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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Der Weihnachtsmarkt in Alt-Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0743

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Der Weihnachtsmarkt in Alt-Berlin 627


Der Berliner Weihnachtsmarkt vor dem Königlichen Schloß und an der Schloßfreiheit
Gemälde von Franz Skarbina aus dem Jahre 1892

wohl nicht, daß ich so einer bin?" Worauf
dann wiederum der König dem Prinzen Lud-
wig, erfreut über seinen eleganten Scherz,
lächelnd in die Wange kniff.
Das neunzehnte Jahrhundert räumte
mit solchen derben Sitten auf. Immer
noch war der Besuch des Königs der
Höhepunkt des Weihnachtsmarktes. Fried-
rich Wilhelm III. und die Königin
Luise besuchten ihn. Auch Friedrich
Wilhelm IV. und Wilhelm I. in seiner
ersten Regierungszeit erschienen zwi-
schen den Buden. Kaiser Friedrich als
Kronprinzen haben noch viele unter den
Lebenden in Begleitung seiner Gattin auf
dem Weihnachtsmarkt gesehen, wo er
kaufte, auch zum Scherz um den Preis
feilschte und in vergnügtester Laune sich in
der Volksmenge bewegte. Ringsum wogte
ungeniert das Getümmel der Käufer und
Verkäufer. Die „Knarre" und der „Wald-
teufel", das „Dreierschäfchen" und der
„Hampelmatz" für einen „Sechser" wur-
den zu Tausenden angeboten, und die Ge-
stalten der kleinen Burschen mit den rot-
gefrorenen Nasen, den dicken Fausthand-

schuhen und den wollenen Halstüchern ge-
hörten zu den typischen Berliner Erschei-
nungen.
1884 kam dann der Christmarkt nach
dem Schloßplatz und dem Lustgarten, wo
er sich nur noch neun Jahre seines Lebens
freuen sollte. Er ging dahin. Aber da-
für nahm wenigstens ein anderer Weih-
nachtsgeselle in Berlin seinen Siegeszug:
der Tannenbaum. Das achtzehnte Jahr-
hundert hatte sich noch durchaus mit der
Pyramide begnügt, die schon oben er-
wähnt wurde, der „Perjamide", wie die
Berliner sie mundartig nannten; wir
lernten ihre Herkunft bereits kennen: von
den Kerzenaufbauten der Kirche her. Erst
gegen 1830 wird die Tanne beliebt, und
im zweitenDrittel des Jahrhunderts brachte
die Eisenbahn aus Thüringen und dem
Harz Bäume in großen Mengen nach Ber-
lin. Wenn wir heute den Weihnachtsmarkt
entbehren müssen, so mögen uns die grünen
Waldreviere ein wenig trösten, in die wir
schon drei Wochen vor dem Christfest alle
Plätze und Ecken der Stadt verwandelt
sehen. M. O.

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