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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
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Semerau, Alfred: Die Amazonen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0305

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Alfred Semerau: Die Amazonen 243

königin Hippolyte ihren Gürtel, das Zeichen
ihrer Herrschaft, zu entreißen; Theseus ent-
führt eine Amazone. Darauf entbrennt ein
wilder Kampf zwischen den verfolgenden
Amazonen und Athen, und hier finden sie
ihren Untergang.
Der Schriftsteller, der am ausführlichsten
der asiatischen Amazonen gedenkt, Herodot,
erzählt in seiner munter naiven, novellen-
mäßigen Art, daß, als die Hellenen mit den
Amazonen Krieg führten, die Hellenen, be-
siegt am Thermodon, auf ihrem Rückzug auf
den Fahrzeugen soviel Amazonen, als sie
lebendig fangen konnten, mit sich genommen,
die Amazonen aber auf der See die Männer
getötet hätten. Darauf wurden die der
Schiffahrt unkundigen Weiber von Wind und
Wellen nach dem Land der freien Skythen
getrieben, wo sie ans Land stiegen, von einer
Weide Pferde raubten und auf ihnen reitend
das Land verheerten. Die Skythen, die
weder Sprache noch Kleidung und Volk
kannten, glaubten, Männer gleichen Alters
zögen gegen sie zu Felde. Erst als sie nach
einem Kampf sich einiger Toten bemächtig-
ten, erkannten sie darin Weiber. Nun ver-
suchten sie eine friedliche Annäherung an sie,
die ihnen auch glückte. Hierauf vereinigten
sie ihre Lager und jeder nahm die zur Frau,
mit der er zuerst beisammen war. Bald
aber zogen sie über den Don und „da woh-
nen sie jetzt noch; daher haben die Frauen
der Sarmaten noch ihre alten Sitten und
jagen zu Pferde mit oder ohne Männer,
ziehen in den Krieg und tragen dieselbe
Kleidung wie die Männer. Betreffs der Ehe
ist die Bestimmung getroffen, daß keine Jung-
frau heiratet, ehe sie einen Mann im Krieg
tötete. Einige von ihnen werden alt, bevor
sie heiraten, indem sie das Gesetz nicht er-
füllen können." Bei dem alten Geographen
Strabo, der die Amazonen in die Berge
über Albanien und an den Fuß des Kau-
kasus setzt, hören wir, daß allen in der Ju-
gend die rechte Brust abgebrannt wird, da-
mit sie sich des Arms zu jedem Gebrauch,
besonders zum Schleudern, bedienen können,
daß sie Pfeile, Streitaxt und Schild haben,
daß sie Kopfbedeckung, Kleidung und Gürtel
aus Tierfellen machen, in den Frühlings-
monaten mit den Gargarenern der Nach-
kommenschaft wegen zusammenkommen, daß
sie die Knaben den Vätern zuschicken, die
Mädchen aber behalten und erziehen.
Neben den asiatischen finden wir afrika-
nische Amazonen, die Diodorus Siculus für
älter als die am Thermodon hält. Im west-
lichen Libyen, am Ende der Welt, soll ein
von Frauen regiertes Volk gelebt haben.
Sie führten Krieg, verpflichteten sich auf eine
bestimmte Zeit des Kriegsdienstes und hatten
solange sich der Männer zu enthalten. Da-
nach vereinigten sie sich der Nachkommen-
schaft wegen mit Männern, behielten jedoch
die öffentlichen Ämter und die Verwaltung
des Allgemeinen ganz für sich. „Die Männer
leben dort wie bei uns die Frauen ein häus-

liches Leben, gehorchen den Befehlen ihrer
Frauen, haben jedoch, weil sie dadurch gegen
ihre Frauen übermütig werden könnten, an
Krieg, Regierung und anderen Staatsge-
schäften keinen Teil. Gleich nach der Geburt
weroen die Knaben den Männern übergeben,
die sie mit Milch und anderer gekochter Speise
gemäß dem Alter der Kinder ernähren. Wird
aber ein Mädchen geboren, so werden ihm
die Brüste abgebrannt, damit sie zur Zeit
der Reife sich nicht erheben, denn man hielt
es für kein geringes Hindernis bei der Füh-
rung der Waffen, wenn die Brüste über den
Leib hervorragten. Wegen dieses Mangels
werden sie auch von den Griechen Amazonen
genannt."
Das wäre aber nur eine Deutung des
Namens. Man hat auch den Namen aus
dem Syrischen abgeleitet, Ammad (Volk des
Ad); aus dem Mythischen; ein Forscher hielt
Am Azzon (d. h. eine starke, kräftige Frau)
für den Stamm des Namens Amazone; ein
anderer bezeichnete sie als solche, die kein
Gerstenbrot aßen, das gewöhnliche Nahrungs-
mittel der Griechen.
Das Reich der europäisch-asiatischen Ama-
zonen läßt sich von seinem sagenhaften Ur-
sprung bis auf Alexander den Großen auf
1300 Jahre annehmen, aber über fast zwei
Drittel dieser Zeit schweigt jede Überliefe-
rung. Sehr früh finden wir sie am Ther-
modon in Kappadozien zwischen dem Kas-
pischen und Schwarzen Meer und in den
kaukasischen Ländern. Von hier machen sie
ihre Feldzüge gegen die Phrygier bei ihrem
Einfall in Kleinasien, wo Bellorophon sie
besiegt; gegen die Griechen vor Troja, wo
sich Penthesilea auszeichnet; nach Attika, wo
Herakles und Theseus ihnen entgegentreten;
an die Donau und endlich zur Zeit Alexan-
ders des Großen. Das sind ihre fünf Haupt-
züge. Die Sagen von den Siegen und Er-
oberungen der libyschen Amazonen zeigen
die Tendenz, sie durch Vorderasien, den Ar-
chipel und Thrakien zum Sitz der europäisch-
asiatischen Amazonen zurückzuführen.
Wenn sie dann nur noch in den Kriegen
des Mithridates gegen die Römer erwähnt
werden, wo wohl bloß griechische Legenden
die Erinnerung an sie weckten, so erleben die
Sagen ihre Wiedergeburt in der Renaissance,
als der Kampf indischer Weiber bei der Ver-
teidigung ihres Landes gegen die weißen
Eindringlinge bei den Gelehrten unter den
Eroberern das Andenken an die klassischen
Überlieferungen wachrief. Enea Silvio, als
Papst Pius II., erzählt in seiner böhmischen
Geschichte die Sage von dem Weiberreich
der Libussa, in der ihr Valaska folgt: Die
Knaben werden durch Ausbrechen des rechten
Auges und Abschneiden des rechten Dau-
mens wehrlos und unschädlich gemacht, und
nach Enea Silvio und Diodor malt Ariost
den Weiberstaat im „Rasenden Roland" im
19. Gesang.
Bei Ariost sind ebenso wie bei Tasso die
Amazonenszenen Episoden. Um die kriege-
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