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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (3) — 1933 (März-April)

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Nr. 77-100 (1/2. - 28. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70454#0651
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Donner?laA, 8en 27. April 1933

Dsv Feiertag -er «atieaate« Kevett
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Vkstz»« Wsv io ovo Leu«vÄm»v r«m softmsE grmeidsi

Der Feiertag der nationalen Arbeit in Hei-
delberg wird, nach den bisherigen Vorberei-
tungen und Meldungen zu schließen, eine noch
nie erlebte Beteiligung aufweisen. Die Zahl der
bereits angemeldeten Fremden, die am Samstag,
Sonntag und Montag nach Heidelberg kommen
werden, ist nach den vorliegenden Anmeldungen
eine außerordentlich große, so daß die Reichs-
bahn mehrere Sonderzüge laufen lassen wird.
Alle Heidelberger Verbände, seien es Berufs-
organisationen, Gesangs-, Turn- und Sportver-
eine, Militär- und Waffenvereine, Reiteroerei-
nigungen u. v. a., werden sich an dem gewal-
tigen Aufmarsch am Montag beteiligen, oessen
Größe alles bisher Dagewesene bei weitem über-
treffen wird In den Betrieben herrscht schon
heute ein emsiges Treiben und viele Innungen
und Firmen werden Festwagen zu« Auimarich
stellen.
Di« «««dgevAM
am samsrag
Den Auftakt zu den Veranstaltungen bildet
am Samstag abend 20.30 Uhr die große Kund-
gebung in der Stadthalle, in der Eaubetriebs-
zellenleiter Pg. Plattner, M.d.R. über „Der
deutschen Arbeit wollen wir de« Weg zur Frei-
heit bahnen" sprechen wird. Der Vorverkauf zu
dieser Kundgebung hat bereits begonnen. Die
gesamte Bevölkerung ist hierzu eingeladen.
Nm Saaatas
Am Sonntag zwischen 17 und 19 Uhr werden
in allen Straßen der Stadt Sprechchöre der SA.
ertönen. Eingesetzt sind hierzu drei Lastwagen
mit SA.-Männern, die an folgenden Stellen der
Stadt zur Einheit der deutschen Nation auf-
fordern werden: Artushof, Wredeplatz, Universi-
tätsplatz, Marktplatz, Untere Straße, Iubiläums-
platz, Neckarstaden, Ecke Ladenburger und Brük-
kenstraße, Kapellenweg, Steubenstratze, Tiefburg,
Friedsnstraße, Dossenheimerlandstraße, Werder-
platz, Marktplatz/Neuenheim, Bismarckplatz, Ar-
beitsamt, Römerplatz, Bergheimer-Mittermaisr-
straße, Blumen-ZRömerstraße, Schiller-ZZähringer-
straße, Blumen-ZRohrbacherstraße. Die Fahrt der
drei Lastwagen wird ungefähr zwei Stunden in
Anspruch nehmen. Zur Mitternachtsstunde werden
nach althergebrachter Sitte die Studenten den
Beginn des Monats Mai feiern. Die Burschen-
schaft Frankonia zieht zum Scheffeldenkmal, wäh-
rend zur selben Stunde die Alemannen am
Marktbrunnen ihren Salamander reiben werden.
Des Snisstag
am Maaiaa, rv« i. Mar
Vormittags:
Der Tag der nationalen Arbeit, der 1. Mai,
wird eingeleitet um 6 Uhr morgens durch Wel-
ken, an dem sämtliche Heidelberger Musikkapellen
wie der SA. M.Z. 110, die Kapelle der NSVO.,
Feuerwehrkapelle u. a. beteiligt sind.
Die Flaggenhissung auf sämtlichen Betrieben.
Heidelbergs um 8 Uhr wird besonders feierlich
vorgenommen werden. Arbeiter, Angestellte und
Unternehmer werden daran gemeinsam in den
jeweiligen Betrieben teilnehmen. Ansprachen
sollen hierbei Arbeitnehmer wie Arbeitgeber zu

gemeinsamer Arbeit verpflichten. Sämtliche Fei-
ern enden mit dem Horst-Wessel-Lied.
Gottesdienste.
In den Kirchen beider Konfessionen finden
Festgottesdienste statt, auf die Kirchenbehörden
noch besonders Hinweisen werden.
Außer der Schwertweihe des Stahlhelms um
10 Uhr auf dem llniversttätsplatz findet um 11.15
Uhr in der Aula der neuen Universität ein
feierlicher Festakt unter Mitwirkung des städt.
Orchesters statt.
Von 10.30 bis 11.30 Uhr sind auf allen öffent-
lichen Plätzen Standkonzerte unter Beteiligung
der Gesangverein. In den Lokalen ».Gaststätten
ist anschließend von 11.30 bis 13.30 Uhr Über-
tragung der Berliner Lustgartenkundgebung zu
hören. Zu dem Morgenprogramm ist schließlich
noch zu vermerken, daß die Turn- und Sport-
vereine auf ihren Sportplätzen vormittags Ver-
anstaltungen sportlicher und turnerischer Art ab-
halten werden. —
Nachmittags:
Um 13.30 Uhr nehmen die Verufsgruppen,
Vereine und Verbände Aufstellung, die Sammel-
plätze sind den Vereinen jeweils selbst überlassen.
Berufsgruppen erscheinen in Berufskleidung.
Strahlenförmig geht es dann zum Meßplatz und
zu den anliegenden Straßen. Besondere Anwei-
sungen ergehen noch hierfür. Die Straßen des
Bergheimer Viertels sind freizuhalten.
Der Festmarsch.
Dieser Festmarsch wird
zweifellos alles brsyer Gesehene weit m den
Schatten stellen und besonders durch die Teil-
nahme zahlreicher Festwagen ein besonders schö-
nes Gepräge erfahren.
Große Kundgebung aller Stände auf dem
Universitätsplatz.
Dort wird Stabsleiter Pg. Röhn die Kund-
gebung eröffnen, dann werden Arbeiter Stadtrat
Pahl, Landwirt Pg. Schank, Student Pg.
Scheel und Unioersitätsprosessor Kommissar
Fehrle sprechen. Der Sängerverband wird
mit einigen Liedern zur Verschönerung der
Kundgebung beitragen.
Die Festwagen werden nicht auf den Uni oerst-
tätsplatz einbiegen, sondern durch die Marstallstr.
an den Neckarstaden fahren. Der weite Platz
selbst wird bereits ab 15 Uhr für die Aufmarsch-
teilnehmer frergehalten. Ein starkes Absperr-
kommando wird zur Freihaltung des Platzes ein-
gesetzt werden.
Nach Schluß der Kundgebung, womit gegen
6 Uhr zu rechnen ist, begeben sich die Vereine
geschlossen zu den Auflösungsplätzen.
Abends:
Um 20 Uhr wird durch einen riesigen Laut-
sprecher auf dem Neuenheimer Neckarufer zwi-
schen Friedrichs- und Karl-Theodorbrllcke die
Kundgebung von dem Tempelhoferfeld in Berlin
übertragen. Anschließend von 20.30 bis 21.30
Uhr das
Manifest des Reichskanzlers,
und Verkündung des ersten Jahresplanes der
deutschen Aufbauarbeit der Reichsregierung durch

unseren Führer Adolf Hitler.
Hierauf gemeinsamer Gesang des Deutschland-
liedes. Die um 21.50 Uhr beginnende Schloß- u.
Brückenbeleuchtung mit Feuerwerk beschließt dann
mit dem Horst-Wessel-Lied den Feiertag der na-
tionalen Arbeit in Heidelberg.
*
Bisher über 10 000 Teilnehmer zum Fest-narsch
gemeldet!
Bis gestern abend wurden insgesamt über
10 000 Teilnehmer zum Festmarsch am Tag der
nationale« Arbeit gemeldet. Ferner ist die
Zahl der angegebene« Festwagen ganz außer-
gewöhnlich groß.
Beachten! Festabzeichen betr.! Die Festab-
zeichen werden erst ab morgen Freitag vormit-
tag ausgegeben und zwar bei der Kreisbetriebs-
zellenleitung, Eaisberstraße 55 und bei der
„Volksgemeinschaft", Anlage 3.
Wegen der Aufstellung und Einreihung der
Verbände, Vereins usw. beim Festzug wird nä-
heres noch mitgeteilt.

.Heidelberger.
MmM und beflaggt Eure HWer!

Versammlung der NSBO.-Fachschaft für Kom-
munalbeamte.
Die NSBO.-Fachschaft für Kommunalbeamte
hatte am Montag abend ihre Mitglieder im
„Schwarzen Schiff" in Neuenheim versammelt.
Fachschaftsführer Szallies eröffnete die Si-
tzung mit einer Begrüßung der Erschienenen und
gedachte alsdann des 14. Geburtstages unseres
Führers, des Reichskanzlers Adolf Hitler.
Die Ansprache klang aus in ein dreifaches „Sieg-
Heil" auf unseren Volkskanzler und in das
Horst-Wessel-Lied.
Auf besonderen Wunsch einer Anzahl neu er-
schienener Kollegen gab Fachschaftsführer Szal-
lies die Ziele der Fachschaft nochmals bekannt
und machte Ausführungen über deren bisherige
Tätigkeit. Eine längere Diskussion folgte.
Zur Beschaffung einer Fahne für die Fach-
schaft wurde eine Geldsammlung veranstaltet, die
ein sehr schönes Ergebnis erbrachte und die Er-
werbung einer Fahne ermöglicht. Die Fachschaft
wird voraussichtlich am 1. Mai ds. 2s. hinter
ihrer eigenen Fahne aufmarschieren.
Kurz vor Mitternacht konnte der Fachschafts-
führer Szallies die Versammlung, die durch Ge-
sang und Musikvortrag gegen Schluß verschönt
war, schließen. Br.

Gleichschaltung auch bei de« Drogisten.
Am Sonntag abend 8 Uhr fand im Württem-
berger Hof in Heidelberg die Eründungsner-
sammlung der Fachschaft Nat.-Soz. Drogisten
unter Leitung des Pg. Walter Hertel, Sand-
haufen statt. Nach Verlesung einer programma-
tischen Erklärung über Wesen und Ziele der
Fachschaft Nat.-Soz. Drogisten, wurde in die
Diskussion eingetreten. Diese verlief sehr stür-
misch, da verschiedene Herren noch immer nicht
erfaßt haben, oder nicht erfassen wollen, daß
wir heute als Nationalsozialisten die Macht in
den Händen haben und den festen Willen, an
jeder Stelle, wo es auch sei, scharf zu kämpfen
und energisch zu handeln. Trotzdem verlief der
Abend über Erwarten sehr harmonisch und wurde

zunächst mit 8 Mann als Grundstock die Fach-
chaft gebildet. Mit dem Horst-Wessel-Lied fand
der erste denkwürdige Abend, der ein Meilen-
tein im Berufe der Heidelberger Drogisten sein
wird, sein Ende. Die nächste Fachschaftssitzung
ändet für die, welche Pg. sind am Freitag abend
im Württemberger Hof, 8 Uhr, statt. Alle NS-
Drogisten sind dazu herzlichst eingeladen."
-o-
BeMsbilLmg
In der heutigen Zeit ist es für junge Men-
chen oft sehr schwer, nach der Schulentlassung
einen Beruf zu ergreifen. Da nun infolge des
politischen Umschwungs die Wirtschaftslage sich
allmählich bessert, sei der Besuch der Hanvels-
'chule empfohlen. Nach 2jährigem Unterricht in
der Höheren Handelsschule besteht für die Teil-
nehmer die Möglichkeit, die mittlere Reife zu
bekommen, um sich dadurch einen Platz zu er-
obern, wo sie ihr Brot verdienen können. Au-
ßerdem ist eine Oberklasse für die Schüler ein-
gerichtet, welche die Obersekunda-Reifs besitzen.
Wenn Schüler am Besuch der Mittelschule kerne
Freude mehr haben, können sie hier in einem
einjährigen Kurs sich für den kaufmännischen
Beruf vorbilden. Solche Obersekundaner, Kna-
ben und Mädchen, seien darauf aufmerksam ge-
macht. Ebenso besteht an der hiesigen Hansels-
schule für Abiturienten und Abiturientinnen die
Möglichkeit, noch ein Jahr lang die Handels-
schule zu besuchen. 2m letzten 2ahr, in dem zum
erstenmal diese Einrichtung getroffen wurde, hat
eine ganze Reihe solcher jungen Leute davon Ge-
brauch gemacht und es sicher nicht bereut. Da
der akademische Bruf überfüllt und das Studium
teuer ist, können sich in der Abiturientenklasse
junge Menschen im Laufe eines 2ahres zu ihrem
Beruf vorbilden, an dem sie dann Freude erleben
dürfen. Zum Schluß sei auch auf die Hotelfach-
schule, die an die Heidelberger Handelsschule an-
geschlossen ist, aufmerksam gemacht, als ser ein-
zigen in Deutschland. Wer daran teilnimmt, er-
wirbt sich die Fähigkeit, in höherer Stellung L<s
Hotelberufs verwendet zu werden und sich einen
Platz für seine Versorgung in der Welt zu er-
obern.
Tisch-Tennis. Das Kaffe Häberlein war am
21. ds. Mts. zum erstenmal der Schauplatz eines
nicht unbedeutenden Tischtenniswettkampfes. Die
Akademische Gesellschaft für Spiel und Sport war
mit ihren beiden ersten Mannschaften erschienen,
um gegen den aufblühenden Verein „Quick" ihr
fälliges Verbandsspiel auszutragen. Es gelang
den Akademikern, diesmal noch in der 1. Mann-
schaft ziemlich hoch mit 8:1 Punkten zu gewin-
nen und in der 2. Mannschaft ebenfalls siegreich
ein Resultat von 6:3 Punkten zu erreichen. Die
Akademiker halten nach diesem Sieg mit bei-
den Mannschaften noch die Spitze. Ihre 1. Mann-
schaft hat nunmehr 8 Eewinnpunkte, keinen Ver-
lustpunkt, die 2. 6 Gewinnpunkte und keinen Ver-
lustpunkt. „Quick" 1. Mannschaft hat 1 Gewinn-
punkt und 2 Verlustpunkte, 2. Mannschaft 1 Ge-
winnpunkt und 1 Verlustpunkt. Der Kampf um
den 2. Platz in der Verbandsmeisterschaft ist noch
ziemlich offen und dürfte wohl zwischen „Rot-
Weiß", „Quick", Polizeisportverein, Grün-Weiß
und vielleicht auch Stern ausgetragen werden.
Heidelberger Tischtennis-Verbandsspiele. 2m
ausgeglichenen Spiel siegte Ping-Pong-Elub
„Stern", Heidelberg, über die Tischtennis-W-
teilung des Tennis-Vereins Heidelberg-Rohr-
bach mit 5:4 Punkten, 11:10 Sätzen und 390:369
Bällen. Stern erzielte damit seinen 2. Gewinn-
punkt bei bislang einem Verlustpunkt. Am 20.
spielte ferner „Rot-Weiß" gegen Turnverein
Rohrbach und konnte ziemlich überlegen mit 6:3
Punkten und 16:7 Sätzen und 433:351 Bällen
den Wettkampf siegreich beendigen, Rohrbach
konnte allerdings sowohl im Einzel wie im Dop-
pel das Spitzenspiel für sich buchen.

Gsapysisgir
Eine Studie von Joh. Huber, München.
Herr Johann Huber, der bekannte Gra-
phologe, der z. Zt. ' ' in Mannheims natio-
nalem Kaffee „Cafasö", P 6, weilt, hat uns lie-
benswürdigerweise nachfolgende Studie zur Ver-
fügung gestellt:
Wohl keine menschliche Tätigkeit spiegelt so
naturgetreu und fast allseitig erschöpfend unser
Seelenleben in allen seinen Anlagen und Stre-
bungen wieder, wie die ungekünstelte, nicht im
Affekt der Leidenschaft geschriebene Handschrift.
Allerdings gehört Kennerblick eines möglichst
„ psychologisch geschulten Graphologen oder Schrift-
sachverständigen dazu, um neben den markan-
ten, längst an Hand von Vergleichsmateria!
durch Analogieschlüsse gekennzeichneten Charak-
tereigentümlichkeiten und -Fähigkeiten oder De-
fekten und geistigen Anomalien des zu Beurtei-
lenden auch die bisher weniger typisch festge-
legten Schriftzüge intuitiv im Gesamtbild zu er-
fassen und sinngemäß zu interpretieren. Hier
erst beginnt das llnlernbare der Graphologie,
die mit Recht eine Kunst der Seelenmessung der
psychologischen Psychometrik, genannt werden
dürfte. Dies aber nur dann, wenn sich das 2n-
tuitive nicht rein mantisch, hellseherisch gebärde'
und in Wahrheit meist aufs Eeradewöyl rein
phantastisch rät, statt, wie es der psychologische
Graphologe tut, auf dem vor Forschern, wie na-
mentlich Cesare Lombroso, nachgeprüften Mate-
trial in denselben Richtlinien weiterzubauen.
-nAus dem Gesamtbilde einer charakterologischen
Handschrift-Analyse lassen sich immer wieder
neue Züge einer Handschrift, für den Logiker
Deduktionsschlüsse ziehen, die dasselbe Wahr-
scheiulichkeitsrecht wie die Vergleichsanalogic-
schlüsse für sich beanspruchen können.
Denn d'e Handschrift ist ein untrüglicher
klbdr-ick rm/S Seel4nvtKgnd.es, der über die

Gegenwart hinausgreift. Er ist rein individuell
und kann daher selbst vom Fälscher für den
Kenner niemals genau nachgeahmt oder derart
verstellt werden, daß der psychologische Grapho-
loge nicht doch den wahren Charakter hinter der
Maske des Zerrbildes erkenne. Unbewußt spie-
geln sich typisch bekannte Charaktereigentümlich-
keiten neben den erkünstelten mit offenkundiger
Regelmäßigkeit ab, sei es auch nur in Form
ständig wiederkehrender ungleicher Drucktenden-
zen mit Neigung zur Keulenhaftigkeit oder Kur-
venbildung, sodaß alle Schnörkelbildung oder
Weitschleifengsstaltung den wahren Charakter
nicht verhüllen kann und als nicht zu ihm ge-
hörig obendrein den Täuschungswillen verrät.
Der,Graphologe Preyer hat sogar experimentell
die Beobachtung gemacht, daß, wenn man d'e
Feder mit dem Fuße oder dem Munde führt, die
Ürzüge der Schrift die gleichen sind, wie die der
mit der Hand ausgeführten Schrift l„Zur Psy
chologie des Schreibens", Hamburg 1895.)
Auf rein wissenschaftlicher Grundlage hat erst
Cesare Lombroso, der große Turiner Gelehrte
und Psychiater, die Graphologie erhoben in sei-
nem „Handbuch der Graphologie" mit seinen
genialen Deduktionen an Hand von 470 Fak-
similes (übersetzt von Gustav Brendel, Leipzig,
Neclams Universitätsbibliothek). Er unterschei-
det zwischen allgemeinen Zeichen und den Re-
sultanten. Die ersten beiden Gruvpen sind durlli
Analogieschlüsse eines reichen Vergleichsmate-
rials hinreichend gekennzeichnet. Von den Re-
sultanten lehrt er, daß es Beobachtungen seien
— „rch möchte sagen einer höheren spekulativen
Geistesfähigkeit, von der man nur eine Anoeu-
tun^ geben kann, welche durch die individuelle
psychologische Intuition ergänzt werden mutz."
Was Lombroso aber vor allem auszeichnet,
ist, daß er an faksimilierten Schriften den Be-
weis erbracht hat, daß bestimmte Charakter-
eigenschaften unfehlbar dieselbe Handschrift in
allen EiuLelLÜgen nach, sich ziehen. Er hypno-

tisierte zu diesem Zweck einige Studenten seines
Kollegs und suggerierte u. a. einem intelligenten
Studenten mit schöner eleganter Handschrift, er
sei der Brigant Üagala; ungewollt nahm dieser
nun eine des Räubers fast gleichende Handschrift
an, ohne daß er dessen Schrift je gesehen hatte.
Vergleicht man im Faksimile-Anhang von Lom
brosos Buch die Handschriften Marats und Ro-
bespierres mit denen gewöhnlicher Mörder, so
frappiert auf den ersten Blick hin schon die Aehn-
lichkeit der ungleichmäßigen und dadurch fast
unsauber erscheinenden Druckverteilung, nur daß
bei dem weniger leidenschaftsbeherrschten und
mehr abstrakt denkenden Robespierre gegen
Wortende der brutale Machtwille in einer ge-
dehnten Abbreviatur mit einer etwas vön sich
abweisenden Handschrift erlischt. Aber aüch
Verbrechertypen in allen Abschattungen sind un-
verkennbar, ja selbst der schwungvollste Fälscher
verrät sich. Ebenso die Geisteskranken, vom kind-
lich buchstabenmalenden Idioten bis herauf zum
bizarr symmetrisch abzirkelnden Epileptiker
aber auch das Genie unverkennbar eingemeißr.t.
(Uebrigens war Napoleon nur in geringem
Grade Epileptiker, ein solcher Anfall zeigte sich
namentlich nach der ersten verlorenen Schlackst
bei Aspern.) Die am schwersten Definierbaren
sind die normalen Alltaasw ''-ben. Aber auch
sie tragen die Signatur ihrer Charakteranlagen
einschließlich ihres Temperaments in dem Mus-
kelabdruck, ihre seelen- und willensbeeinflußten
motorischen Nerven, die den Befehl der Muslel-
inervation von den Ganglienzellen unseres Ge-
hirns aus übermitteln. Schon Leibnitz schreibt
in seinem „Opera" (Band 6): „Die Schrift brückt
fast in einer oder der anderen Weise ünftre
Natur aus, vorausgesetzt, daß die erstere nichr
das Werk eines Kalligraphen ist." Doch auch
letztere hat einige individuelle Züge, die ihn völ-
lig charakterisieren können, was vor allem
Goethe beweist. Auf Gellerts Mahnungen hin,
hatte er sich in Leipzig als junger Student eine

klare, formschöne Handschrift angeeignet, die
aber jedem Kenner den Schöngeist durch den un-
gesuchten Schwung der Schleifenbildung, den
Forscher durch Höchstredigkeit der Lettern bei
Dehnungstendenz der Schriftlage enthüllt. —
Selbstverständlich läßt sich das Dichtergenie nicht
graphologisch feststellen. Daß Graphologie aber
wert ist, ernst genommen zu werden, erkannte
auch Goethe. Er empfahl Lavater, sie neben
Physiognomik ernstlich zu treiben. (Lavater:
„Von dem Charakter der Handschriften, Teil 3
der „Fragmente", Paris 1884.)
Gegenwärtig sind wir namentlich durch Lom-
brosos Verdienste um den experimentellen Nach-
weis gegen Goethes und Lavaters Zeit grapho-
logisch so weit vorgeschritten, daß wir ohne
Scheu für die Graphologie ein Heimatrecht so-
wohl in der diagnostizierenden Psychiatrie, be-
antragen können. Bedauerlich für die Wissen-
schaft, wenn die Praxis sie erst gewissermaßen
bazu nötigen müßte. — Viel würdiger wäre es
namentlich für die Psychologie, wenn von ihr
aus der leitende Impuls ausginge, den im
Banne des heiligen Bureaukratismus fortschritt-
feindlichen Staaten klar zu machen, was er in
ber Kriminalistik versäumt, wenn er nicht bei
der Untersuchung jeder Art von Verbrechen, nicht
nur wie bisher bei Fälschungen, Graphologen
mit hinzuzieht, die auf psychologischer Grund-
lage urteilen. Besonders bei der Jdentitätsfest-
stellung dürfte die Handschrift noch überzeugen-
der wirken als ein Daumenabdruck, der schließlich
doch mit einem anderen der gleiche sein konnte.
Haben doch auch Ehrenmänner ererbte, sogen.
Verbrecher-Degenerationsmerkmale, ohne stets
aus derartigen Familien zu stammen oder dege-
neriert zu sein. Keine einzige Handschrift gleicht
völlig der anderen, und jede von ihnen biete:
außer Jdentitätsfeststellung sichere Anhaltspunkte
für normales Seelenleben. Mithin ist die
Graphologie ohne Zweifel der Daktyloskopie an
Nutzestes kür KriminalLU Mkit LL-vkeLen.
 
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