Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.9507#0052
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
6sits12


„Dottsgemelnfcha^

Lamstag, de« 1. Jult 1Sli6

Felix TLmmermann — DLchter und Aünstler

Zum 50. Geburtstag des flämLschen DLchters am 5. IulL — Von Georg Speckner

Felix Timmermans, der grotze fiämische Dichter,
schon oder erst 50 Jahre alt? Der Mamr, der immer
so jugendfrisches, jugendfrohes und undeschwertes
Wesen an den Tag legt und mitteilt'? Der Mann hat
ein halbes Jahrhundert erreicht, der soviel Lebens.
weisheit offenbart und so gereift und überlegen von
den Menschen und ihren guten und schlechten Leiden.
schasten schreibt? Wie dem auch sei: Wir alle, die
wir seine Bücher kennen und lieben, sreuen uns mit
Felix Timmermans seines Judiläums. Timmermans
ist geborener Flame. Hören wir, was er in ein paar
knappen Sätzen Lber sich und seine ersten Lebens.
jahre selbst sagt: „AIs ich in dem Städtchen Lier
auf die Welt geblasen wurde, am Abend des 5 Juli
1886, war ich das dreizehnte Kind. Für mich war
kein Platz mehr im Familienstammbuch. Ich war
eine Zugabe, und deshalb schrieb man mich denn ein.
fach auf den Umschlag mit dem Namen Leopoldus
Maxipnlianus Felix. Jch wuchs heran in den schö.
nen Lier'schen Spitzen, wie das Städtchen Lier selber
darin aufwächst."

Felix Timmermans ist der Sohn eines Spitzen.
händlers, der auch seine Kinderschar rege an seiner
Arbeit teilnehmen lietz. 2hm verdankt Felix letzten
Endes die Berufung zum Dichter, denn nach des Ta.
ges MLHen und Lasten sammelte der Vater die Klei.
nen um stch und langte herzhast in die Marchen.
und Eeschichten-Kiste seines Herzens, in der allerlei
wundersam« Ding« steckten. Der Vater konnte er.
zShlen wie ein leidhaftiger Märchenerzähler. Das
Geisterhaste hatt« es dem jungen Felix angetan.
Seine ersten Geschichten, die er niederschrieb, waren
noch voll des Eeheimnishasten und Okkulten, das
Felix jedoch bald abwarf, als er von einer schweren
Krankheit genas, die ihn hart an den Trennungs.
strich zwischen Leben und Tod herangebracht hatte.
Da packte ihn die Lebensfreude, di« Lust am Leben
drauhen in der Welt. llnd dieses Frohgesühl, in
dem er sich mit Meister Breughel, seinem grotzen
Landsmann, im Geiste zusammenschlotz, schrieb er fich
in seinem ersten grötzeren Werke vom Leibe, seinem
unsterblichen „Pallieter", der ihn mit einem
Schlage zum weltbekannten Dichter Felix Timmer.
mans machte. So froh vom Leben hat autzer ihm
nur noch der oben genannte Breughel berichtet, von
den üppigen Schmausereien, den frohen Festen, dem
glücklichen Singen im flämischen Land.

Als das Buch vollendet, kam der Krieg und zer.
störte den Flamen Haus und Hof. Als der Krieg
beendet, da wutzten diese Flamen zu schätzen, was
ihnen dieser Felix Timmermans mit seinem „Pallie.
cht^ geschenkt hatte. Bald folgte ein Buch dem an.
deren, eines immer schöner als das vorangegangene.
Aus den Erzählungen seiner Mutter, die mit ihm
und seiner Frau in dem zerschossenen Lier auf das
Ende des Weltkriegs gewartet hatten, so erzählt er
felbst, lebten die vergefienen Vorstellungen des 2e.
suskindes wieder auf, die er in seinem Herzen zu.
rückgedrängt hatte. Er schrieb „Das Jesuskind in
Flandern", die Cyristgeburtsgeschichte, hineingestellt
in flämisches Land und unter flämische Menschen.
Mit humorerfüllter Andacht erzählt Timmermans
diese Geschichte, eine der schönsten, die jemals über
die Eeburt des Welterlösers geschrieben worden ist.
Dem „Iesuskind in Flandern" folgte alsbald „Das
Licht in der Laterne", «in heiteres Geschichtenbuch

von allerlei Menschen und Dingen, alle meisterhaft
erzählt wie die paar anderen Dutzend froher Geschich.
ten aus der Timmermanns'schen Feder. Nach den
Laternen-Ceschichten kam wieder ein Buch vom sröh.
ltchen und unbeschwerten, genietzerischen und glück.
lichen Leben emiger Menschen, an denen man seine
Freude haben kann. Nochmals griff Timmermans in
den Schatz versunkener Märchenzeit. Die heiligen
drei Könige hatten es ihm diesmal angetan. 2m
„Triptychon von den heiligen drei Königen" lätzt er,
wie ehedem sein Christuskind, die drei Heiligen aus
dem Morgenlande nach Flandern, in fetne Heimat
kommen.

Jmmer reicher wurde nun die Fülle seines
Schafsens. Neben zahlreichen kleineren Geschichten,
in denen er vor allem das Leben und Treiden in
den flandrischen Beginenhöfen schilderte, den tloster.
ähnlichen Niederlassungen, in üenen gute Frauen
beten und leben, die ihre Liebe auch den Kranken
und Armen angedeihen lassen, erschienen auch ver.

schiedene grotze Arbeiten, ein köstliches Lebensbild
des Heiligen von Ässisfi „Franziskus", ein« Biogra.
phie des flämischen Lehrmeisters der Lebenssreud«
„Peter Breughel" und die Erzählung von einem le.
benssrohen, aus liebevollcn Käuzen gebildeten Freun.
deskreis „Die Delphine", lauter Bücher der Lebens.
freude, di« aus ihrer Freude anderen Freude geben
können.

Man wllrde Timmermans Unrecht tun, wollte
man ihn nur als Dtchter sehen. Er ist Zeit seines
Lebens auch Künstler geblieben, Maler und Zeich.
ner; bevor er die Feder führte, besuchte er eine Zeit
lang die Akademie. Auch in seinen vielen Bildern,
die fast jedem Buch aus seiner Feder in grotzer An.
zahl beigegeben sind, strömt di« weltweise Lebens.
freude. Mit ein paar dicken Strichen stellt er seine
Bilder hin, ein bitzchen grob, aber doch alle Liebe
zum Werk und alle Liebe eines reichen Herzens at.
niend, der der Welt in Worten und Bildern schon
joviel Schönes geschenkt hat.

Aufgaben und Grenzen des Freilichtspiels

DLe Heidelberger Reichsfestspiele „beispielhast bestes deutsches Lulturschaffen
ELn Beitrag Reichskulturwalters Franz Moraller

„Stiefkind

ELne organische WLffenschast

Die Geopolitik ist kein schars umrifienes, wissen-
schaftliches Gebiet wie die Erdkunde, die Geschichte
oder die Biologie. Aus dem Wort klingt zwar ein
Unterton von „grotzer Diplomatie", von „weltbedeu.
tender Erötze". Aber es wäre falsch, anzunehmen,
datz in der Schule nun etwa „grotze Politik" getrie.
ben werden sollte. Eine Unterprima kann keine
Welt aufteilen und sieht selbst unter der Leitung
eines tüchtigen Fachmannes nicht durch die geopoli.
tischen Bedingtheiten. Was Erdkunde, Biologie und
Geschichte sind, weitz jeder, und datz die Geopolitik
mit all diesen drei Gebieten in Zusammenhang zu
bringen ist, sollte jeder wissen.

Freilich kann man durch eine einfache Verknüp.
fung dieser Unterrichtsgebiete in ihrer alten Form
nicht weiter kommen. 2st es doch der Fehler des al.
ten Unterrichtssystems, Natur. und Eeisteswissen.
schaften streng von einander zu trennen. Aber ge-
rade die Verknüpfung der rationallogischen Gesetze
der Geisteswissenschasten mit den physikalisch-mecha-
nischen Gesetzen der Naturwistenschaften unttr Ein.
beziehung der Rassenfragen ist es, was wir Eeopoli.
tik nennen können.

Geopolitik ist die Vetrachtung des wirtschaftlichen,
kulturellen und politzischen Geschehens eines Landes
unter Einbeziehung seiner rassischen Zuiammensetzung
und geographischen Lage und Eliederung. Eeopolitik
ist also keine mechanische, sondern eine organische
Wifienschaft.

Es muh vornehmste Aufgabe der Schule sein,
dem Schüler neben einer guten Erziehung zum
Siaatsbürger ein festss Wissen um das Werden
eines Volkes, eines Staates mitzugeben. Er mutz
geopolitisch sehen, mutz die Zusammengehörigkeit von
Rafie und Raum und die Bedeutung, die diese Be.
griffe bei der Gestaltung unseres Weltbildes spielen,
«rkennen lernen.

Das hat im Unterricht seine gewissen. Schwierig.
keiten, denn Geopolitik denkt in grotzen Räumen,
nnd es ist unmüglich, diese Räume in der Wirklich-

kenne» zu ttrne». So ist der UnterriHt tmmer

Jm Nachrichtendienst der Deutschen Studentenschaft
setzt sich Reichskulturwalter Moraller mit den
Aufgaben und Grenzen des Freilichtspiels auseinan.
der, das bekanntlich unter der Schirmherrschaft des
Reichsbundes der deutschen Freilicht. und Volks.
schauspiele e. V. die besondere Förderung des Drit.
ten Reiches genietzt. Reichskulturwalter Moraller
teilt mit, datz in der Spielzeit dieses Sommcrs etwa
zweihundert Freilichtspiel-Unternehmungen tn allen
deutschen Eauen spielen und nach den bisherigen Er.
sahrungen Millionen deutscher Volksgenossen zu
ihren Besuchern zählen werden. Damit allein sei
bereits die grotze kulturelle Bedeutung dcr Freilicht.
Ipiele — und ihr« Verantwortung gegenüber der
Volksgemeinjchaft gekennzeichnet.

Wie das deutsche Freilichtspielwesen dieser Ver.
antwortung genügen kann, wird von Reichskultur.
walter Moraller dann in klaren Zielsetzungen um.
rifien, die einen wirklichen, auch inhaltlich fatzbaren
FLHrungswillen fichtbar werden lafien und es verdie.
nen, weiterhin gehört zu werden. Wir geben aus
den Darlegungen des Reichskulturwalters folgenden
Auszug wieder:

Da§ Freilichtspiel ist nicht dazu da, allein unter
wirtschaftlichen oder sremden verkehrsicchnischen Ee-
flchtspunkten Mafien anzuziehen, sondern es hat
seine ihm eigene, kulturelle Aufgabe zu erfüllen.
Iegliches Spiel im Freien stellt sich der ganzen Viel.
falt der Natur: Tag und Dunkel, Sonne und
Sterne, Luft und Wind, Regen und Wetter bestim.
men entscheidend alle Aufführungen unter freiem
Himmel, die so unter Eesetzen, sehr wohl verschieden
von denen des Jnnentheaters, stehen. Perücken und
Schminke, ohne die in den Bereichen des Lampen.
lichtg keine Charakterisierung des Handelnden mög.
lich ist, verlieren am hellen Tag ihre Kraft. Ko.
stüme, nach Form und Farbe auf den Bühnenaus.

Geopolltik"

— Denken in großen Räumen

an den Atlas gebunden, und diese Darstellung bes
Raum-es mit seiner Aufteilung in «inzelne Staaten.
gebiete versllhrt zu leicht üazu, in einem Staat et.
was für immer festgelegtes zu sehen, etwas nach be.
stimmten Formeln degrenztes, wie die Eesetze der
Chemie und Physik unveränderliches. Der Schüler
mutz lernen, datz auch ein Staat seine Gestalt unü
Aufteilung ändern kann. Dazu ist für den Unter.
richt notwendig, mit geographischen Skizzen zu arbei.
ten, die nicht immer leicht zu beschaffen oder anzufer.
tigen sein werden.

Verfehlt wäre es, in der Schule den Unterricht
fortzuführen, der sich auch „geopolitisch" nannte. Da
nahm man sich einen Staat vor und erklärte, warum
dieser — etwa Japan — zu einer Seemacht fich ent.
wickelt. „Japan", so sagte man, „ist ein Insclreich.
Es hat eine autzerordentlich vielgestaltigs lange Küste
mit vielen natürlichen Häfen, die die Iapaner ein.
fach dazu „zwingt", Seefahrt zu treiben."

Das wäre eine höchst oberflächliche Behandlung
einer von zahlreichen anderen Faktoren abhängigen
politischen Notwendigkeit. Wenn die Japaner eincm
Zwang solgend zur Seefahrt ihre Zuflucht nahmen,
dann lag das im wesentlichen nicht an der Vielgestal.
tigkeit ihrer Küst«. Die beginnende Raumnot und
das Fehlen wichtiger Rohstoffe führte das intenstv
zur Macht drängende Volk zur Seefahrt und zur Aus.
dehnung des Handels. Die Küste erleichtertr
dieses Bestreben höchstens, war aber nicht die llr.
sache dazu.

Eeopolitik kann nicht als ein Einzelfach behandelt
werden. Man kann auch nicht einfach an den Ab.
schlutz cines Einzelfaches eine „geopolitische Nutzan.
wendung" knüpfen. Sie ist ein Prinzip, von dem
wir ausgehen müfien, um dann das Eelernte in
einer „geographischen Betrachtung" zusammenzu.
fafien. Nur so wird es möglich sein, von der Hei.
matkunde ausgehend über die einzelnen Wissenschaf.
tsn hinweg zum Schlutz ein umfassendes Bild unserer
Zeit, unjeres Werdens und unserer Aujgahen zu er.
tzattr» Srorg Hiixing.

schnitt bezogen, gewinnen im Freilichttheater nur sel.
ten die Matze, die wirksam stnd, Dekorationen, die
im Vühnenraum ihr Material zu Bühnenbildern zu
erhöhen vermögen, zerfallen im Freien wieder in
das, was ste find: Holz, Leim, Leinen, Papier. Ee.
ften und Bewegungen aus den Grenzen des Euck.
kastens verlieren sich im Freien und werdrn klein.
Das Pathos der Sprache, das im Jnnenraum tem.
periert werden mag, verlangt in der freien Luft
eigene Härte und bestänüige Flllle. Heben and Sen.
ken des Vorhanges öffnet und schlietzt die Welt der
Bühne dem Züschauer. Jm Freien erfolgt als An.
fang und Ende einer an einen bestimmte« Ort ge-
bundenen Handlung die Bewegung drs Aufmarsches
und Abzuges.

Ein einheitliches Freilichtspiel ist erst da gege.
ben, wo Stosf und Eestaltung aus dem Raum des
Einzelmenschen hinaus in die Oeffentlichkeit drängen,
wo ein allgemeines Schicksal und grotzes Geschehnis
völkischen Lebens ersteht, um sich In dem ihm ange.
mefienen Raum auszuwirken. Das Spicl mutz der.
arr sein, datz es die Natur als seine Umwelt ver.
langt, «bcr von ihren Wechselfällen (Sonne und Re.
gcn) seincr Anlage und Sproche nach nicht abhängig
ist. Die Gesta'ten dcs Freilichtspiels, seine „Helden",
sind nicht Privatpersonen, sondern Typen, in denen
ein gemeinsames, über alles «inzelne hinausweisende
Anliegen zur Erscheinung kommt...

Erst nach vielen miihsam gewonnenen Linfichten


«olrstatuvtts cke» »l. voors von elnsm dlilnottS'
nor Melstsi- um 1520

kcherl Bilderbienst.

über die Eigenart und die besondere Aufgabe det
Volksschauspieles ist es möglich, eine neue Art de<
Spiels im Freien zu gestalten. Heute erst besitze«
wtr in Deutschland die wesentlichste VoraussetzunA
fiir diese Art des Volksschauspiels: ein geeintes deut«
sches Volk, erfüllt von einer grotzen Eemeinschafts«
idee.

JmVolksschauspiel spielt ein ganzes Land
und sein Volk mit: nicht in Aeutzerungen romantisie«
render oder veralteter Vorstellungen oon Heimatspie»
als einer Trachtenschau, noch in der Ausgeburt archi-
valischer Ausgrabungen, auch nicht nach Eebrauchs«
anweisungen reimeschmiedender Jubiläendichter
wohl aber aus der gebannten Fülle völkischen Le«
bens, das, landschaftlich gebunden, durch cinen wirk-
lichen Dichter Eestalt gewonnen hat und durch eine»
Epielführer lebendig geworden ist.

Die Reichsfestspiele in HeidelberS-
di« vom Reichsbund der deutschen Freilicht. un§
Volksschauspele veranstaltet werden, werden bei -
> pielhaft bestes deutsches Kulturschafsen vor allek
Welt stchibar werden lafien und damit wsgweiser-d
für die Entwicklung des deutschen Freilichispieles i»
der Zukunst sein."

Lhormusik lebt rvieder auf

Rleine Entwicklungsgeschichte gemischter LHZre

Das Singen gehört zu den natürlichsten und frü.
hesten Aeutzerungen des Menschen. Bei der Arbeit,
bei allen kultischen Handlungen, beim Kamps be.
diente stch schon der Mensch srüher Kulturen der
Stimme, di« er melodisch und rhythmisch zu variieren
lernte. Während anfänglich das Singen als Vor.
recht der Männer gall, gelang es der Frau erst all.
mählich, Lber die private Sphäre der Familie vor.
zudringen in das Reich ösfentlicher Musikbetätigung.
Wir kennen zwar schon aus der Mustkgeschichte sehr
früh den Gesang von Nonnen und vereinzelt bildeten
stch auch schon selbständige Frauenchöre. Aber gegen
das gleichzeitige Aufreten singender Männer und
Frauen bestanden noch das ganze Mitttelalter hin.
durch bis in die Neuzeit hinein gesellschaftliche Wi.
derstände. Erst das 18. Iahrhundert räumte mit
dieser Einstellung auf. Das Aufkommen des Bür.
gertums bedeutet zugleich für die Frau die Gleich.
stellung mit dem Mann auf kulturellem Eebiet. Man
nimmt gewöhnlich an, datz die neuzeitliche Chorbewe.
gung zuerst eine Angelegenheit der Männerchöre g«.
wesen sei. Jn Wirklichkeit liegt die Führung bei
den gemischten Chören.

Die Eründung des ersten grotzen gemischten Cho.
res erfolgte 1790 in Berlin, als Fasch, der „Kla.
vierist" Friedrichs des Grotzen, die Singakade.
m i e schuf, die bald, besonders als Zelter, der
Freund Eoethes, 1800 die Leitung Lbernahm, zur
Musteranstalt nicht nur fiir Deutschland, sondern für
alle Kulturstaaten Europas werden sollt«.

Als dann noch in der Schweiz durch Nägeli,
der heute noch allen durch sein Lied „Freut euch des
Lebens" bekannt ist. eine ähnliche Bewegung'ein.
setzte, da büdeten sich in den folgenden Iahrzebnten
überall in den deutschen Städten gemischt« CHSre.
Ihre Eründung war eine Nowendigkeit: die Ent.
wicklung des musikalischen Schaffens selbst forderte die
Bildung dieser grotzen leistungsfähigen Chorgruppen.
Händel Yatte seineOratorien geschasfen, aus Eng-
land fanden sie ihren Einzug in Deutschland über
Hamburg. Von Wien her kamen die klassischen
Meisterwerke Haydns. und sie gerade, die „Schöp.
sung" und „Die Jahreszeiten" wurden die «igent.
lichen Höhepunkte der deutschen Chorkultur. Bald
standen die gemischten Chöre Lberhaupt im Mittel.
punkt des deutschen Musikgeschehens. Wo immer sich
musikalische Kräse im Laientum regten, fanden ste
stch im gemischten Lhor zusammen. Was ha« Streich.

quartett für die intime Hausmusik war, wurüe de<
gemischte Chor für die össentliche Laienmusikpfleg^
Von selbst wuchsen die Konzert« der gemischten Chött
zu immer grötzeren Veranstaltungen, schlictzlich sogä»
zu regelrechten Musiksesten. Die Musikliebhaber gass'
zer Landschaften trafen stch zu gemeinsamer Arbell
Auf diese Weise ist das erste deutsche Musik'
f e st «ntstanden. Jn der thüringischen Stadt Fraü'
kenhausen yatte ein junger Kantor namens Bischai'
schon 180t die Kräfte des kleinen Landstädtchens
einer festlichen Aufsührung der „Schöpfung" motm
gemacht. 1810 organisierte er dann das erste deuts^
Mustkfest in Frankenhaufen. Er warb in den thö'
ringischen Städten bei Laien und Berufsmusikern s^
jein« Jdee, begeisterte Männer wie Spohr und Meth'
fefiel für den Plan, und dann fand das Mustkfcst tat'
sächlich unter grötzter Beteiligung aus Stadt um
Land im Iuni 1810 statt. Die Chöre Haydns erkliü'
gen, eine Deethoven.-Symphonie wird aufgefüht"
Methfefiel singt zur Laute, an der Abendtafel ek'
klingen Ouartette und Kanons. So reicht schon ra'
mals das Programm der gemischen Lhöre vom Or<"
torium bis zum Volkslied.

Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bk'
deuten eine Blütezeit der deutschen gemiichten Chö^'
Dichter und Musiker hatten die herrlichsten Welf
geschaffen, Sänger und Sängerinnen führten sie r»,
all der Begeisterung auf, deren gerade der Lo''
fähig ist. Den Niedergang in die Eefühlsseligk^
eines schlechten Liedertafelstils des 19. Jahrhunvelt'
haben die gemischten Chöre nicht mitgemacht. 6:
hatten das Glück. datz stch auf ihrem Gebiet bald ^
Zeiten der Renaissance, der Wiedergebu^
regten. Bach wurde wieder entdeckt, Händ l
der auf den Echild gehoben, schlietzlich der dri^
Erotze im Reiche der chorischen Musik entdeckt: Hel^
rich Schütz.

Unsere Tag« sehen die Sache der gemischten Ch^
in vollem Aufstieg. Der Gedanke der Esmeinschast's
musik lenkt von selbst auf den gemischten Chor ds',
ideal« Form des Chorsingens. Viel wertvolle
Literatur wendet stch an die gemischten Chöre,
Dichter sind erstanden, junge Komponisten ringcn
solgreich um eine neue chorische Form, man verd^
staltet Volksliederstngen, die Städte schreiten ^
Eründung neuer gemisch'er Chöre — kurz llberall '
den deutschen Landen bluht eine neue deutjche Ch^
kultux gemischttr Ltzör« auf.
 
Annotationen