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40 Jahre Volksstimme Mannheim: 1890-1930 — Mannheim, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42208#0010
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LUDWIG FRANKS POLITIK
UND DIE GEGENWART VON HEDWIG WÄCHENHEIM

Liebe „Volksstimme"! Du wolltest von mir einen Erinne-
rungsartikel an Mannheim - „Ludwig Frank und Mann-
h e i m". - Ich bin, mußt Du wissen, eine untreue Mannheime-
rin. Manchmal kommt es mir vor, ich wäre erst zur Welt
gekommen oder die Welt mir etwas geworden, als ich Mann-
heim verließ. Erst hier bin ich Parteigenossin geworden.
Auch Ludwig Frank habe ich erst hier kennen gelernt. Aber
in zwei Dingen bin ich doch ein rechtes Mannheimer und
Badener Kind geblieben. Im Augenblick sehne ich mich im
herben norddeutschen März nach dem weichen Frühlingsduft
der Heimat und der Anblick des Badner Landes geht mir
über alle Schönheiten der Natur und der Kultur. Da's andere
ist, der heimatlichen politischen Linie der Partei, dem Lehrer
Ludwig Frank bin ich nie untreu geworden. Und so
habe ich denn doch hinter meinen Namen im Handbuch des
Preußischen Landtages geschrieben: Staatsangehörigkeit
Baden. Aber statt Deines Themas will ich ein politisches
wählen und von den wenigen Volksversammlungen berich-
ten, In denen ich Frank gehört habe.
*
Mannheim 1912. Am 10. Januar hat die Fortschritt-
liche Volkspartei Versammlung im Nibelungensaal. Ich be-
gleite meine Mutter, die ihr Mitglied war. Im Riesensaal
stehen Tische. Dennoch ist er nur halb besetzt. G o 11 h e i n,
Heidelberger Professor, der als Kandidat der Nationallibera-
len und Fortschrittler spricht, ist kein Redner, der bei einer
Zwanzigjährigen zünden kann. Am nächsten Tag soll ich in
einen Vortrag nach dem Musensaal. Ich beschließe mit einer
Freundin heimlich, statt dessen in den Nibelungensaal in die
sozialdemokratische Versammlung zu gehen. Der
Saal ist überfüllt. Wir können gerade noch von einer Türe
aus hineinsehen. Die Tische sind weggeräumt. Menschen
hängen noch an den Emporen. Wir sehen den Redner Frank,
ein großes Profil, an dem aller Blicke hängen, verstehen
kein 'Wort. Wir fühlen nur eine große Spannung, ein Einssein
dies--! vielen Menschen in einem Gedanken, den wir noch
nicht begreifen. Sehnsucht danach wird wach. Die nächsten
Tage bringen den großen Sieg.' Ti 0 Sozialdemo-
kraten!
Mehr als ein Jahr war vergangen. Es gab noch 110 Sozial-
demokraten. „Eine Mehrheit von Bassermann bis Bebel."
Aber die Verfassung und die gesamten politischen Verhält-
nisse ließen Ausnutzung des Sieges nicht zu. Die Regierung
war an den Reichstag mit einer Vorlage auf Erhöhung des
stehenden Heeres von 136 000 Mann herangetreten. Der
letzte Exzeß des preußischen Militarismus vor dem Krieg —
Z a b e r n — stand vor der Tür. —
Die politische Linie Franks war ganz einfach. Die Sozial-
demokratie sollte nicht warten, bis ihr die Macht
zufiel, sondern sie durch Offensive im Parlament erobern.
Das war nur bei gleichem Wahlrecht möglich. Die
Offensive erforderte ein Bündnis mit anderen politischen Par-
teien. In Baden war bei der Machtstellung des Zentrums
zur Abwehr einer konservativ-klerikalen Mehrheit für die
Sozialdemokratie die gegebene Taktik die Koalition mit Fort-
schrittlern und Nationalliberalen. Diese Politik mußte einmal
ln der Partei durchgekämpft werden, zum andern aber mußte,
um sie erfolgreich zu gestalten, die Verfassung berannt wer-
den. Das parlamentarische System im Reich und das gleiche
Wahlrecht in Preußen war das nächste Ziel. Durch Verstän-
digung zwischen Frankreich und Deutschland sollte der Welt-
frieden gesichert und damit gleichzeitig die militaristische
Vorherrschaft in Deutschland von außen gebrochen werden.
Diesem Gedanken diente die eben vorbereitete Verständi-
gungskonferenz französischer und deutscher Parlamentarier.
Im Januar hatten die preußischen Landtagswah-
I e n stattgefunden und — wie konnte es anders im Land des
öffentlichen Dreiklassenwahlrechts sein — bei einer Wahl-
beteiligung von etwa 30 Prozent der Sozialdemokratie statt
sechs zehn Mandate von 443 gebracht.
^Am 11. Juni 1913 sprach Frank, einer Einladung der Berlin-
Wilmersdorfer Genossen folgend, über „Der Massen-
streik gegen das preußische Wahlrech t". Frank,
ein Gesellschafter von seltener Liebenswürdigkeit und An-
mut, mußte in Tagen, in denen er einen Vorstoß plante, von
dem er sich politische Bewegung im starren Deutschland
versprach, immer wieder von seinen Ideen sprechen. Immer
ein vom Stoff erfüllter Redner, war er hier noch mitgerissener
als sonst, für den Hörer bedeutete das noch wärmer und
eindringlicher. Die Wahlrechtsschmach soll uns auf dem
Herzen brennen, wie dem Niederländer einst die Asche des
von den Spaniern ermordeten Vaters im Beutel auf der Brust.
Ein anderes Mittel, das Wahlrecht umzuwerfen, gibt es nicht
mehr, nur noch das letzte. Das gleiche Wahlrecht in Preußen
lohnt den höchsten Kampf. Rosa Luxemburg warf in der
Diskussion Frank die Differenz seiner badischen von der hier
vorgetragenen preußischen Politik vor. Ihre harte Logik hatte
auf mich sonst — ich war eifrige Versammlungsbesucherin
geworden — immer großen Eindruck gemacht. Hier prallte sie
an dem leidenschaftlichen Wollen Franks, die Arbeiter müßten
die deutsche Politik nun vorwärts treiben, ab. Sie vermochte
die Versammlung nicht zu gewinnen. Zum Schluß Frank:
„Ich habe nicht den Mut, so feige zu sein und
auf den Massenstreik zu verzichten."
Aber die Partei, die die badische Koalitionspolitik ab-
gelehnt hatte, lehnte auch einen zusammenraffenden Kampf
gm das preußische Wahlrecht ab.

Badische Landtagswahl 1913. Versammlung in
einem kleinen Tabakarbeiterdorf nahe Mannheim. Die atem-
lose, schweigende Teilnahme der Dorfversammlung. Ruhe
von Menschen, die wissen, der Führer gehört ihnen. Frank:
„Arbeitsgemeinschaft zur Erfüllung liberaler Forderungen für
die Schule, neue Städteordnung, Proporzwahlrecht. Baden
soll in kleinem Rahmen zeigen, wie später das Bild Deutsch-
lands im großen aussehen soll."
Dann kam im Sommer 19 14 die letzte Versammlung
wieder im überfüllten Nibelungensaal. In diesen erregten
Stunden drängten sich alle zum Führer. Frank gab ein großes
Bild der kriegsdrohenden Gefahren. An die Möglichkeit, mit
seinem Protest den Krieg zu verhindern, glaubte er nicht
mehr. Es war seine letzte öffentliche Versammlung, die
letzte manches Anwesenden.


Frank als Abiturient

So oft bin ich gefragt worden noch in den letzten Jahren:
Wie kann ein Pazifist sich freiwillig melden? Aber muß ein
Mann, der fest mit der Arbeiterschaft verbunden ist, nicht
auch die höchste Not mit ihr erleiden? Da die Sozialdemo-
kratie zu machtlos war, den Krieg abzuwehren, mußten auch
ihre Mitglieder Deutschland verteidigen. Frank mit dem
Blick, der immer über die nächsten Schwierigkeiten und
Nöte wegflog, sah den Krieg als Hebel, der die verzweifel-
ten innerpolitischen Verhältnisse umwerfen würde. Darum
schrieb er auch an einen Freund: „Jetzt führen wir für das
preußische Wahlrecht einen Krieg."


Wir haben nun länger als ein Jahrzehnt die Verfassung,
für die Frank in jenen Jahren gekämpft hat. Gleiches Wahl-
recht und parlamentarisches System in Reich und Ländern.
Großes ist in den Jahren nach dem Krieg erreicht worden.
Die Stagnation, gegen die Frank angekämpft hat, ist ge-
wichen. Deutschland treibt eine Außenpolitik des Friedens,
die Sozialpolitik ist ausgebaut. Sogar in Ostelbien, wo einst

die Polizisten des königlichen Landrats die sozialdemokrati-
schen Versammlungsredner auf die Straße warfen, gibt es
sozialdemokratische Landräte und Gemeindevorsteher.
Im Parteisystem hat sich vieles geändert. Der ganzen
Sozialdemokratie ist die jetzt freiheitliche Verfassung, die
Grundlage ihres Wirkens, jede Verteidigung wert. Kaum ein
Parteimitglied schreckt vor einer Koalition mit bürgerlichen
Parteien zurück, wenn die politische Lage es erfordert. Wer
auf die Weltrevolution warten will, geht mit dem unpoliti-
schen Weg der KPD., der in Sektierer-oder Rowdytum endet.
Zu Franks Zeit war ein Teil des Bürgertums mit der So-
zialdemokratie im Protest gegen den wilhelminischen Feudal-
staat und im Kampf gegen ein Bündnis von Dynastie und
Kirche gegen die geistige Freiheit einig. Das Bürgertum
hatte noch wie die Arbeiterschaft um sein Recht auf poli-
tische Macht zu kämpfen. Heute benutzt es die politische
Freiheit, die ihm die Sozialdemokratie erkämpft, seine wirt-
schaftlichen Machtansprüche zu sichern. Seit Stresemanns Tod
und seitdem Hugenberg die Deutschnationalen auf eine
romantische Opposition festlegt, löst sich die Deutsche
Volkspartei von den liberalen Ideen des Bürgertums und
vertritt nur noch dessen vermeintliche wirtschaftliche Inter-
essen. Der Rest Demokraten, der von der Fortschrittlichen
Partei übriggeblieben ist, vertritt daneben, wir haben es in
Preußen und Baden gespürt, noch den besonderen Anspruch
der „Bildung" auf politisches Vorrecht, Die größte Wandlung
im inneren Parteisystem seit jenen Tagen ist vielleicht, daß
sich im Zentrum ein Arbeiterflügel sich durchgesetzt hat.
Er macht in Gebieten, in denen die katholische Bevölkerung
nicht nur aus Landwirten besteht, die Koalition mit dem Zen-
trum zu einem Erfolg in Fragen des demokratischen und
sozialen Ausbau des Staates. Aber diese Koalition verlangt
Bescheidung in allen kulturellen Fragen und in der Anpas-
sung der Gesetzgebung an neue sittliche Grundsätze.
Jüngst haben wir, ein paar Genossen, die auf der Frank-
schen Seite jene Kämpfe miterlebt haben, im Preußischen
Landtag an sie gedacht. Es v/ar an dem Tag, da wir einen
hervorragenden Minister einer sittlichen Auffassung opfern
mußten, die nicht die unsere ist, um unsere Flügelstellung
nicht durch unpolitische Angriffe zu gefährden. Damals, vor
1918, hatten wir nur an das große Ziel des freiheitlichen
Deutschland gedacht, nicht daran, daß wir auch dann noch
in zähem Kleinkrieg Stellung um Stellung zu verteidigen
hätten.
Und dennochl Wer sich der unermüdlichen Kämpfe er-
innert, die Frank gegen die alte Verfassung und die Immer-
nur-Opposition der Partei führte und wie es auf diesem
Kämpfer lastete, daß man in Deutschland und Preußen nur
opponieren, nicht gestalten konnte, weiß, was wir gewonnen
haben!
*
Heute, da die „Volksstimme" 40 Jahre besteht, denken wir
des toten Führers, der auf der Höhe seines Lebens mit ihr
verbunden war. Er hat sterbend das große Bild eines neuen
Deutschlands vor Augen gesehen. Wir müssen es jetzt im
Kleinkampf formen. Hätte er ihn ertragen? Ja, denn ihm war
der Tageskampf immer nur Wegstück zur Zukunft, die er in
deutlichen Bildern siegreich vor sich sah. So nur können
auch wir die Gegenwart meisternl

OSCAR GECK
ALS JOURNALIST
VON EMIL HAU TH, STUTTGART
Als Oscar Geck vor nun bald zwei Jahren starb, lag
der stärl-ste Akzent in den Nachrufen, die ihm in der Presse
gewidmet wurden, auf seiner politischen Tätigkeit. Undohne
Zweifel war diese Tätigkeit, insbesondere auf den Spezial-
gebieten des Verkehrswesens, der Kulturpolitik - Schule und
Theater - und der Reichsreform bedeutsam genug, seinen
Tod als eine empfindliche, nicht leicht auszufüllende Lücke
erscheinen zu lassen. Und dennoch: die höchste Potenzierung
seiner Persönlichkeit und seiner politischen Wirkung lag nicht
in seiner Arbeit als politischer Agitator und Organisator,
auch nicht in seinem parlamentarischen Wirken, sondern in
seiner hervorragenden journalistischen Begabung
und Wirksamkeit. Hier war seine eigentliche und große
Liebe, hier fand seine Natur ihren stärksten und persönlich-
sten Ausdruck und hier werden auch die Spuren seines Da-
seins am längsten sichtbar bleiben.
Es ist eine alte und berechtigte Feststellung, daß wir in
Deutschland — im Gegensatz etwa zu Frankreich — nie über
eine besonders große Zahl bedeutender Journalisten verfüg-
ten. Das gilt vor allem für die Tagespresse, die auch heute
noch, trotz aller krampfhaften Künste der äußeren „Auf-
machung" und der bewußt ungeistigen Sensation immer
wieder zu zähflüssiger Unlebendigkeit erstarrt, zu einer Un-
lebendigkeit, die man euphemistisch vielfach als „Sachlich-
keit" deklarierte, mit der sie in Wahrheit doch nichts oder
nur sehr wenig zu tun hatte. Es fehlt uns in Deutschland an
jener Reizsamkeit des Bewußtseins und des Gefühls, das
gewissermaßen automatisch auf alle, auch die kleinsten und
scheinbar unbedeutendsten Tatsachen des menschlichen,
sozialen, politischen und kulturellen Lebens aktiv reagiert
und an jener geistigen Freiheit und Leichtigkeit, dieser Reak-
tion nicht nur den sachlich beg ründeten, sondern auch
den der Sache unbedingt angemessenen und wirksam-
sten formalen Ausdruck zu geben. Es fehlt an jener spe-
zifischen Begabung, die man wohl eine künstlerische nennen
könnte: eine Sache nicht nur richtig, sondern auch leben-
dig, d. h. anschaulich und mit dem stets wachen Sinn für
die psychologische Wirkung darzustellen.
 
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