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Donnerstag, den 18. September 1932
2. Jahrg. / Nr. 206
Reichsregierung und die ihr nahestehende
Presse Aeußerungen gebracht hat, bezw. Ge-
rüchten nicht entgegengetreten ist, wonach
die Aeichsregierung fest entschlossen war,
die Auflösung herbeizuführen, bevor eine
Abstimmung über das Mißtrauen oder die
Aufhebung der Notverordnungen statkfinden
könnte. Nachdem bekannt geworden war,
daß eine Abstimmung stallfinden sollte, hak
der Herr Reichskanzler, wie ich später er-
fuhr, bei seinem Eintritt recht ostentativ und
in einer für den Reichstag verletzenden
Form mit der roten Mappe gegen die Dip-
lomakenloge hinaufgewinkt. Vor allem aber
wird dieser Zusammenhang bestätigt durch
den Wortlaut der Auflösungsorder selbst.
Es sollte also von vorne herein die Abstim-
mung unmöglich gemacht werden.
Die Aufhebung einer Notverordnung ge-
hört zu den verfassungsmäßigen Rechten des
Reichstages, und zwar ist dem Reichstag
dieses Recht der Aufhebung eingeräumk wor-
den als Regulativ gegenüber einer Re-
gierung, die sich anmaßen sollte, willkürlich
Anordnungen und Bestimmungen auf dem
Wege von Notverordnungen zu erlassen, um
somit Verfassung und Volkshoheit jederzeit
zu garantieren. Wenn nun ein Reichstag
jedes Mal aufgelöst werden soll, weil die
„Gefahr" bestehl, daß er ein durch die Ver-
fassung gegebenes Recht, ja eine durch die
Verfassung auferlegke Pflicht im Interesse
des Volkes ausübt, so bedeutet dies eine
dem Sinn der Verfassung widersprechende
Handlung. Es wird somit praktisch der
Deutsche Reichstag als Vertretung des sou-
veränen Volkes, als gesetzgebender Körper
und als Organ der Steuerbewilligung voll-
ständig ausgeschaltet. Es könnte eine Re-
gierung jede Maßnahme verfügen, ohne daß
das Volk durch seine rechtmäßig gewählte
Vertretung die Möglichkeit hätte, sich dage-
gen zu wehren. Der Gedanke der Volks-
souveränität und der erste Grundsatz unserer
Verfassung: „Die Staatsgewalt geht vom
Volke aus" würde durch eine derartige Hal-
tung verletzt.
Ich sehe mich daher verpflichtet, hochver-
ehrter Herr Reichspräsident, gegen die Be-
gründung des Auflösungsdekrets vor dem
ganzen deutschen Volke feierlichst Protest
einzulegen, da als Präsident des deut-
schen Reichstages hierin eine Verletzung der
Rechte der deutschen Volksvertretung er-
blicke. , »r-
Gewiß sind Sie, Herr Reichspräsi-
dent, vor vier Monaten gewählt wor-
den. Aber es muß betont werden,
daß auch der Reichstag, und zwar, was
hierbei von Bedeutung ist, zu einem
späteren Datum, ebenfalls durch das
deutsche Volk als feine Vertretung
gewählt worden ist. Wenn die Re-
gierung Popen heute glaubt, in ver-
ächtlicher Weise von den politischen
Parteien Deutschlands sprechen und
dieselben bekämpfen zu können, so
vergißt diese Regierung, daß die Or-
ganisation des politischen Lebens ver-
sassungsgemäß parteimäßig ihren Aus-
druck finde! und daß ja schließlich auch
die Wahl des Reichspräsidenten durch
die Organisation dieser Parteien und
mit ihrer Hilfe bewerkstelligt wurde.
Die politische Millensbildung der Nation
kann sich verfassungsmäßig nur durch Par-
teien dokumentieren. Will man die poli-
tischen Parteien restlos ausschalten, bezw.
vernichten, so schaltet man faktisch den
Volkswillen selbst aus und wendet sich da-
mit gegen den Geist und Willen der deut-
schen Reichsverfassung.
Ich kann mich des Eindrucks nicht er-
wehren, daß es der Regierung Papen in
erster Linie darauf ankpm, vor Ihnen, hoch-
verehrter Herr Reichspräsident, vor dem
deutschen Volke und vor dem gesamten Aus-
land zu verschleiern, auf welch erschreckend
schmaler Basis diese Regierung steht, und
daß aus diesem Grunde eine derartige Ab-
stimmung vermieden werden sollte. Nun ist
in aller Oeffentlichkeit durch eine rechtsgül-
tige Abstimmung dargelegt, daß diese Re-
gierung so gut wie keine Gefolgschaft im
deutschen Volke hat, daß der Regierung
Papen ein vernichtendes Mißtrauen durch
das deutsche Volk ausgesprochen wurde.
Ich darf Sie versichern, hochverehrter
Herr Reichspräsident, daß das deutsche
Volk sich zur Zeit in einem Zustand namen-
loser Unruhe und Empörung befindet, weil
dieses Volk empfindet, daß seine in
der Verfassung nieder gelegten
Grundrechte in Gefahr sind. Das
Volk kann und wird es nicht verste-
hen, daß es weiterhin regiert werden soll
von einer Zahl von Männern, der soeben
durch den Reichstag bestätigt wurde, daß
sie sich auf keinerlei Vertrauen des Volkes
berufen könne. So wertvoll die Autorität
Eurer Exzellenz für eine Regierung sein
mag, so darf nicht übersehen werden, daß
das Vertrauen des Reichspräsidenten zur
jeweiligen Regierung seine Ergänzung fin-
Ein heuchlerischer Aufruf Hugenbergs
Sie liiMMMMneniMtW»
Herr Brosius, der sich hochfahrend Pres-
sechef der Deukschnationalen Volkspartei
nennt, hat sich wieder einmal zu einer Tat
aufgerafft und uns die besten Ratschläge
mit auf den Weg gegeben. Herr Brosius
scheint der Ansicht zu sein, Adolf Hitler
bedürfe seiner Hilfe. Voll trauernder Liebe
gedenkt er der Zeiten, da wir Nationalsozia-
listen noch leichter zu verdauen waren, weil
sich die DNVP noch nicht offen gezeigt hatte
und wir erst auf den Angriff warteten. Vä-
terlich ermahnt er uns dann, doch ja den be-
schrittenen Weg nicht weikerzugehen, und
meint nach der Art eines gutmütigen On-
kels, unsere Streiche seien aber auch gar zu
schlimm. Wir wären nicht mehr revolutio-
när, weil wir den Reichstag forderten. Der
Herr Brosius scheint der Ansicht zu sein,
daß revolutionär und sozialrevolutionär das-
selbe wären. Ja, ja, so ist es schon, nun se-
hen sich Herr Hugenberg und sein Presse-
chef um die schönsten Lebenshoffnungen be-
trogen. Die bösen Nazi lassen sich nicht be-
lehren, und Hugenbergs Chef vom Dienst
wird feine Künste an anderen Elementen
versuchen müssen. Wir antworten mit Hit-
lers Ausspruch: „Dafür eignen wir uns
nicht!"
den muß in dem Vertrauen des deutschen
Volkes.
Ich darf daher der berechtigten Hoffnung
Ausdruck geben, daß Sie, hochverehrter
Herr Reichspräsident, die zu Recht erfolgte
Abstimmung berücksichtigen werden und eine
Regierung, die vom deutschen Volke mit
überwältigender Mehrheit abgelehnt worden
ist, ebenfalls Ihr Vertrauen entziehen. Der
Reichstag ist vom Volk gewählt worden.
Reichspräsident und Reichstag gehören nach
ihren eigenen Worten zusammen. Beide
müssen sich ergänzen, damit der Wille des
Volkes oberstes Gesetz bleibt.
Dieser meiner Auffassung hat sich der
Ausfchuß zur Wahrung der Volksrechte im
wesentlichen angeschlossen.
Mit der Versicherung meiner vorzüg-
lichen Hochachtung habe ich die Ehre zu sein
Eurer Exzellenz ergebenster
sgez.) Göring.
Berlin, 14. Sept. Hugenberg hak im
Namen der Deutschnationalen Volkspartei
einen Aufruf erlaßen, in dem es heißt:
„Der fünfte Wahlkampf dieses Jahres
scheint bevorzustehen. Die Deutschnationale
Volkspartei ist für diesen Kampf bereit.
Wir rufen alle nationalen Deutschen in
Stadt und Land, die mit uns für die Be-
freiung von den Fesseln von Versailles, für
Wehrfreiheik, für Brot und Arbeit, für
christlich-deutsche Kultur und für die Zukunft
unserer Kinder Kämpfen. Ihnen allen sind
unfere Tore weit geöffnet. Wir wenden
uns auch an unsere alten Bundesgenossen
innerhalb der NSDAP. Den Toung-Plan
haben wir zusammen leidenschaftlich be-
kämpft. Gegen die Schwarzen und gegen
die Roten ging es. Gegen das System Brü-
ning haben wir Schwüre ausgetauscht. Wir
blieben uns treu. Wir haben uns nie mit
einem von denen zusammengetan oder ihn
als Heil einer „nationalen Reichstagsmehr-
heit" begrüßt, die zu den Trägern des ge-
meinsam bekämpften alten Systems gehör-
ten. Es ist eine unbegreifliche Verirrung,
wenn die nationalsozialistische Fraktion nicht
nur die Hilfe des Zentrums, sondern sogar
der Sozialdemokraten und Kommunisten und
die Waffen des Parlamentarismus gegen
das heutige Kabinett in Anspruch nimmt.
Zu den Waffen, mit denen die Nationalso-
zialisten diesen blinden und wunderlichen
Kampf führen, gehören viele alte marxistische
Schlagworte, darunter das Wort „Reak-
tion". Ist Reaktion die Reinigung des
preußischen Staates? Ist Kampf für Wehr-
freiheit Reaktion? Ist Arbeitsbeschaffung
Reaktion? Reaktion ist heute die Herr-
schaft der Partei und der Bonzen. Solange
das System von Weimar besteht, müssen wir
Partei sein. Aber in dem Maße, in dem
das Morgenrot eines organischen Volks-
Das Fehlen der WiAeilslMel Mgelliirt
Reichstagspräsident Göring gerechtfertigt
Berlin, 14. Sept. Zu der Tatsache,
daß der gestrige erste Brief des Reichstags-
präsidenten an den Reichspräsidenten die
übliche Höflichkeitsformel nicht enthielt, ver-
laute! nunmehr, daß die Form dieses Brie-
fes am heutigen Mittwoch Gegenstand einer
Aussprache zwischen dem Direktor beim
Reichstag und dem Staatssekretär des
Reichspräsidenten war. Der Direktor beim
Reichstag wies hierbei darauf hin, daß
dieses Schreiben nicht als ein persönlicher
Brief des Reichslagspräsidenten au den
Reichspräsidenten, sondern als die amtliche
Notifizierung eines Beschlusses eines Reichs-
tagsausschusses anzusehen sei und daher in
der für die Ilebermitklung solcher Beschlüsse
üblichen geschäftsmäßigen Form geschehen
sei. Irgendeine Absicht sei daher in der
formellen Abfassung des Schreibens nicht
zu erblicken, im Gegenteil hätte der Reichs-
lagspräsidenk zunächst das Fehlen der Höf-
lichkeitsfloskeln bemängelt und erst nach der
ihm gewordenen Mitteilung, daß dies die
übliche Form sei, sich mit der Weglassung
einverstanden erklärt. Der Reichspräsident
hat von dieser Darstellung Kenntnis genom-
men und die Angelegenheit als erledigt be-
zeichnet.
*
Damit ist das Verhalten des Reichs-
kagspräsidenken glänzend gerechtfertigt und
der reaktionäre Pressemob mit seiner Hetze
in dieser Angelegenheit böse reingefallen.
Die Katastrophenparteien
als Gouvernanten
Großes Gegacker im jüdischen Presse-
wald Hub gestern an, weil Pg. Reichstags-
präsident Göring in einem Schreiben an den
Reichspräsidenten die Höflichkeitsformeln
weggelassen hak. Die „Frankfurter Zeitung"
spricht von einer Taktlosigkeit ganz be-
fonderer Art. Zu dieser völlig unbe-
gründeten und künstlichen Aufregung
der Iudenpresse und ihrer reaktionären
Freundinnen erklärt die Pressestelle der
NSDAP, daß es nach Mitteilung des
Direktors beim Reichstag, Geheimrat Galle,
bisher üblich gewesen sei, bei allen amtlichen
Berichten des Aeichstagsausschusses jede
Höflichkeiksformel fortzulassen. Reichstags-
präsident Göring hatte fosort Geheimrat
Galle beauftragt, bei der Reichsregierung
vorstellig zu werden mit dem Ersuchen, im
Rundfunk und in der Presse die heutige
falsche Darstellung des Sachverhaltes zu be-
richtigen.
staates aufsteigt, fühlen wir uns als die
Träger der künftigen Volksgemeinschaft".
*
Soviel Worte, soviel Lügen und Phra-
sen. Die Lockungen an die „alten Bundes-
genossen" innerhalb der NSDAP dürften
vergeblich sein, und die weikgeöffneken Tore
werden nutzlos offen stehen. Wer einmal
den Weg zu uns gefunden hat, kehrt nicht
mehr zu der Reaktion des Herrn Alfred
Hugenberg zurück. Es ist eine,, unbegreif-
liche Verirrung" des Herrn Hugenberg,
wenn er behauptet, wir würden uns beim
Zentrum anbiedern. Herr Hugenberg und
sein vornehmer Klüngel kann uns wohl kei-
nen Vorwurf daraus konstruieren, wenn
das Zentrum sich unserer Auffassung nähert,
und sie unterstützt, während er selber hinter
dem Zenkrumsmann von Papen herrennl.
Im übrigen ist gerade dieser Vorwurf des
„verbannten" Diktators Hugenberg, daß die
NSDAP mit dem Zentrum paktiere, eine
unverschämte Heuchelei. Wo und wann ha-
ben wir Nationalsozialisten jemals mit dem
Zentrum paktiert oder regiert? Nirgends!
Doch die Deulschnalionalen saßen jahrelang
in Bayern und in Württemberg und auch
im Reiche mit dem Zentrum in der Regie-
rung zusammen, genossen mit ihnen alle
Pfründen, während das Volk immer mehr
verelendete! Nein, Herr Hugenberg, Reak-
tion ist nicht das, was Sie interpretieren.
Reaktion sind Sie und die Herrschaften vom
Herrenklub, ist jene einzige Clique, die
das Erbe der Väter widerstandslos vernich-
ten ließ, die es nicht verstand, der Jugend
Führer zu sein und die sich heute anmaßt,
den Enterbten ihre volksfremden Gesetze zu
diktieren, die sich weiter anmaßt, das er-
wachende Deutschland um die Früchte seines
Kampfes zu bringen, und diese Zweckmanö-
ver in schillernde Phrasen kleidet, um hinter
der Maske schöner Worte das wahre Ge-
sicht zu tarnen. Diesen „nationalen" Krä-
mern und Romantikern rufen wir zu:
Eure Idee ist falsch, euer Fronkgeist
erkünstel! und erlogen. Ihr hab!
den Geist von 1914 verraten!
Wir Kämpfen nicht als Glieder des par-
lamentarischen Systems, wenn wir noch ein-
mal zur Wahlurne schreiten. Wir geben
keinen Pfifferling für die Errungenschaften
der Weimarer Demokratie. Wir nutzen sie
aber zu ihrer Ueberwindung. Mögen sich
die Deukschnationalen während unseres lei-
denschaftlichen Kampfes solange „in dem
Maße, in dem das Morgenrot eines orga-
nischen Volksstaates aufsteigt, als Träger
der künftigen Volksgemeinschaft fühlen."
Sie werden in diesem abwartend herrlichen
Gefühl den Tag verträumen, an dem der
Nationalsozialismus diesen erkämpften or-
ganischen Volksskaat regiert.
Pfälzer Bauern fordern Rücktritt
des Neichsernährungsministers
Freinsheim. Aus einer hier abgehalte-
nen Sitzung der Pfälzer Bauernschaft des
Bezirks Frankenthal und der nationalsozia-
listischen Bauernzellen wurde auf einstimmi-
gen Beschluß der Versammlung hin folgen-
des Telegramm an den Reichsernährungs-
minister gesandt:
„Vermissen Erfüllung gegebener Ver-
sprechungen. Rücktritt erforderlich. Pfäl-
zer Bauernschaft .Bezirk Frankenthal."
Nationalsozialist ermordet
Potsdam. Am Dienstag abend wurde
der Arbeiter Walter Meißner am Born-
stedter Feld mit einem schweren Brustschuß
aufgefunden. Meißner wurde in das städt.
Krankenhaus nach Potsdam gebracht, wo er
in der Nacht gestorben ist. Es bestehl Mord-
verdacht gegen zwei Bornimer Arbeiter.
Meißner war früher Angehöriger der Kom-
munistischen Partei und ist später zu den
Nationalsozialisten übergetreten.
Kommunistische Geheim-
druckerei ausgehoSeu
Berlin, 14, Sept. Wie der Polizei-
präsident mikkeilt, wurde am Mittwoch eine
kommunistische Geheimdruckerei, in der ein
Ersatzblakk für die „Roke Fahne" hergestellk
wird, ausgehoben. Dabei wurden mehr als
50000 bereits fertiggeskellte Exemplare der
„Roten Skurmfahne" beschlagnahmt. Sieben
Personen wurden noch bei der Druckarbeik
sestgenommen. Einer der Festgenommenen
sprang aus dem in voller Fahrk befindlichen
Personenkraftwagen heraus und lief fort.
Er konnte wieder eingefangen werden.
Die „Roke Skurmfahne" stellt seit Jahren
das hauptsächlichste illegale Organ der Kom-
munistischen Partei dar.
Der Inhalt des beschlagnahmten Blattes
fordert zum Massenstreik auf und beschimpft
in bisher unerreichter Weise Regierung und
Staatsbeamte. Als Drnckvermerk ist eine
nicht bestehende Firma in Düsseldorf ange-
geben.
Ein Neichskuratorinm
für Iugendertüchtigung
Berlin, 14. Sept. Der Reichspräsident
hak mit einem vom Reichskanzler und
Reichsmimster des Innern gegengezeichneken
Erlaß, ein Reichsburakorium für Iugender-
küchtigung berufen. Vorsitzender ist der
Reichsminister des Innern und geschäfts-
führender Präsident General der Infanterie
a. D. Edwin von Skülpnagel.
Wes Wem!» riliSrktnln
Buenos Aires. Wie aus Santiago de
Chile gemeldet wird, ist die chilenische Re-
gierung zurückgetreten. Dr. Davila wird
die Neubildung des Kabinetts vornehmen.
Donnerstag, den 18. September 1932
2. Jahrg. / Nr. 206
Reichsregierung und die ihr nahestehende
Presse Aeußerungen gebracht hat, bezw. Ge-
rüchten nicht entgegengetreten ist, wonach
die Aeichsregierung fest entschlossen war,
die Auflösung herbeizuführen, bevor eine
Abstimmung über das Mißtrauen oder die
Aufhebung der Notverordnungen statkfinden
könnte. Nachdem bekannt geworden war,
daß eine Abstimmung stallfinden sollte, hak
der Herr Reichskanzler, wie ich später er-
fuhr, bei seinem Eintritt recht ostentativ und
in einer für den Reichstag verletzenden
Form mit der roten Mappe gegen die Dip-
lomakenloge hinaufgewinkt. Vor allem aber
wird dieser Zusammenhang bestätigt durch
den Wortlaut der Auflösungsorder selbst.
Es sollte also von vorne herein die Abstim-
mung unmöglich gemacht werden.
Die Aufhebung einer Notverordnung ge-
hört zu den verfassungsmäßigen Rechten des
Reichstages, und zwar ist dem Reichstag
dieses Recht der Aufhebung eingeräumk wor-
den als Regulativ gegenüber einer Re-
gierung, die sich anmaßen sollte, willkürlich
Anordnungen und Bestimmungen auf dem
Wege von Notverordnungen zu erlassen, um
somit Verfassung und Volkshoheit jederzeit
zu garantieren. Wenn nun ein Reichstag
jedes Mal aufgelöst werden soll, weil die
„Gefahr" bestehl, daß er ein durch die Ver-
fassung gegebenes Recht, ja eine durch die
Verfassung auferlegke Pflicht im Interesse
des Volkes ausübt, so bedeutet dies eine
dem Sinn der Verfassung widersprechende
Handlung. Es wird somit praktisch der
Deutsche Reichstag als Vertretung des sou-
veränen Volkes, als gesetzgebender Körper
und als Organ der Steuerbewilligung voll-
ständig ausgeschaltet. Es könnte eine Re-
gierung jede Maßnahme verfügen, ohne daß
das Volk durch seine rechtmäßig gewählte
Vertretung die Möglichkeit hätte, sich dage-
gen zu wehren. Der Gedanke der Volks-
souveränität und der erste Grundsatz unserer
Verfassung: „Die Staatsgewalt geht vom
Volke aus" würde durch eine derartige Hal-
tung verletzt.
Ich sehe mich daher verpflichtet, hochver-
ehrter Herr Reichspräsident, gegen die Be-
gründung des Auflösungsdekrets vor dem
ganzen deutschen Volke feierlichst Protest
einzulegen, da als Präsident des deut-
schen Reichstages hierin eine Verletzung der
Rechte der deutschen Volksvertretung er-
blicke. , »r-
Gewiß sind Sie, Herr Reichspräsi-
dent, vor vier Monaten gewählt wor-
den. Aber es muß betont werden,
daß auch der Reichstag, und zwar, was
hierbei von Bedeutung ist, zu einem
späteren Datum, ebenfalls durch das
deutsche Volk als feine Vertretung
gewählt worden ist. Wenn die Re-
gierung Popen heute glaubt, in ver-
ächtlicher Weise von den politischen
Parteien Deutschlands sprechen und
dieselben bekämpfen zu können, so
vergißt diese Regierung, daß die Or-
ganisation des politischen Lebens ver-
sassungsgemäß parteimäßig ihren Aus-
druck finde! und daß ja schließlich auch
die Wahl des Reichspräsidenten durch
die Organisation dieser Parteien und
mit ihrer Hilfe bewerkstelligt wurde.
Die politische Millensbildung der Nation
kann sich verfassungsmäßig nur durch Par-
teien dokumentieren. Will man die poli-
tischen Parteien restlos ausschalten, bezw.
vernichten, so schaltet man faktisch den
Volkswillen selbst aus und wendet sich da-
mit gegen den Geist und Willen der deut-
schen Reichsverfassung.
Ich kann mich des Eindrucks nicht er-
wehren, daß es der Regierung Papen in
erster Linie darauf ankpm, vor Ihnen, hoch-
verehrter Herr Reichspräsident, vor dem
deutschen Volke und vor dem gesamten Aus-
land zu verschleiern, auf welch erschreckend
schmaler Basis diese Regierung steht, und
daß aus diesem Grunde eine derartige Ab-
stimmung vermieden werden sollte. Nun ist
in aller Oeffentlichkeit durch eine rechtsgül-
tige Abstimmung dargelegt, daß diese Re-
gierung so gut wie keine Gefolgschaft im
deutschen Volke hat, daß der Regierung
Papen ein vernichtendes Mißtrauen durch
das deutsche Volk ausgesprochen wurde.
Ich darf Sie versichern, hochverehrter
Herr Reichspräsident, daß das deutsche
Volk sich zur Zeit in einem Zustand namen-
loser Unruhe und Empörung befindet, weil
dieses Volk empfindet, daß seine in
der Verfassung nieder gelegten
Grundrechte in Gefahr sind. Das
Volk kann und wird es nicht verste-
hen, daß es weiterhin regiert werden soll
von einer Zahl von Männern, der soeben
durch den Reichstag bestätigt wurde, daß
sie sich auf keinerlei Vertrauen des Volkes
berufen könne. So wertvoll die Autorität
Eurer Exzellenz für eine Regierung sein
mag, so darf nicht übersehen werden, daß
das Vertrauen des Reichspräsidenten zur
jeweiligen Regierung seine Ergänzung fin-
Ein heuchlerischer Aufruf Hugenbergs
Sie liiMMMMneniMtW»
Herr Brosius, der sich hochfahrend Pres-
sechef der Deukschnationalen Volkspartei
nennt, hat sich wieder einmal zu einer Tat
aufgerafft und uns die besten Ratschläge
mit auf den Weg gegeben. Herr Brosius
scheint der Ansicht zu sein, Adolf Hitler
bedürfe seiner Hilfe. Voll trauernder Liebe
gedenkt er der Zeiten, da wir Nationalsozia-
listen noch leichter zu verdauen waren, weil
sich die DNVP noch nicht offen gezeigt hatte
und wir erst auf den Angriff warteten. Vä-
terlich ermahnt er uns dann, doch ja den be-
schrittenen Weg nicht weikerzugehen, und
meint nach der Art eines gutmütigen On-
kels, unsere Streiche seien aber auch gar zu
schlimm. Wir wären nicht mehr revolutio-
när, weil wir den Reichstag forderten. Der
Herr Brosius scheint der Ansicht zu sein,
daß revolutionär und sozialrevolutionär das-
selbe wären. Ja, ja, so ist es schon, nun se-
hen sich Herr Hugenberg und sein Presse-
chef um die schönsten Lebenshoffnungen be-
trogen. Die bösen Nazi lassen sich nicht be-
lehren, und Hugenbergs Chef vom Dienst
wird feine Künste an anderen Elementen
versuchen müssen. Wir antworten mit Hit-
lers Ausspruch: „Dafür eignen wir uns
nicht!"
den muß in dem Vertrauen des deutschen
Volkes.
Ich darf daher der berechtigten Hoffnung
Ausdruck geben, daß Sie, hochverehrter
Herr Reichspräsident, die zu Recht erfolgte
Abstimmung berücksichtigen werden und eine
Regierung, die vom deutschen Volke mit
überwältigender Mehrheit abgelehnt worden
ist, ebenfalls Ihr Vertrauen entziehen. Der
Reichstag ist vom Volk gewählt worden.
Reichspräsident und Reichstag gehören nach
ihren eigenen Worten zusammen. Beide
müssen sich ergänzen, damit der Wille des
Volkes oberstes Gesetz bleibt.
Dieser meiner Auffassung hat sich der
Ausfchuß zur Wahrung der Volksrechte im
wesentlichen angeschlossen.
Mit der Versicherung meiner vorzüg-
lichen Hochachtung habe ich die Ehre zu sein
Eurer Exzellenz ergebenster
sgez.) Göring.
Berlin, 14. Sept. Hugenberg hak im
Namen der Deutschnationalen Volkspartei
einen Aufruf erlaßen, in dem es heißt:
„Der fünfte Wahlkampf dieses Jahres
scheint bevorzustehen. Die Deutschnationale
Volkspartei ist für diesen Kampf bereit.
Wir rufen alle nationalen Deutschen in
Stadt und Land, die mit uns für die Be-
freiung von den Fesseln von Versailles, für
Wehrfreiheik, für Brot und Arbeit, für
christlich-deutsche Kultur und für die Zukunft
unserer Kinder Kämpfen. Ihnen allen sind
unfere Tore weit geöffnet. Wir wenden
uns auch an unsere alten Bundesgenossen
innerhalb der NSDAP. Den Toung-Plan
haben wir zusammen leidenschaftlich be-
kämpft. Gegen die Schwarzen und gegen
die Roten ging es. Gegen das System Brü-
ning haben wir Schwüre ausgetauscht. Wir
blieben uns treu. Wir haben uns nie mit
einem von denen zusammengetan oder ihn
als Heil einer „nationalen Reichstagsmehr-
heit" begrüßt, die zu den Trägern des ge-
meinsam bekämpften alten Systems gehör-
ten. Es ist eine unbegreifliche Verirrung,
wenn die nationalsozialistische Fraktion nicht
nur die Hilfe des Zentrums, sondern sogar
der Sozialdemokraten und Kommunisten und
die Waffen des Parlamentarismus gegen
das heutige Kabinett in Anspruch nimmt.
Zu den Waffen, mit denen die Nationalso-
zialisten diesen blinden und wunderlichen
Kampf führen, gehören viele alte marxistische
Schlagworte, darunter das Wort „Reak-
tion". Ist Reaktion die Reinigung des
preußischen Staates? Ist Kampf für Wehr-
freiheit Reaktion? Ist Arbeitsbeschaffung
Reaktion? Reaktion ist heute die Herr-
schaft der Partei und der Bonzen. Solange
das System von Weimar besteht, müssen wir
Partei sein. Aber in dem Maße, in dem
das Morgenrot eines organischen Volks-
Das Fehlen der WiAeilslMel Mgelliirt
Reichstagspräsident Göring gerechtfertigt
Berlin, 14. Sept. Zu der Tatsache,
daß der gestrige erste Brief des Reichstags-
präsidenten an den Reichspräsidenten die
übliche Höflichkeitsformel nicht enthielt, ver-
laute! nunmehr, daß die Form dieses Brie-
fes am heutigen Mittwoch Gegenstand einer
Aussprache zwischen dem Direktor beim
Reichstag und dem Staatssekretär des
Reichspräsidenten war. Der Direktor beim
Reichstag wies hierbei darauf hin, daß
dieses Schreiben nicht als ein persönlicher
Brief des Reichslagspräsidenten au den
Reichspräsidenten, sondern als die amtliche
Notifizierung eines Beschlusses eines Reichs-
tagsausschusses anzusehen sei und daher in
der für die Ilebermitklung solcher Beschlüsse
üblichen geschäftsmäßigen Form geschehen
sei. Irgendeine Absicht sei daher in der
formellen Abfassung des Schreibens nicht
zu erblicken, im Gegenteil hätte der Reichs-
lagspräsidenk zunächst das Fehlen der Höf-
lichkeitsfloskeln bemängelt und erst nach der
ihm gewordenen Mitteilung, daß dies die
übliche Form sei, sich mit der Weglassung
einverstanden erklärt. Der Reichspräsident
hat von dieser Darstellung Kenntnis genom-
men und die Angelegenheit als erledigt be-
zeichnet.
*
Damit ist das Verhalten des Reichs-
kagspräsidenken glänzend gerechtfertigt und
der reaktionäre Pressemob mit seiner Hetze
in dieser Angelegenheit böse reingefallen.
Die Katastrophenparteien
als Gouvernanten
Großes Gegacker im jüdischen Presse-
wald Hub gestern an, weil Pg. Reichstags-
präsident Göring in einem Schreiben an den
Reichspräsidenten die Höflichkeitsformeln
weggelassen hak. Die „Frankfurter Zeitung"
spricht von einer Taktlosigkeit ganz be-
fonderer Art. Zu dieser völlig unbe-
gründeten und künstlichen Aufregung
der Iudenpresse und ihrer reaktionären
Freundinnen erklärt die Pressestelle der
NSDAP, daß es nach Mitteilung des
Direktors beim Reichstag, Geheimrat Galle,
bisher üblich gewesen sei, bei allen amtlichen
Berichten des Aeichstagsausschusses jede
Höflichkeiksformel fortzulassen. Reichstags-
präsident Göring hatte fosort Geheimrat
Galle beauftragt, bei der Reichsregierung
vorstellig zu werden mit dem Ersuchen, im
Rundfunk und in der Presse die heutige
falsche Darstellung des Sachverhaltes zu be-
richtigen.
staates aufsteigt, fühlen wir uns als die
Träger der künftigen Volksgemeinschaft".
*
Soviel Worte, soviel Lügen und Phra-
sen. Die Lockungen an die „alten Bundes-
genossen" innerhalb der NSDAP dürften
vergeblich sein, und die weikgeöffneken Tore
werden nutzlos offen stehen. Wer einmal
den Weg zu uns gefunden hat, kehrt nicht
mehr zu der Reaktion des Herrn Alfred
Hugenberg zurück. Es ist eine,, unbegreif-
liche Verirrung" des Herrn Hugenberg,
wenn er behauptet, wir würden uns beim
Zentrum anbiedern. Herr Hugenberg und
sein vornehmer Klüngel kann uns wohl kei-
nen Vorwurf daraus konstruieren, wenn
das Zentrum sich unserer Auffassung nähert,
und sie unterstützt, während er selber hinter
dem Zenkrumsmann von Papen herrennl.
Im übrigen ist gerade dieser Vorwurf des
„verbannten" Diktators Hugenberg, daß die
NSDAP mit dem Zentrum paktiere, eine
unverschämte Heuchelei. Wo und wann ha-
ben wir Nationalsozialisten jemals mit dem
Zentrum paktiert oder regiert? Nirgends!
Doch die Deulschnalionalen saßen jahrelang
in Bayern und in Württemberg und auch
im Reiche mit dem Zentrum in der Regie-
rung zusammen, genossen mit ihnen alle
Pfründen, während das Volk immer mehr
verelendete! Nein, Herr Hugenberg, Reak-
tion ist nicht das, was Sie interpretieren.
Reaktion sind Sie und die Herrschaften vom
Herrenklub, ist jene einzige Clique, die
das Erbe der Väter widerstandslos vernich-
ten ließ, die es nicht verstand, der Jugend
Führer zu sein und die sich heute anmaßt,
den Enterbten ihre volksfremden Gesetze zu
diktieren, die sich weiter anmaßt, das er-
wachende Deutschland um die Früchte seines
Kampfes zu bringen, und diese Zweckmanö-
ver in schillernde Phrasen kleidet, um hinter
der Maske schöner Worte das wahre Ge-
sicht zu tarnen. Diesen „nationalen" Krä-
mern und Romantikern rufen wir zu:
Eure Idee ist falsch, euer Fronkgeist
erkünstel! und erlogen. Ihr hab!
den Geist von 1914 verraten!
Wir Kämpfen nicht als Glieder des par-
lamentarischen Systems, wenn wir noch ein-
mal zur Wahlurne schreiten. Wir geben
keinen Pfifferling für die Errungenschaften
der Weimarer Demokratie. Wir nutzen sie
aber zu ihrer Ueberwindung. Mögen sich
die Deukschnationalen während unseres lei-
denschaftlichen Kampfes solange „in dem
Maße, in dem das Morgenrot eines orga-
nischen Volksstaates aufsteigt, als Träger
der künftigen Volksgemeinschaft fühlen."
Sie werden in diesem abwartend herrlichen
Gefühl den Tag verträumen, an dem der
Nationalsozialismus diesen erkämpften or-
ganischen Volksskaat regiert.
Pfälzer Bauern fordern Rücktritt
des Neichsernährungsministers
Freinsheim. Aus einer hier abgehalte-
nen Sitzung der Pfälzer Bauernschaft des
Bezirks Frankenthal und der nationalsozia-
listischen Bauernzellen wurde auf einstimmi-
gen Beschluß der Versammlung hin folgen-
des Telegramm an den Reichsernährungs-
minister gesandt:
„Vermissen Erfüllung gegebener Ver-
sprechungen. Rücktritt erforderlich. Pfäl-
zer Bauernschaft .Bezirk Frankenthal."
Nationalsozialist ermordet
Potsdam. Am Dienstag abend wurde
der Arbeiter Walter Meißner am Born-
stedter Feld mit einem schweren Brustschuß
aufgefunden. Meißner wurde in das städt.
Krankenhaus nach Potsdam gebracht, wo er
in der Nacht gestorben ist. Es bestehl Mord-
verdacht gegen zwei Bornimer Arbeiter.
Meißner war früher Angehöriger der Kom-
munistischen Partei und ist später zu den
Nationalsozialisten übergetreten.
Kommunistische Geheim-
druckerei ausgehoSeu
Berlin, 14, Sept. Wie der Polizei-
präsident mikkeilt, wurde am Mittwoch eine
kommunistische Geheimdruckerei, in der ein
Ersatzblakk für die „Roke Fahne" hergestellk
wird, ausgehoben. Dabei wurden mehr als
50000 bereits fertiggeskellte Exemplare der
„Roten Skurmfahne" beschlagnahmt. Sieben
Personen wurden noch bei der Druckarbeik
sestgenommen. Einer der Festgenommenen
sprang aus dem in voller Fahrk befindlichen
Personenkraftwagen heraus und lief fort.
Er konnte wieder eingefangen werden.
Die „Roke Skurmfahne" stellt seit Jahren
das hauptsächlichste illegale Organ der Kom-
munistischen Partei dar.
Der Inhalt des beschlagnahmten Blattes
fordert zum Massenstreik auf und beschimpft
in bisher unerreichter Weise Regierung und
Staatsbeamte. Als Drnckvermerk ist eine
nicht bestehende Firma in Düsseldorf ange-
geben.
Ein Neichskuratorinm
für Iugendertüchtigung
Berlin, 14. Sept. Der Reichspräsident
hak mit einem vom Reichskanzler und
Reichsmimster des Innern gegengezeichneken
Erlaß, ein Reichsburakorium für Iugender-
küchtigung berufen. Vorsitzender ist der
Reichsminister des Innern und geschäfts-
führender Präsident General der Infanterie
a. D. Edwin von Skülpnagel.
Wes Wem!» riliSrktnln
Buenos Aires. Wie aus Santiago de
Chile gemeldet wird, ist die chilenische Re-
gierung zurückgetreten. Dr. Davila wird
die Neubildung des Kabinetts vornehmen.