Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Vögelin, Salomon; Vögelin, Friedrich Salomon
Denkmaeler der Weltgeschichte: eine Sammlung der hervorragendsten Monumente, grösstentheils nach Originalansichten : geschichtlich und kunsthistorisch erläutert (2. Band): Das Mittelalter und die Neuzeit — Basel: Druck und Verlag von Chr. Krüsi, 1878

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.67256#0465
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
953

Das neunzehnte Jahrhundert.

954

Das waren die Wegweiser, an deren Hand
ein Gilly und sein genialer Schüler Schinkel die
Pfade zur Griechischen Baukunst wiederfanden.
Freilich brachte das damalige Berlin nicht
nur dieser klassischen Richtung, sondern auch
dem verbreiteten Zeitgeschmack seinen Tribut.

Die Bauten von Sanssouci: Friedrich des
Grossen einstöckige Residenz, das prunkvolle
Marmorpalais (von Gontard) und seine Neben-
gebäude (les Communes) zeigen die Formenfülle
und die Fantastik des Rococo, wie die Nüchtern-
heit des s. g. Zopfes (p. 933J.

Das neunzehnte Jahrhundert.

Das neunzehnte Jahrhundert begann, wie
für die Welt überhaupt, so auch für die Kunst
unter den seltsamsten Konstellationen. Die Pa-
role wTar am Schluss des XV111. Jahrhunderts
gewesen und wrar theilweise jetzt noch: Rück-
kehr zur Antike! Nachdem man dabei in
Frankreich beim nackten Gäsarismus ange-
langt war, sollte auch die antike Kunst, dem
neuen Kaiserthum tributär, in demselben wieder
aufleben. Man plünderte also Italien und ver-
setzte seine seit Jahrhunderten als zum Lande
gehörig betrachteten und heilig gehaltenen an-
tiken Bildwerke nach Paris ins Musee Napoleon.
Denn Paris sollte nunmehr, wie der politische
und gesellschaftliche, so auch der künstlerische
und wissenschaftliche Mittelpunkt der Welt
werden. Indessen so wenig als die Deklama-
tionen der Republik vermocht hatten, den nach
Paris geschleppten antiken Bildwerken eine
fortzeugende Kraft einzuhauchen, eben so wenig
waren die Kabinetsbefehle des Kaiserreiches im
Stande, eine neue Kunstära zu schaffen. Wohl
entstunden auf Befehl der Regierung zahllose,
mit dem höchsten Aufwand erstellte Bauten
und Denkmäler. Aber weder die prunkhaften
kaiserlichen Paläste, noch die Siegesmonumente,
noch endlich die überall aufschiessenden Denk-
mäler für die Feldherren der Republik und
des Kaiserreiches haben höheren Kunstwerth.
Entweder sind sie einfache Reproduktionen
von Werken des Alterthums, wie der Triumf-
bogen im Tuilerienhof, der nach dem Severus-

bogen (s. p. 428), oder die Vendöme-Säule, die
nach der Trajans-Säule (s. p. 453), kopirt ist:
oder es sind styllose Versuche auf eigene Hand,
wie der Triumfbogen »de l’Etoile« in den s. g.
»Elysäischen Feldern« — in keinem Falle also,
wie man sich einbildete, Marksteine einer neuen
Kunstblüthe. Man käme angesichts dieser Werke
kaum auf den Gedanken, dass man seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts so eifrig das
Griechische Alterthum studirt und seine
Ueberreste publizirt hatte. (Vgl. Stuart and
Revett, The antiquities of Athens and other
Monuments of Greece, seit 1762 -.Saint-Non,
Voyage pittoresque ou description des royaumes
de Naples et de Sicile, 1781— 85, Hamiltons
Publikationen Griechisch-Etruskischer Vasen-
bilder etc.) Noch weniger sollte man vermuthen,
dass in den letzten Dezennien vor der Revo-
lution in Kunst und Kunsthandwerk eine feine
und geschmackvolle Renaissance der antiken
Dekorationsformen herrschte (vgl. p. 934). Aber
freilich, das war eine Ausgeburt der verhassten
und verachteten Feudalzeit gewesen, und um
keinen Preis durfte an ihre Traditionen ange-
knüpft werden. Das Kaiserreich brauchte einen
neuen antiken Styl, es kommandirte ihn, und er
ward so, wie er werden musste.
Während so Frankreich das Alterthum
zu reproduziren, wo möglich zu über-
bieten suchte, unterzog sich der D eutsch e
Genius der mühevolleren und geräuschloseren,
aber fruchtbareren Aufgabe, das Alterthum
 
Annotationen