Freund von ihm, ein früherer Husarenoffizier,
Herr G. von Glasenapp, war zum Verlags-
handel übergegangen und hatte zwei Zeit-
schriften begründet: die „Neuen militärischen
Blätter" und die „Unteroffizier-Zeitung".
Für beide schrieb Hanns seine ersten Artikel,
für die „Neuen militärischen Blätter" besuchte
er auch die Weltausstellung des Jahres 1873
in Wien, wo er in dem dicken Professor Per-
nice, dem berühmten „Falstaff der Diploma-
tie", der die Rechte des depossedierten Kur-
fürsten von Hessen vertrat, einen liebens-
würdigen Führer fand. Das waren also
seine schriftstellerischen Anfänge, und ein
bißchen später fing ich selber an. Ich war
kaum aus dem Kadettenkorps zu einem
Ulanenregiment gekommen, so saß ich auch
schon am Schreibtische und verzapfte ein
belletristisches Unikum, eine sogenannte Hu-
moreske, deren Titel ich vergessen habe, die
aber wahrhaftig angenommen und gedruckt
wurde, und zwar in einem damals erscheinen-
den Witzblatt, das sich „Berliner Fliegende
Blätter" nannte.
Hanns war inzwischen zu dem neugegrün-
deten Eisenbahn-Regiment versetzt worden:
eine Beförderung, über die er anfänglich
nicht sehr glücklich war. Er wäre natür-
lich lieber bei seinen Maikäfern geblieben,
fand aber auch bei den Eisenbahnern einen
angenehmen Kameradenkreis und zudem
einen Dienst, der ihn nach der technischen
Seite hin außerordentlich interessierte. Da
er der sogenannten Betriebsabteilung zu-
erteilt war, so hatte er verhältnismäßig
wenig in der Front zu tun und fand ge-
nügend Zeit, das durch die Kriegsjahre ab-
gebrochene Studium wieder aufzunehmen.
Er schwitzte gewaltig über den Büchern, ohne
dabei die Praxis zu vernachlässigen, und diese
umfassende technische Vorbildung fand ihren
Niederschlag in zahlreichen Aufsätzen und
kam ihm später auch bei seinen größeren
belletristischen Arbeiten zu nutze. Ohne sie
hätte er beispielsweise seine prächtigen Ro-
mane „Arbeit" und „Besiegter Stein" kaum
vollenden können. Jede freie Stunde benutzte
er zu literarischen Studien; er schrieb damals
hatte, wo wir aber immer einige Sommer-
monate verlebten. Das war auch meist
die hübscheste Zeit. Hanns besaß einen Pony,
den er Velocitas getauft hatte; ich nannte
das Biest dagegen nie anders als Pigritia,
woraus zu ersehen ist, daß ich nicht allezeit
ein durchweg liebenswürdiger Bruder war,
sondern auch das Necken gern hatte. Von
diesem Einsegnungstage ist mir noch eine
lebhafte Erinnerung geblieben. Hanns trug
zur Feier zum ersten Male ein Oberhemd
mit steif gestärktem Brusteinsatz und Man-
schetten. Damals war ein Freund unserer
Kindertage bei uns, der spätere Maler Fedor
Encke, und er behauptete, Hanns sehe in die-
sem schön geplätteten Hemde wie ein „Geck"
aus. Darauf gab Hanns dem Fedor Encke eine
Backpfeife, die dieser ohne Zögern erwiderte.
Unmittelbar nachher wälzten die beiden sich
auf der Erde; der neue Einsegnungsanzug
geriet in eine trauervolle Verfassung, und
als ich mich in den Männerstreit mischte,
wurde ich zunächst von beiden Kämpfenden
gemeinschaftlich verhauen und heulte dann
so gewaltig, daß die Eltern herbeieilten, um
mich schleunigst abzusondern und in eine
Kammer zu sperren. In dieser Kammer wurde
u. a. Wäscheblau aufbewahrt. Mit einem
Stück Wäscheblau schrieb ich mit meiner tief
begründeten Entrüstung an die Tür: „Mein
Bruder Hanns ist ein Esel und Fedor Encke
auch." Diese Inschrift hat merkwürdigerweise
die Zeit überdauert. Sie ist erst vor wenigen
Fahren bei einer gründlichen Säuberung
der alten Rumpelkammer abgewaschen wor-
den; bis dahin respektierte man sie als eine
charakteristische Äußerung aus meiner Ju-
gendzeit und als Beitrag zu meiner noch zu
verfassenden Biographie.
Nun war also Hanns von unserm alten
Pastor Hickstein konfirmiert worden und
sollte in Berlin für das Abiturium zurecht-
geknetet werden. Jetzt kam der Sommer Sieb-
zig. Ich war mit meiner Mutter und meiner
Schwester Lia wieder in Spiegelberg, und
da stürzte eines Nachmittags unser Pächter
aufgeregt zu uns und rief uns entgegen:
„Kriegserklärung, meine Herrschaften! Es
geht los!" Es ging auch gleich los. Selbst
die alten Herren schlüpften wieder in die
Uniform: mein Vater, der dicke Onkel Fritz,
der Selchower Onkel — allesamt als Haupt-
leute der Garde-Landwehr. Hanns war ein
schmächtiger sechzehnjähriger Bengel, aber er
wollte natürlich auch mit; Mutter weinte dar-
über, Vater war in loher Begeisterung, die
Onkels fanden den Entschluß ganz selbstver-
ständlich — und richtig, schon vor seinem
siebzehnten Geburtstage trug auch Hanns
Uniform: er war als Freiwilliger bei den
Garde - Füsilieren, den Berliner „Maikäfern",
eingetreten.
Ich sah ihn erst in den Weihnachtsferien 1871
wieder, als ich von Plön aus in die Heimat
reisen durfte. Damals hatte Hanns eben-
falls Urlaub erhalten; er hatte den Feldzug
mitgemacht, sich mittlerweile entschlossen, bei
Mein Bruder Hanns ÜMZrZ-ZrZ-LLr 69
der Waffe zu bleiben, und trug nun schon das
silberne Portepee. Wir trafen zu ungefähr
gleicher Zeit in Berlin ein; Hanns war bei
den Verwandten mit üblicher Herzlichkeit ge-
feiert worden und begrüßte mich in etwas
schwankendem Zustande. Als er dies selbst
merkte, bat er mich um einen Liebesdienst.
Ich mußte ihm in der Küche den Kopf unter
die Wasserleitung halten, bis die Dusche alle
Geister des Weins vertrieben und er seine
Männlichkeit wieder erlangt hatte. Nun
blieb er also beim Regiment, wurde Offizier
und wohnte in der Kaserne; seine erste Zim-
mereinrichtung, fast zu üppig für einen jun-
gen Leutnant, hat er später nach Spiegel-
berg gestiftet, wo sie sich noch befindet und
sozusagen heilig gehalten wird.
Schon um diese Zeit begann er zu schrift-
stellern : zunächst auf militärischem Gebiet. Ein
Freund von ihm, ein früherer Husarenoffizier,
Herr G. von Glasenapp, war zum Verlags-
handel übergegangen und hatte zwei Zeit-
schriften begründet: die „Neuen militärischen
Blätter" und die „Unteroffizier-Zeitung".
Für beide schrieb Hanns seine ersten Artikel,
für die „Neuen militärischen Blätter" besuchte
er auch die Weltausstellung des Jahres 1873
in Wien, wo er in dem dicken Professor Per-
nice, dem berühmten „Falstaff der Diploma-
tie", der die Rechte des depossedierten Kur-
fürsten von Hessen vertrat, einen liebens-
würdigen Führer fand. Das waren also
seine schriftstellerischen Anfänge, und ein
bißchen später fing ich selber an. Ich war
kaum aus dem Kadettenkorps zu einem
Ulanenregiment gekommen, so saß ich auch
schon am Schreibtische und verzapfte ein
belletristisches Unikum, eine sogenannte Hu-
moreske, deren Titel ich vergessen habe, die
aber wahrhaftig angenommen und gedruckt
wurde, und zwar in einem damals erscheinen-
den Witzblatt, das sich „Berliner Fliegende
Blätter" nannte.
Hanns war inzwischen zu dem neugegrün-
deten Eisenbahn-Regiment versetzt worden:
eine Beförderung, über die er anfänglich
nicht sehr glücklich war. Er wäre natür-
lich lieber bei seinen Maikäfern geblieben,
fand aber auch bei den Eisenbahnern einen
angenehmen Kameradenkreis und zudem
einen Dienst, der ihn nach der technischen
Seite hin außerordentlich interessierte. Da
er der sogenannten Betriebsabteilung zu-
erteilt war, so hatte er verhältnismäßig
wenig in der Front zu tun und fand ge-
nügend Zeit, das durch die Kriegsjahre ab-
gebrochene Studium wieder aufzunehmen.
Er schwitzte gewaltig über den Büchern, ohne
dabei die Praxis zu vernachlässigen, und diese
umfassende technische Vorbildung fand ihren
Niederschlag in zahlreichen Aufsätzen und
kam ihm später auch bei seinen größeren
belletristischen Arbeiten zu nutze. Ohne sie
hätte er beispielsweise seine prächtigen Ro-
mane „Arbeit" und „Besiegter Stein" kaum
vollenden können. Jede freie Stunde benutzte
er zu literarischen Studien; er schrieb damals