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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Heyck, Eduard: Des Meeres und der Liebe Wellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0688

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576 VELLLL Prof. Or. Ed. Heyck: Des Meeres und der Liebe Wellen ILÄLZLLLLiÜ

setzen soll. So stiehlt sie sich denn nachts aus
dem Hause, barfuß über die Klippen ans
Meer, wo sie ihr Hemd um den Kopf windet
— daß nichts gefunden werden könnte —,
und als prachtvoll mit wenigen Worten
gezeichnete Schwimmerin erreicht sie die Insel.
Hier treten nun in der weiteren Ent-
wicklung Meeresfischer auf, wie in der
deutschen auch. Es kommt die trübe Jahres-
zeit, und in einer Nebelnacht behorchen die
Fischer den durch die schwarzkalte Flut hin-
rauschenden schönen Menschenfisch. Sie ent-
decken die Bedeutung des Lichtes, ohne daß
es Margherita ahnt, und machen ihren
Brüdern Mitteilung. Die Rolle der Fischer
ist wohlmeinend und diskret, was wieder
auf das Volkstümliche weist. Die Brüder
beschließen ihrer Schwester Tod, um die
Familienschande zu ersticken. Ter eine kommt
als angeblicher Flüchtling zu dem Mönch
und setzt diesen aus dem Spiel, die andern
beiden befestigen unterdessen auf ihrem Boot
unweit seiner Zelle eine Laterne, und da
Margherita das sehnende Licht gewahrt,
macht sie sich auf den Weg. Das Boot ent-
fernt sich nun langsam nach der offnen See,
zieht sie auf diese Weise mit, bis das Licht
erlischt und die im Finstern verzweifelt um-
herirrende Schwimmerin endlich von ihren
Kräften verlassen untersinkt. Da die Brüder
den Leichnam natürlich nicht bergen können
und dürfen, wird dieser an Teodoros Insel
angespült, der die Geliebte mit vielen Tränen
in seiner Kapelle rosengeschmückt bestattet.
So geht dieseFassung unursprünglich und doch
populärverständlich in eine Moral aus, die
die des Landes und der Zeit ist: die äußere
Ehre. —
Daß ich die „Königskinder" weder für
indogermanisch, noch urgermanisch, sondern
für eine Wandererzählung halte, trat schon
hervor. Ein germanischer Stoff müßte sich
auch bei den Angelsachsen, also in England,
in einer echten Volksform finden, und diese
müßte sich zu der niederdeutschen, die dann
die altsächsische wäre, als nächste Verwandte
fügen. Zitiert werden als englische Paral-
lelen „Willie und Margaret" und „Das
Mädchen am Ufer". In beiden sind Lie-
bende und einmal ein Ufer, was aber doch,
wenn das übrige gänzlich abweicht und an-
deren Stoffen viel näher steht, noch nicht genügt.
Aufgeschrieben hat das Volkslied in der
Königskinderfassung erst im XIX. Jahrhun-
dert Uhland, und zwar erhielt der schwä-
bische feine Sammler es in der niederdeut-
schen Form. Doch können wir die Königs-
kinder auf exakte Weise nach rückwärts ver-
folgen. Nach Schweden ist ersichtlich diese
deutsche Form hinübergewandert, die dort
nur inländisch redigiert ist. Da ist die Kö-
nigstochter umgeben von ihren Hofjungfrauen
in feinem Scharlachtuch, und die Leiche des
Königssohns schwimmt so modisch, wie sich
das für ihn geziemt, mit Hosenband un-
term Knie und Silberschnallenschuh — also
im Kostüm der Zeit um 1700.

Hier blitzt nun ein weiterer Fingerzeig
auf. Auf Widersprüche kommt es dem än-
dernden Volksmund bekanntlich niemals an.
Vorher hatte die schwedische Königstochter
zu dem Geliebten gesagt: „Leg' ab du deine
Kleider und schwimm mit deiner Hand."
Das ist nicht eigentlich volksmäßig. Nur in
der Kunstdichtung wird gerne umständlich
daran gedacht, daß der Schwimmer nackt ist.
Das Volkslied läßt dies als entbehrlich und
eher störend beiseite. In den spät ausge-
zeichneten deutschen Fassungen ist es denn
auch fortgefallen. In der schwedischen ist es
am Schluß der Erzählung zugunsten des
Vornehmeren vergessen. Aber vorher steht
es doch da und bildet einen starken Beweis
für die Herkunft des Volksliedes: für seinen
Zusammenhang mit der literarisch-antiken
Überlieferung.
Doch wir haben diesen Übergang ins Volks-
lied weit älter zu suchen. Das zeigt sich vor allem
darin, wie vielgestaltig, verzwittert und diffe-
renziert die Ballade im deutschen, enger gesagt
im niederdeutsch-niederrheinischenVolksdich-
tungsschatz anzutreffen ist. (Ein in den Kreis
mitgehöriges Lied, worin das Licht und das
Schwimmen vorkommen, haben Arnim und
Brentano nach mündlicher Quelle in das
Wunderhorn ausgenommen. Hier fehlt die
eigentliche Erzählung und dazu auch die eifer-
süchtige Dritte. Dafür spiegelt in dieses Lied
der lyrische Ableger der Königskinder zu-
rück: Ach Elslein, liebes Elslein, Wie gern
wär' ich bei dir! So sein zwei tiefe Wasser
Wohl zwischen dir und mir.) — Daß übrigens
die Eifersüchtige eine „falske Nunne" ist, dürfte
man schwerlich mit dem Mönch Strapparo-
las oder gar mit Heros Priesterinnentum in
kühne Beziehung setzen. Indem eine falsche
Nonne die Liebenden vernichtet, die nie des
Jünglings Frau werden kann, kam in die
Handlung für die Hörer noch eine besondere
tragische Erregung. Für das Alter des Textes
beweist auch die Nonne. Jüngere und pro-
testantische Fassungen, die nicht mehr ver-
standen, weshalb es eine Nonne sein sollte,
haben sie ausgeschaltet und das „falsche
Mensch" eingesetzt. Das Eifersuchtsmotiv
an sich könnte immerhin durch Ovid ange-
regt sein, doch will ich das nur berücksich-
tigen und nicht behaupten.
Interessant ist eine Sondergruppe, die nach
einem Ehehindernis gesucht hat. Die nicht
gänzlich abreißende Fühlung des Volkslieds
mit der literarischen Dichtung ist eben doch
und auch sonst zu spüren. Aus solchem, reli-
giös gedachtem Konflikt entstanden die Balla-
den von der schönenJüdin. Auch sie haben
sich als sehr beliebt verbreitet. Rheinaus bis
in die Schweiz, doch ohne hier noch, wie die
zweu Liebi, in den Dialekt überzugehen, und
nur noch im Fragment, das sich dann wie-
der aus den zwei Königskindern ergänzt.
Immerhin läßt diese Gruppe die Schwimm-
fahrt zu der Geliebten in Verlust kommen.
Das Wasser, über das sie nicht kommen,
wird mehr oder minder aufdringlich das —
 
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