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Vischer, Robert
Studien zur Kunstgeschichte — Stuttgart: Bonz, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.47063#0112
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Tage, welche eine doppelseitige war, ebensowohl ästhetischer
als historischer Natur, nicht so ausschließlich spezialkritisch,
sondern auch mit machtvoller Innigkeit auf das Wesen
gespannt. Was Rumohr, Kolloff und andre Ähnliche über
Raphael's Kunstcharakter geschrieben haben, bewährt heute
noch seine Vorzüglichkeit und ist keineswegs überholt. Sie
haben es meisterhaft verstanden, Das, was in der persischen
Glaubenslehre Ferver genannt wird, Keim und Einheit
seines Wirkens klarer zu legen und eben damit haben sie
uns auch seine wahre Stellung im innern Entwicklungs-
gänge der Malerei zum Bewußtsein gebracht und sich hiedurch
ein hohes Verdienst um die Geschichte der Kunst erworben.
Mit Genugthuung dürfen wir uns daran erinnern,
was deutsche Empfänglichkeit und Vertiefungsgabe hierin
geleistet hat. Wir sollen es nicht vergessen. Dem aller-
wärts bewunderten Urbinaten, diesem Typus italienischen
Menschenadels hat doch das deutsche Auge am Tiefsten in's
Herz geschaut. Er reizt uns wie das Sonnenlicht, dessen
Spektrum unsre Naturforscher analysirt haben. Wir lieben
ihn wie den Frühling, dessen Tröstlichkeit in zahllosen Lied-
ern unsrer Dichter so seelenvoll widerklingt. Er war und
ist wesentlich auch in seiner Kunst ein Frühlingskind. Seine
Erscheinung, sein Schaffen hat etwas durchaus Helles, mühe-
los Triebkräftiges, Blühendes. Ich möchte sagen: Er er-
scheint uns wie Gott dem Propheten im stillen, sanften
Wehen. — Wie seltsam und doch wie natürlich dieses Ver-
hältniß unsrer winterlichen, langsam thauenden, an Licht
und Glanz so viel ärmeren Heimat zu Raphael! Gibt es
einen größeren Gegensatz als den, welcher zwischen unsrem
 
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