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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (3) — 1933 (November-Dezember)

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Nr. 282-311 (1. - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70881#0223
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Die Milch in der Volkswirtschaft
Steigender Milchverbrauch — wachsende Volksgesundheit





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Bis in die neuere Zeit hinein betrachtete man Ge-
winnung und Verwertung der Milch als einen nebensäch-
lichen Betrieb der Landwirtschaft, und erst seit den 60er
und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich eine
aus wissenschaftlicher Grundlage beruhende Milchwirt-
schaft bei uns entwickelt. Den richtigen Aufschwung hat
das moderne Molkereigewerbe erst durch die Einführung der
Entrahmungsmaschinen erhalten. 1877 wurde die erste in
Kiel aufgestellt. Sie waren der wesentliche Anstoß dafür,
daß sich durch sorgfältige Art der Behandlung und Verarbei-
tung die Milchwirtschaft zu dem entwickelte, was sie heute
ist: ein selbständiger Betrieb der Landwirtschaft, der ein
Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Produktion über-
haupt ausmacht. Die Entwicklung steht indessen nicht
still. Unsere Milchwirtschaft ist durchaus imstande, sich er-
höhten Anforderungen anzupassen, und es wird aus volks-
wirtschaftlichen und aus Gründen der verständigen Ernäh-
rung alles getan, erhöhte Milchproduktion und erhöhten
Verbrauch zu erzielen.
Der denkend wirtschaftenden Haus-
frau ist längst bekannt, daß Milch nicht
nur für die gesamte Familie ein unent-
behrliches und zugleich das wertvollste,
sondern auch das billigste Nahrungs-
mittel verkörpert. Nicht nur als er-
frischendes und sättigendes Getränk, vor
allem auch als Grundbestandteil der Zu-

Ein musterhafter Milchvieh stall: Die Pflege und Beschaffenheit der Ställe mit all ihren Einrichtungen sind für die Ge-
winnung gesundheitlich einwandfreier Milch und für erhöhte Produktion ungemein wichtig.

es eigenartig, daß die Hl
frauen gerade bei der Milch

Die Milch tri« ihren Versandweg in hygienisch einwandfreien, sauberen «nd praktischen
Kannen an.

Der Milch-Chemiker prüft in seinem Laboratorium die Art
der Zusammensetzung der Milch und bestimmt den Prozent-,,
gehalt an Wasser, Eiweiß, Fett, Jucker, Mineralsalzen usw.

Hunderte von Milchproben warten auf tägliche Untersuchung,
in der festgestellt wird, ob die auf den Markt kommende
Mich hygienisch-gesundheitlich den Anforderungen genügt

zu befördern und dort zu verteilen. Mit der bei Massen-
verbrauch unvermeidbaren Zusammenschüttung der Milch
aus verschiedenen Ställen, mit der großen Zahl der im Milch-
verkehr Beschäftigten, vor allem aber mit der Weite des
Weges — man bedenke, daß manche Milch, die zum Beispiel
in Berlin getrunken wird, in Hinterpommern gemolken
wurde — wächst die Gefahr, daß die Milch in ihrer Güte
Schaden leidet. Ihr zu steuern, müht sich die Wirtschaft
durch fachmännische Milchgewinnung und -bearbeitung.
Die Maßnahmen zur Förderung der Milchversorgung
beginnen schon im Kuhstall mit der tierärztlichen Kontrolle
der Kühe. Weiter stehen in
ihrem Dienste zwei große staat-
liche Versuchs- und Forschungs-
anstalten (für Norddeutschland
in Kiel und für Süddeutschland
in Weihenstephan), eine Reihe
von Molkerei-Lehr- und Ver-
suchsanstalten, dazu kommen
Einzelmahnahmen der Länder,
wie Einstellung von Molkerei-
instruktoren und -beratern und
zahlreiche andere Selbsthilfe-
bestrebungen der Wirtschaft.
Nicht zuletzt sei auch auf das
Reichsmilchgesetz yinge-
wiesen, das staatlicherseits die
Versorgung des Marktes mit
einwandfreien Erzeugnissen
überwacht. In den milchwirt-
schaftlichen Instituten, in den
großen Versuchs- und Lehrmol-
rereien, wo täglich mehrere
zehntausend Liter Milch bear-
beitet werden, erhalten Land-
wirte einen umfassenden Ein-
blick in di» modernen Methoden
der Milchwirtschaft. Landwirt-
schaftliche Schüler und Schüle-
rinnen werden praktisch und
theoretisch ausgebildet, und hier
wird offenbar, daß der Land-
wirt von heute sehr viel wissen
muß, was dem Landwirt von

taten zu vielerlei Speisen hat die Milch ihre unentbehrliche
Stellung im Haushalt. In ihrer Sorge um die
Gesunderhaltung der Familie ist die Hausfrau heute mehr
denn je bemüht, den Küchenzettel nach gesundheitlichen
Grundsätzen aufzustellen und ihn dennoch dem fast überall
knappen Geldbeutel anzupassen. Dis Milch ist dabei ihr
bester Helfer.
Die einzelne Hausfrau, die jeden Tag nur geringe Milch-
mengen für den Bedarf ihres Haushaltes kauft, wird sich
im allgemeinen über die volkswirtschaftliche Be-
deutung des Erzeugnisses Milch kein rechtes Bild machen
können Es wird sie mit Staunen erfüllen, zu hören, daß
die Milcherzeugung einen Produktionswert von etwa drei
Milliarden RM repräsentiert und damit z. B. den Wert
der deutschen Kohlenerzeugung weit übertrifft. Bedenkt
man insbesondere die Bedeutung der aus Milch hergestellten
Erzeugnisse, wie Butter und Käse, die heute wichtige Han-
delsartikel des Weltverkehrs und beachtliche Objekte der
Handelspolitik sind, so steigt einem ein Ahnen von der volks-
wirtschaftlichen Wichtigkeit der Milchwirtschaft auf.
Je allgemeiner sich die Erkenntnis von der volkswirt-
schaftlichen Bedeutung und von der Unentbehrlichkeit der
Milch im Haushalt durchsetzte, um so mehr wuchs berechtig-
terweise das Verlangen nach Belieferung mit einwandfreier
Milch, um io reger wurde das Interesse an der M i l ch v e r -
iorgung
Sie ist eine sehr komplizierte Aufgabe geworden, seit
das milchspendende Rind nicht mehr wie im altdeutschen Ge-
höft der liebevollen Sonderbetreuung der Hausfrau anver-
traut wird sondern mehr und mehr fremde Hände das Vieh
pflegen, melken, mehr und mehr Personen tätig sein müssen,
um die Milch in die großen Städte und Vsrkaufszentren

früher völlig unbekannt wan
Er muß sich auf Chemie, auf
Bakteriologie verstehen, und
wenn er wieder nach Hause
kehrt, festzustellen wissen, ob
Milch und Käse, Butter und
Rahm den nicht geringen Anfor-
derungen entsprechen und hygie-
nisch einwandfrei auf den Markt
kommen. Kurzum, vom Euter
der Kuh bis zum Milchtopf der
Hausfrau wird alles getan, was
der Qualität der Milch und da-
mit letzten Endes auch der
Volksgesundheit dient. Und nun
liegt es an der Hausfrau, das
ihrige zu tun, den Milchver-
brauch zu heben. Der Reichs-
milchausschuß hat durch systema-
tische Aufklärungs- und Werbe-
arbeit der Bevölkerung den
Wert der Milch und der Milch-
erzeugnisse hinreichend vor
Augen geführt, und trotzdem ist
es eigenartig, daß die Haus-
frauen gerade bei der Milch mit
jedem Pfennig rechnen. Die
vermeintliche Einsparung steht
Vor dem Sauermilchbottlch in einer moderne« Lehrmolkerei. in keinem Verhältnis zu dem
großen Nährwert. Das kann
nicht oft genug betont werden, und daraus die naheliegenden
Konsequenzen zu ziehen, wird sich günstig auf dre Familie,
auf Volksgesundheit und den Bestand des Staates auswirken.
 
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