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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Warstat, Willi: Photographie und Heimatpflege: ein Wort über photographische Heimatmuseen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0700

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588 LEELLEV Or. W. Warstat: Photographie und Heimatpflege

hat in der Architektur eine Zweckform
entwickelt, die nicht nur als solche cha-
rakteristisch, sondern auch im höchsten
Grade künstlerisch ausdrucksvoll ist. Wir
meinen das große Kaufmannshaus, das
Kontorhaus, mit den langen Zeilen seiner
Fenster, seinen übereinandergetürmten
Stockwerken. Die Entwicklung eines solchen
architektonischen Typus müßte das photo-
graphische Heimatmuseum verfolgen von
seinen einfachsten und ältesten Formen bis
hinauf zu den Prunkpalästen der Jetztzeit.
Allerdings besteht eine Gefahr bei der
Ausgestaltung des photographischen Hei-
matmuseums zu einer möglichst vollstän-
digen Registratur der Fülle moderner
Lebensformen. Wer öfter photographische
Sammlungen durchgesehen hat, wird diese
Gefahr richtig zu würdigen verstehen. Die
mechanische Technik der Photographie
macht die Aufnahmen zu eintönig, zu we-
nig abwechslungsreich. Es müßte eine
Qual sein, durch eine solche photographische
Sammlung zu gehen, wenn es keine Mittel
gäbe, um dieser Gefahr zu begegnen.
Aber es gibt ein solches Mittel. Ernst
Juhl hat es bei der Anlage der Hambur-
gischen Staatssammlung in meisterhafter
Weise zur Anwendung gebracht. Er hat
versucht, überall in seinen Bildern neben
dem sachlichen auch den künstlerischen
Gesichtspunkt zu berücksichtigen, er hat
das Interesse an der Erscheinung des
Gegenstandes, an der Art, wie er sich zur
Umgebung, in Licht und Luft stellt, zu
Worte kommen lassen. Er löst bei sei-
nen Aufnahmen die Architektur nicht aus
der landschaftlichen Umgebung, sondern
läßt beides zu einem Gesamteindruck ver-
schmelzen. Musterbeispiele sind die Bilder
aus den Bauerndörfern der Niederelbe.
Er zeigt die Entwässerungsmühlen in der
Elbmarsch uns nicht nur um ihrer sachlichen
Bedeutung, ihrer Konstruktion willen, son-
dern er läßt uns auch die eigentümliche
Stimmung empfinden, die die lange Reihe
der Mühlen in der Marschlandchaft her-
vorbringt. Auch bei Trachten- und Typen-
aufnahmen löst er das Sachliche nicht ab-
strahierend von der Umgebung los, sondern
er zeigt uns den Fischer bei der Arbeit,
den Quartiersmann an der Luke des Spei-
chers beim Ausguck, die sonntäglich ge-
schmückten Frauen beim Kirchgang, das

alte Mütterchen in beschaulicher Ruhe.
Architekturaufnahmen macht er nicht nur
mit der sachlichen Absicht, Aufbau und
Gesetz der Architektonik an ihnen zu zeigen,
das Tote, das Gerippe zu bieten; er will
das Lebendige, das blühende Ganze und
seinen Ausdruck geben.
Was die Berücksichtigung des künstleri-
schen Gesichtspunktes für eine photogra-
phische Sammlung bedeutet, das sieht man
am besten, wenn man eine zweite Samm-
lung ähnlichen Charakters zum Vergleiche
heranzieht. Auf eine Anregung Juhls hin
hat auch das Märkische Museum in Ber-
lin mit der Anlage eines photographischen
Heimatmuseums begonnen. Die gesam-
melten Photographien werden unter dem
Titel „Das malerische Berlin. Bilder
und Blicke" vom Märkischen Museum in
einzelnen Heften herausgegeben.
So dankenswert das Unternehmen an
sich, seiner Tendenz nach, ist, so wenig be-
friedigen eine ganze Anzahl dieser Ber-
liner Aufnahmen, wenn man sie vom künst-
lerischen Standpunkte betrachtet. Zum
Teil sind die Photographien viel zu dunkel
gehalten, es fehlt ihnen Licht, Sonne, Luft
und Wolken, zum Teil sind die Wolken in
die Bilder nachträglich hineinkopiert, auch
da, wo sie nicht hineingehörten. Die Ver-
nachlässigung des Künstlerischen bringt es
mit sich, daß das Mechanische des photogra-
phischen Verfahrens, das Photographische^
im üblen Sinne, sich zu stark in den Vor-
dergrund drängt und zur Eintönigkeit führt.
Das sei eine Warnung für die Zukunft!
Wir wollen hoffen, daß dem Beispiele
Hamburgs und des Märkischen Museums
in Zukunft möglichst viele andere städtische
und staatliche Behörden folgen, daß in
kurzer Frist an möglichst vielen Orten
photographische Heimatmuseen gegründet
werden. Gleichzeitig aber wollen wir
den Wunsch aussprechen, daß überall
neben dem nüchtern Tatsächlichen, dem
rein Gegenständlichen auch das Künstle-
rische, das ästhetische Moment Berücksich-
tigung und Pflege finde. Voraussetzung
dafür ist allerdings, daß sich überall solche
Männer für die Leitung zur Verfügung
stellen, die mit dem Interesse und der Liebe
für das Gegenständliche künstlerischen Blick
und künstlerisches Gefühl verbinden, wie
es bei Juhl in Hamburg der Fall ist.
 
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