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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
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Neues vom Büchertisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0567

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Neues vom Büchertisch 473

einem Jch-Roman, in dem er gemächlich er-
zählt, was er als törichter jugendlicher Aus-
reißer erlebte und erlitt. Wer vor allem
Spannung und Unterhaltung sucht, kommt
bei ihm nicht auf die Kosten. Aber wer den
„Grünen Heinrich" gern einmal aufschlägt,
wer sich mit Freude in schöne Memoiren
vertieft, den möchte ich wohl in den Garten
des neuen Poeten führen. Auch sein Arnold
Lohr ist ein junges Malerlein wie Heinrich
der Grüne; aus Eigensinn und Wandersucht
läuft er kurz vor beendeter Schulzeit dem
Vater davon; die Landstraße führt ihn von
dannen, die Großstadt nimmt ihn auf, aller-
lei kuriose Gesellen kreuzen seine Bahn, auf
doppelte Weise kommt er mit den Behörden
in Konflikt, Kunstfreunde und Kunsthändler
nehmen ihm seine Blätter ab, erste Liebe
packt ihn und endet in grimmer Enttäuschung,
auch allerhand andere Wolkenschatten gehen
noch über sein Himmelsfeld, ehe der Aus-
reißer den Weg zum Vaterhaus zurückfindet.
Es sind nicht immer rühmliche Pfade, die
der Held läuft, nicht immer die besten Kreise,
die er durchmißt; man schüttelt über sein
törichtes Handeln zuzeiten wohl den Kopf —
und dennoch ist man schon nach kurzer Lek-
türe voll froher Zuversicht. Denn hinter der
geschilderten Unreife steht schon Reife, die
alles richtig zu werten weiß, hinter manchen
Unverständigkeiten ein verständiger, kerniger
Mensch, der sich schon durchbeißen wird.
Keller hat einmal von einer seiner Gestalten
gesagt, sie könne nur in Verständigkeit, Ord-
nung und klarer Luft leben: die bürgerliche
Ehre sei ihr zum Atmen notwendig. Unser
Arnold Lohr wird nicht weitab davon liegen,
obwohl er hier höchst unbürgerlich herum-
zigeunert. Auch ihm ist „die Achtung vor
meinen Mitmenschen wie vor mir selbst ein
Bedürfnis, ohne das mir das Leben minder
wert als eine taube Nuß und häßlicher als
ein stinkender Sumpf erschienen wäre". Mag
deshalb auch der Lebensabschnitt, den wir
kennen lernen, nicht besonders horizontreich
sein, mag der Weg des Malerleins verwor-
ren erscheinen, zu keinem Ziel führen und
eben nur eine planlos-bunte „Zigeunerfahrt"
darstellen, — wir freuen uns doch, daß wir
den Weg mitmachen können und daß sich das
Leben in so herzhafter Fülle und in so rich-
tigen Verhältnissen um ihn herumtürmt. Der
sachliche Ernst, das sichere Realgefühl, die
schöne, feste, immer klare Sprache, die ge-
ruhige Erzählung, zu der eine gewisse Um-
ständlichkeit gehört, — alles wirkt zusammen,
um den Eindruck des Ganzen zu verstärken.
Daß aber auch dieser tapfere Schweizer neben
seiner Besinnlichkeit eine schalkhafte Heiterkeit
im Herzen sitzen hat, zeigt sich an dem „un-
nützen" kleinen Abenteuer mit der Wirts-
tochter. Von Arnold Lohr und seiner Zi-
geunerfahrt wollen wir damit scheiden, aber
von dir, Heinrich Ernst Kromer, hoffen wir
noch viel zu hören!
Der gleiche Verlag bringt noch eine an-
dere Neuerscheinung heraus, die sich weit

über das Mittelmaß erhebt: die „Süd-
afrikanischen Novellen" von Hans
Grimm. Hier hat nicht ein kluger und be-
gabter Schriftsteller, der einmal ein paar
Wochen lang nach Afrika hineingerochen hat,
das fremde Milieu dazu benutzt, seine Er-
findungen interessanter und wirkungsvoller
herauszuputzen. Sondern hier kommt einer,
der fünfzehn Fahre lang im schwarzen Erd-
teil gelebt hat und der so voll davon ist,
daß er in die Fülle nur hineinzupacken
braucht. Man spürt es an jeder Zeile, daß
er sich auf sicherem Boden bewegt. Man
sagt sofort: Ja, so ist es und so muß es sein!
Man gibt sich ohne Zweifel und Zagen in
die Führerhand.
Nun würden ja die Erlebnisse und Er-
fahrungen vieler Jahre noch nichts nützen,
wenn nicht ein starkes darstellerisches Talent
hinzukäme, das sie für uns erst lebendig
machte und verwertete. Dieses Talent weicht
keinem starken Stoffe aus, es benützt alle
Tragkraft, die er verleiht, aber es läßt sich
doch niemals von ihm unterkriegen und be-
täuben. Hinter allem Lauten, Äußerlichen,
Grellen steht immer etwas Leises, Inner-
liches, Feines ... etwas, an das man nur
mit feinem Finger rühren darf und das sich
manchmal schamhaft und rätselhaft versteckt.
Es bewahrt den Erzähler vor jeder Über-
treibung, wozu erotische Stoffe erfahrungs-
gemäß zu reizen pflegen. Man lese gleich
die erste Novelle „Dina", die Geschichte des
Wachtmeisters und des Hottentotten- oder
Buschmannweibes: wie prachtvoll und un-
sentimental sie ausklingt. Niemals verliert
Hans Grimm das Augenmaß, ob er vom
schwarzen Bruder John Nukwa oder vom
heimlichen, unchristlichen Seelsorger Johan-
nes, ob er vom Judenjüngelchen Jakob (Kor-
don oder von Friedo und der schönen Tommy
erzählt. Und wie er auch die krassen Stoffe
seelisch durchdringt und fein abtönt, das mag
man selbst nachlesen — etwa in der Auf-
standsnovelle, in der das Schulmädel ein
Weib wird, oder in der erschütternden Ge-
schichte, in der Karel de Savoye sein einzi-
ges Kind erschießen muß. Unter den acht
Erzählungen ist keine einzige, die gleichgül-
tig läßt, wenn ich mir auch vorstellen könnte,
daß dies und jenes künstlerisch noch präg-
nanter herauszubringen wäre. Jedenfalls
ein starkes Buch ... von einer Begabung
geschaffen, die wohl auch dann vorhalten
könnte, wenn die afrikanischen Erinnerungen
sich einst erschöpfen sollten. —
Ziehen wir aus dem großen Büchersack
noch zwei Romane von Frauen über Frauen!
Gute Unterhaltung und vielleicht auch etwas
mehr wird man in dem neuen Werk von
Ida Boy-Ed finden: „Eine Frau wie
Du!" (Berlin, Ullstein L Co.). Auf der See-
fahrt von Lübeck nach Kopenhagen stürzt ein
kleiner Junge über Bord, und ehe man sich
noch fassen kann, ist ihm ein junges Mäd-
chen nachgesprungen und rettet ihn. Die
kühne Tat wird allgemein bewundert, und
 
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