Aschen Angriff z» unterstützem Diese Nachricht WM M Mtllcher
Stelle bestätigt. Verstärkungen zu Wasser und zu Lande werden
mit aller Geschwindigkeit auf den Weg gebracht. Die englische Re-
gierung hat bereits Griechenland, Jugoslawien und Rumänien
ausgesordert, eine Verteidigung der Meerengen einzuleiten und vor
allen Dingen zu helfen, die neutrale Zone frei von kemalistischen
Truppen zu halten. In englischen autorativen Kreisen wird be-
stätigt, daß England grundsätzlich bereit sei, gegebenenfalls Kon-
stantinopel an die Türkei zurückzugeben, wenn der Friede gesichert
sei. Wer so lange Kemal die Meerengen bedrohe, könne keine end-
gültige Entscheidung getroffen werden. Die britische Regierung
beabsichtigt, sofort und wenn nötig in ausgedehntem Maße die dem
General Harrington, dein alliierten Oberbefehlshaber in Kon-
stantinopel, zur Verfügung stehenden Truppen zu verstärken, wäh-
rend außerdem dem britischen Mittelmeergeschwader Besohl erteilt
worden ist, mit allen Mitteln einer Verletzung der neutralen Zone
durch die Türken oder einem Versuch derselben, aus die europäische
Küste überzusetzen, Widerstand zu leisten.
Noch keine Antwort Kemal Paschas.
Amsterdam, 17. Sept. Aus London wird berichtet: Die
alliierten Oberkommissare in Konstantinopel haben noch keine Anr-
wort aus ihre letzte Note an Kemal Pascha erhalten.
Kleine politische Nachrichten.
Um den deutschen Bvtschafterposten in Moskau. Berlin,
18 Sept. Eine amtliche Bestätigung von deutscher Seite über die
Richtigkeit der Meldung aus Moskau, daß Graf Brockdorfs-Rantzau
zum deutschen Botschafter in Moskau demnächst ernannt werden
Wird, liegt bisher noch nicht vor.
Das Ende der „Täglichen Rundschau". Berlin, 17. Sept.
Die beiden leitenden Redakteure der „Tägl. Rundschau", Hus-
fong und Dr. S ch u ltz e-P säl z e r, sind beim Verlag August
Scherl eiugetreten. Die „Tägl. Rundschau" wird ihr Erscheinen
einstellen.
Badische Politik.
Karlsruhe, 18. Sept. Der Händtagsabg. FreidHof,
Metallarbeiter in Mannheim, der der unabhängigen sozialdemo-
kratischen Partei angehörte, hat sich in einem Artikel in der Mann-
heimer „Tribüne" für die Vereinigung mit der Mehrheitssozial-
demokratie ausgesprochen und wird in die sozialdemokratische Land-
tagsfraktion eintreten. Die Abg. Frau Unger tritt zu den Kom-
munisten über, die dann mit vier Sitzen im Landtag vertreten sind.
Soziale Rundschau.
Ei» nettes Lohnabkommen mit den Buchdruckern.
Berlin, 17. Sept. Der Tarifausschutz der deutschen Buch-
drucker hat am 17. September nach dreitägigen Verhandlungen «ist
n e u e s L o h n ab ko mm en abgeschlossen, das bis zum 7. Oktober
täust. In den Spitzen beträgt die Lohnzulage in der ersten unß
zweiten Woche 800 Mark, in der dritten Woche 1200 Mark. In-,
folge der Lohnerhöhung in Verbindung mit den enorm gestiegenen
Preise an Materialien und BetriebKunkosten erhöhen sich die Druck-
prcist vom 18. September ab um 60 Proz.
Neuregelung der Bcamtengehälter.
Berlin, 16. Sept. Angesichts der drohenden Eisenbahicer-
bewegung ini Westen, traten gestern nachmittag, Wie die Telegra-
phenunisn erfährt, die Vertreter des deutschen EisenbahnerveNban -
des, die Gewerkschaft deutscher Eisenbahner und des allgemeinen
deutschen EisenLahnerverbandes im ReichsverkehrsmiNisterium zu-
sammen, um mit der Verkehrsverwaltung über die zu treffenden
Maßnahmen insbesondere über die Gewährung einer einmaligen
WirtschaftsbMMe und Wer die Neuregelung der Gehälter und
Löhne der Staatsbeamten zu beraten. Die Vertreter der Gewerk-
schaft deutscher Esienbahner drangen daraus, daß diese Frage einer
tlNeuttigen Lösung entgegeNgestihrt Werden müsse. Der augen-
blicklich in München tagende Vorstand des deutschen Eissubahuer-
vevbandes hatte ans telepphonischen Anruf des Reichsverkchrsmini-
steriums erklärt bekommen, daß die Verhandlungen erst übernächste
Woche stattfinden könnten. Die Vertreter der Gewerkschaft deutscher
Eisenbahner erklärten, daß es ausgeschlossen sei, solange zu warten
und daß sofort bindende Verhandlungen stattfinden müßten. Nach
einer längeren Aussprache einigte man sich darauf, daß die Ver-
handlungen am Donnnerstag mittag im RvichssinanzMinisterium
stattfinden sollten.
Die Tuberkulose itt Baden vor und »ach dem Kriege.
Einer der gefährlichsten Gegner unseres Volkes und besonders
unserer Jugend ist die Tuberkulose, vor allen Dingen die Lungen-,
weniger die Kehlkopstubcrkulose. Seit dell 80er Jahren des vori-
gen Jahrhunderts ist nach den Veröffentlichungen des Statistischen
Landesamtes in Nr. 3 seiner Mitteilungen in Baden ein langsamer
Rückgang der Sterblichkeit au Lungentuberkulose sestzustellen.
Während in den Jahren 1886/1895,noch von 1000 Einwohnern 2,9
und im folgenden Jahrzehnt 2,3 starben, kamen im Durchschnitt
MdseMMMeSkirmKÄMMllMtM
MMew.
Am Sonntag, den 1. Oktober findet 1« Eberbach
vormittags 1V ühr eine
Konferenz
sämtlicher Ortsausschüsse innerhalb des Landeskommissariats«
bezirks Mannheim statt.
Tagesordnung:
1. Aufstellung von Kandidaten zu den Berftcherungs-
ämtern und zum Oberverficherungsamt.
Referent: Kollege Stock, Karlsruhe.
2. Die Aufgaben der Verfichertenvorstandsmitglie-
der der Krankenkassen.
Referent: Kollege Schwarz, Mannheim.
Die Ortsausschüsse werden gebeten, Vorschlagslisten
für dis Wahl des Versicherungsamts, in dem sie wohnen,
mitzubringen. Die Vorstandsmitglieder der Ortskranken-
kassen insbesondere müssen zu dem Besuch der Konferenz
in^Anbetracht ihrer Dichtigkeit aufmerksam gemacht werden.
Der Landervorstand.
der Jahre 1S06/1S10 aus 1000 der Bevölkerung 1,8, in den Jahren
1911/1913 nur mehr 1,7 Todesfälle.
Im Vorkriegsjahre 1913 unterlagen de« Tuberkulose 3171 Per-
sonen, das sind auf 1000 Einwohner 1,4 oder von 1000 Gestorbenen
9,5 Personen, die niedrigste Zahl, die seit Jahrzehnten in Baden
beobachtet worden ist. Die seit den 90er Jahren des vorigen Jahr-
hunderts planmäßig betriebene Bekämpfung dieser Volksseuche war
also von Erfolg begleitet.
Wie vielerorts, so hat auch in unserem Lande die Sterblichkeit
an Lungenschwindsucht während Les Krieges wieder stark zu-
genommen. In den Jahren 1915 und 1916 kamen zwar auf 1000
Einwohner immer noch 1,4 bzw. 1,5 an Lungenschwindsucht ge-
storbene Personen, im Jahre 1917 stieg die Zahl jedoch auf 1,8 und
iM nächst« Jahre ans 1,9.
Seit Kriegsende nimmt die Tuberkulosesterblichkeit erfreulicher-
weise wieder langsam ab. Im Jahre 1920 starben aus 1000 Ein-
wohner in Vaden 1,5, im folgenden Jahre 1,3. Damit nähert sich
die Tuberkulosesterblichkeit wieder dem Stand der Vorkriegszeit
und ist zu erwarten, daß Durch das tatkräftige Eingreifen der staat-
lichen und privaten Wohlfahrtsorganisationen dieser verderben-
bringenden Seuche noch mehr Einhalt geboten wird.
Zur Statistik unehelicher Kinder in Baden.
In Nr. 6 seikker amtlichen Zeitschrift hat das Badische Stati-
stische Landesamt aus die Zunahme der unehelichen Geburten in
unserem Land, sowie in den Nachbarländern gegenüber der Vor-
kriegszeit hingewiesen. In Ergänzung dieser Untersuchung bringt
die soeben erschienene Nr. 8 der „Statistischen Mitteilungen über
Las Land Baden" eine Darstellung über die Mütter unehelicher
Kinder nach Alter und Beruf im Jahre 1921. Dem Alter nach
stand der größte Teil der unehelichen Mütter (gegen 54 Prozent)
im Zeitpunkt ihrer Niederkunst im Alter von 20—25 Jahren. Ein
Atter von 18 Jahren hatten 190 Mütter noch nicht erreicht, das
Alter von 45 Jahren 5 Personen bereits überschritten. Die jüngste
uneheliche Mutter des Berichtsjahres 1921 war erst 14 Jahre alt.
Hinsichtlich des Berufs stehen die Fabrikarbeiterinnen in der Sta-
tistik der unehelichen Mütter an erster Stelle (839 Fälle). Den Be-
rus „häuslicher Dienstbote" hatten 245, den Beruf Näherin 192,
Wäscherin und Büglerin 30, Kellnerin 28, Modistin und Beklei-
dungsgewerbe 35, Friseuse 9 angegeben. Auf die Land- und Forst-
wirtschaft entfielen 423 Fälle. Als Bureaugehilfin, Verkäuferin,
Kontoristirr usw. bezeichneten sich 248 Mütter.
Die Säuglingssterblichkeit in Baden.
' Nach den Feststellungen des Statistischen Landesamtes ist die
Säuglingssterblichkeit seit Anfang dieses Jahrhunderts in lang-
samer Abnahme begriffen. Während im Jahrzehnt 1881/90 in
Baden auf 100 Leben-geborene im Jahr noch 22,9, im Jahrzehnt
1891/1900 21,7 im ersten Lebensjahr Gestorbene kamen, betrug die
Säuglingssterblichkeit iM Durchschnitt der Jahre 1901/10 nur noch
18,8, im Zeitraum der Jahre 1907/13 16,1. Erfreulicherweise ist
der Rückgang der Säuglingssterblichkett durch dell vierjährigen
Weltkrieg nicht aufgehalten worden. Sie beziffert sich im Durch-
schnitt der Jahre 1914/18 im Durchschnitt des Landes nur noch
aus 14,6 und ist in den Nachkriegsjahren 1919/22 auf 11,5 Prozent
gesunken.
Was die PEMNg nach einzelnen BeKrken anbelangt, so
stehen die BeAxkä Müllheim (5,7), Lörräch (7,1), Säckingen (8,1),
Donaueschingen (8,4) und Triberg (U) M günstigsten. Der ge-
Whrdesste Bezirk ist, wie schon vor 50 Jahren, Bruchsal mit 16,5
Prozent.
Bei den Knaben ist, wie schon in früheren Jahren, eine größere
Sterblichkeit zu beobachten als bei den Mädchen. Desgleichen ist
der Prozentsatz bei den Unehelichen erheblich größer als bei den
Ehelichen.
Todesursache sind zum überwiegenden Teil bei den unter
1 Monat alten Säuglingen Lebensschwäche und Bildungsfehler,
bei den übe« 1 Monat bis zu 1 Jahr alten Säuglingen Brechdurch-
fall, Magenkrankheiten, Darmkatarrh, Abzehrung, Lungenentzüm
düng, Tuberkulose.
Der Rückgang der Säuglingssterblichkett ist in erster Linie der
sich immer mehr über das Land ausbreitendeu Fürsorgetätigteit
der Städte, Kreisverwaltungen und besonders des Landesverbands
für Säuglings- und Kleinkindersürsorge durch Errichtung von
Krankenhäusern, Säuglingsheimen, Miitterberatungsstunden usw
zu verdanken.
Kommunales.
Die Wahlen in Braunschweig.
Braunschweig, 18. Sept. Laut „BraMschw. Nachr." er-
hielten bei der gestern hier stattgesundeneu Wahl Der unbesoldeten
GtaDträte Die Sozialdemokraten 5581 Stimmen, Die Unabhängigen
14 564, Vie Kommunisten 5098, Die Wirtschaftliche EinheiWiste
(Bürgerliche) 21 720 und -io Demokraten 3081. Darnach entfallen
auf Die Sozialdemokraten 1, Unabhängigen 2 und Die bürgerlich«
Einheitsliste 4 Sitze. Kommunisten und Demokraten Hatzen keinen
Sitz erhalten.
Aus der Stadt.
Geschichtskalender.
18. September. 1848: Barrikadenkampf in Frankfurt a. M. und
Darmstadt. — 1904: Sozialdemokratischer Parteitag in Bremen,
1910 in Magdeburg, 1921 in Görlitz.
Parteinachrichten«
In der Woche von, 17.—25. Sept, ist das Parteisekvetarmt nn«
am Dienstag und Donnerstag von 6—8 Uhr abends geöffnet. In
dringenden Angelegenheiten wende man sich außer dieser Zeit an
Genossen Kilger, „Artnshos", Zimmer 9.
Der diesjährige „Volkskalender" ist erschienen und ersuchen
wir die Ortsvereine des Amtsbezirks Heidelberg Dieselben im
Parteivureau avholen Zn lassen.
Der Kreisvorstand. I. A.: Aman.
Die Nebel Steigen.
Herbst geht durchs Land. Das erste Welken ist da. Müdigkeit
schwingt durch die kurzen Tage. Von Wehmut und Versonnenheit
ist die Lust erfüllt. Wieder steht ein Sommer an der Rüste. Er hat
Nicht gehalten, was er versprochen. In vielerlei Hinsicht nicht. Ein
ganzes großes Volk siecht dahin. Alle Zukunft ist ihm verhängt.
Einem harten Winter schreitet es entgegen. Alle Wege zur Sonne,
sind ihm versperrt. Die Not hat eine nie geahnte Höhe erklommen.
Hager, gebückt, entkräftet und kraftlos schreite» die Menschen dahin«.
Ihre Blicke sind glanzlos, ihre Bewegungen müde geworden. Der
Sommer will scheiden. Und die Nebel steigen zäh rind Weitz . . .
Die Nebel steige». Durch die Arbettergassen schwingen sie ihre
Weißen Leichentücher. Alle Hoffnungen nnd Erwartungen sind
längst zu Grabe getragen worden. Unerschwinglich teuer ist das
Brot geworden. An Fleisch und Fett ist kaum mehr zu denken.
Alles, was das Leben angenehm und lebenswert macht, ist von
einem großen, grauen Verzichten versiegelt worden. Air neue
Kleidung ist nicht mehr zu denken. Zur Feuerung wollen die paar
Lohnpfennige, trotz ihrer zifsemmätzigen Riesenhöhe, nicht mehr
langen. Und die Blätter salleu. Lautlos und welk gleiten sie auf
den Erdboden. Ein großes Grab hat sich aufgetan. Eine starre,
finstere Ruhe breitet die schwarzen Flatterschwingen über den Fried-
hof der Heimat . . .
Die Nebel steigen. Wohl ist Arbeit noch in reichlichem Ausmaß
vorhanden. Und alles arbeitet. Arbeitet mehr als acht Stunden.
Nach Feierabend geht die zweite Arbeitsschicht an. Im Haushalt,
im Garten, in irgend einer Nebenbeschäftigung. Aber diese Mehr-
arbeit vermag die hohen Anforderungen, die das Leben stellt, nicht
wettzumacheu. Ein ganzes Volk geht zu Grunde — trotz Fleiß und
Tüchtigkeit und ehrlichem Willen. Hohläugig schreiten die Kinder,
matt und entnervt die Alten. Unterernährung schwingt ihre« blutige
Geißel. Die Magen Murren. Trostlosigkeit foltert die Seelen.
Und wir fragen uns sinnend: womit haben wir diese Furchtbarkeit
verdient? Und erhalten keine Antwort. Der Herbst ist da. Und
die Nebel steigen . . .
Der Jahrestag des Oppauer Unglücks. Am Donnerstag, den
21. d. M., ist ein Jahr verflossen seit der furchtbaren Explosion im
Oppauer Werk «der Bad. Anilin- und Sodasabrik. Wir erinnern
uns noch alle dieses verhängnisvollen Tages, der so furchtbares
Felir Notvest.
Roman von Jakob Christoph Heer.
(39. Fortsetzung.)
Fölix Notvest liest ihm den Brief Karl Wehrlis vor, Dor das
schmerzliche Ereignis mitteilt: „Sie erzählte unserem kleinen Harrs
vom Großvater in Reisenwerd, der zu Besuch kommen würde. Sie
spra chmit Ghristli Mer RetsenWerD, über Vie Jugendzeit, wie alles
schön gewesen sei, die alten Linden, das Lätschschietzeu. „Sony,
begib dich zur Ruhe!" mahnten wir, aber sie sagte: „Laßt mich!
Es Wird jetzt alles von selber wieder gut." Sie wollte noch sin-
gen: „Wem Gott ein Irenes Lieb beschert", aber es ging nicht, sie
erzählte Dafür, «wie die JunMNannschaft in der Nacht Vie Reben des
Schleifers Keller bearbeitet hat. „Und an der Tanne stand im
Tagschein« der Vater und «lachte vor Freude!" Run war es Nus
einmal, als ob Vie Sony träumte. Dann sank sie Ghristli in den
Arm. „Karl!" hauchte sie noch — der Rest war Sterben!"
Der Kommandant vevt nnd zittert an allen Gliedern. „So, sie
hat noch an den Morgen gedacht? Ich aber sehe meine Lony nie
Wieder — niemals — niemals! — Doch, «doch; meine Lony kann ja
Mcht tot sein!" Er fährt aus: „Lebt wohl, Herr Pfarrer, und er-
«zahlt anderen Leuten solche Märchen!" Wie einer, der im Dunkeln
tappt und cs doch eilig Hat, verläßt er das Pfarrhaus.
Einen Augenblick zu spät fällt es Felix Notvest ein, daß er dem
Kommandanten hätte folgen sollen.
Der unglückliche Mann geht vor sein Haus, aber er tritt nicht
«in. „Das ist brav, Barry, Naß Vu «bei mir bist!" Er wendet sich,
er steigt Den hoch mit Schnee bedeckt« Rebberg empor, «aus Dem
xinige nackte, braune Sprossen ragen. AM Waldrand stellt er sich
hinter die Tanne, hinter der er einst gestanden hat, und er tut so,
als ob er jemand belauere. „Sie hat HM doch eine große Freude
gehabt «an meinem Brief", spricht er für sich. „So schau doch her,
Lony, ich lache vor Freude!" Und er grünst. „Barry, suche Sony!"
schmeichelt er dem Hunde. Ja, wenn Du sie halt nicht findest, ist sie
tot — tot." Er hört die Stimmen von Leuten«, Vie in Der Nähe
Hölz hacken. „Komm, Barry!" Wie wenn er von den Leuten
etwas zu fürchten hätte, schleicht er weite« durch den Mit Rauhreif
behangenen Wald und gerät in eine wilde, ächzende Eile. Er weiß
es selber nicht, wie viele Stunden er schon mit Barry im Schnee
Wandert. Nach Lyon will er plötzlich nicht mehr, Der «alte Bauers-
wann. Was Würde er Dort finden! Nichts als ein frisches Grab!
Wer Mit weg Will er Von soinein nnver-ehrten Heim. „Warum die '
Lony, warum nicht die Judith?" fragt er im Selbstgespräch. Vor
Fußspuren im Schnee hält er M: „Wenn es die Tritte Lonhs
wären!" Vagelschwingen haben sich Im Vorüberslug in den reinen
Schnee gezeichnet. „Ehe Die Seele Lonhs in Den Himmel gestiegen«,
hat sie Wohl in heiliger Liebe den Boden der Heimat gestreift."
Ueberall entdeckt er Lony» Spur, jeder Hauch Des Verschneiten Wal-
des, «die Kirrenden Eis nadeln sprechen Sony, seinem Prachtmüd-
chen! Der SylvefleraSend dämmert, Und wo der Wald hoch und
still ist, ruht der Kommandant, Den Kopf Marrys auf seinen Kutten.
Und wahrhaftig, er sieht Sony. Jung und stark schreitet sie, ein
Büschel Weizen im Arm und Vie Sichel iU Der Hand, mit lachen-
den Augen aus ihn zu. Und er redet sie an: „Lony, soll ich das
Heimwesen Franz Wohlgut geben?" „Sei nicht so unvorsichtig,
Vater!" und -ihre großen «Augen, die so sonnig sind wie blühender
Flachs, strahle!, ihn an. Ja, er und seine Lony versteh«»' sich. „Du
haft recht, Sony, ich bin kein Tor wie König! Lear!" Er erwacht
Wer seinem eigenen Wort.
Da, horch!. — Rings im Lande klingen Die NsujaHrsglocken,
die Töne schweben und beben« über Vie gefrorene Erde und steigen
hinaus zu Den ewigen Sternen. Wie schtcksalsMächtig das singt
und klingt! Der alte Mann im Walde ringt sich empor. Wenn
rnan «doch die Jahre zurücknehmen könnte, Die selbstverschuldeten
Jahre ohne Liebe und Glück! Er schwankt zu der Lichtung: das
Gesicht von den Tränen der Reue bedeckt, schreit er in den schwar-
zen, starre«! Winievhimmel Hinauf: „Liebe Lony, ich wünsche di«
von Herzen ein gutes, gesegnetes, glückhaftes und freudenreiches
neues Jahr!"
Mehrere Tage int der Kommandant einsam durch die Wäl-
der. In einer fernen Gegend hören die Leute nSchtlWerweile
einen Hund heulen. Sie gehen den langgezogenen, kläglichen Tö-
nen nach. Im Dickicht einer Waldschlucht finden sie einen Greis,
der kraftlos und ohne Besinnung -Wiegt und wohl erfroren und
gestorben WA«, wenn ihn das treue Tie« Nicht mit seinem Leib
gedeckt hätte. Als MM den Unbekannten, der Een« guten Sonn-
tagsstaat trug und eine bedeutende Summe Geld bei sich hatte, ins
Lors brachte und er wieder etwas zu Kräften gekommen war, wollte
er seinen Namen geheim behalten. Der Gemeindepräsident ade«
erkannte ihn. „Gott, seid Ihr «es, Grotzrat?" — »Ja, so weit kommt
man", stöhnt der KömmMdant, „wenn MM die bessere Tochter
mMandell und die schlechtere vorzieht!"
Er wird unauffällig nach ReifenweW NND in sein Haus zu-
rückgebracht, aber unter dm Dörflern, die zuerst glaubten er fei
zur BeerDigung KochyK nach Lyon gereist, W'M MütMns nM
Redens kein Ende, die Reisenweider schämen sich ihres Grotzmtes
und merken es wähl, daß dieser Beste vom Vauerustamme vor dem
Zusammenbruche steht. Niemand mag in das -Nnglückshaus tre-
ten, und seine Bewohner kommen vor Schande nicht auf die Straße.
Dem Kommandanten ist es Weh und weinerlich, er wiederholt
nur immer: „Es ist mir nicht gut, Susanne, «hole mir ein Was
roten Weins!" Er sitzt am Tisch und trinkt, wortlos sitzt er da,
liebkost dann und wann Barry, und wenn« er etwas spricht, ist es
von Lony.
„Lony ist jetzt im Himmel!" versetzt Frau Susann- sanftmütig.
„Soll aber -eine Judith auch wie Lony sterben? Mich drückt de«
Kummer um das Kind in die Erde.
„Ich trete das Heimwesen nicht ab!" knirscht er.
„Du bist jetzt in den Sechzigen, Hans Ulrich", überredet Fran
Susanne, „lade ein wenig von deinen Schultern ab. Was willst
Du noch regieren! Lasse einmal «die Jungen schalten und walten'.
Mit Franz wird schon auszukommen sein!"
Der Tod Lonys, Das Unglück im Haus, die Gewissensbisse, der
Wein und das Zureden seiner Frau übermannen nach und nach
den Kommandanten. „Gebt mir Frieden!" stöhnt er. „Ich bin ja
schon ein halber Narr, was tuts wem» ich ein ganzer werde? Ich
will nichts als ein Plätzchen, wo ich an Sony denken kann."
„Soll Judith an Franz schreiben, daß er vorbeikomme?" fragt
Frau Susanne, „du wollest dich mit ihm besprechen!"
„Gut, sie mag ihm schreiben!" murmelt der gebrochene Kom-
mandant, „schlagt mir auch den Nagel in den Sarg, ich habe nichts
dagegen!"
Ein dunkler Tag kommt. In« der Wohnung sitzt, die Fede«
hinter Dem Ohr, dir Kanzleibogen Vox sich, Der Notar. Franz hat
zwei Zeugen mttgebmcht, keine Bauern aus Dem Dors, Vas wollte
der Grotzrat selbst nicht, sondern zwei seiner Freunde. „Was seid
Jhr von Beruf?" wendet sich der Konimaudant an den einen. "
„Güterhändler!" „Und Ihr?" fragt er Den anderen. „Börsenmak-
ler!" Der Kommandant knurrt unwillig,
"So, ich lgvc alle Beteiligten und Zeugen ein, die Urkunde zu
unterschreiben", versetzt der Notar nach einer Stunde kalt und ge-
schäftsmäßig, doch auch so, als habe er selbst kein Zutrauen zu den»
geschlossenen Ehe- und Uevergabevettrag. Er reicht Vie Feder zu-
erst dem Kommandanten. Wie der Grotzrat unterzeichnet, daß er
Haus- und Heimwesen, mitsamt ver Jahrhave, doch mit Vorbehalt
-eines Leivgedings, eines Oberstübchens, das Hm und seinem Ehe-
Weib als unzerstörbares Eigentum angehört, an seinen Schwieger-
sohn abtritt, da zittert ihm die Hand so sehr, daß er die Linke ans
Stelle bestätigt. Verstärkungen zu Wasser und zu Lande werden
mit aller Geschwindigkeit auf den Weg gebracht. Die englische Re-
gierung hat bereits Griechenland, Jugoslawien und Rumänien
ausgesordert, eine Verteidigung der Meerengen einzuleiten und vor
allen Dingen zu helfen, die neutrale Zone frei von kemalistischen
Truppen zu halten. In englischen autorativen Kreisen wird be-
stätigt, daß England grundsätzlich bereit sei, gegebenenfalls Kon-
stantinopel an die Türkei zurückzugeben, wenn der Friede gesichert
sei. Wer so lange Kemal die Meerengen bedrohe, könne keine end-
gültige Entscheidung getroffen werden. Die britische Regierung
beabsichtigt, sofort und wenn nötig in ausgedehntem Maße die dem
General Harrington, dein alliierten Oberbefehlshaber in Kon-
stantinopel, zur Verfügung stehenden Truppen zu verstärken, wäh-
rend außerdem dem britischen Mittelmeergeschwader Besohl erteilt
worden ist, mit allen Mitteln einer Verletzung der neutralen Zone
durch die Türken oder einem Versuch derselben, aus die europäische
Küste überzusetzen, Widerstand zu leisten.
Noch keine Antwort Kemal Paschas.
Amsterdam, 17. Sept. Aus London wird berichtet: Die
alliierten Oberkommissare in Konstantinopel haben noch keine Anr-
wort aus ihre letzte Note an Kemal Pascha erhalten.
Kleine politische Nachrichten.
Um den deutschen Bvtschafterposten in Moskau. Berlin,
18 Sept. Eine amtliche Bestätigung von deutscher Seite über die
Richtigkeit der Meldung aus Moskau, daß Graf Brockdorfs-Rantzau
zum deutschen Botschafter in Moskau demnächst ernannt werden
Wird, liegt bisher noch nicht vor.
Das Ende der „Täglichen Rundschau". Berlin, 17. Sept.
Die beiden leitenden Redakteure der „Tägl. Rundschau", Hus-
fong und Dr. S ch u ltz e-P säl z e r, sind beim Verlag August
Scherl eiugetreten. Die „Tägl. Rundschau" wird ihr Erscheinen
einstellen.
Badische Politik.
Karlsruhe, 18. Sept. Der Händtagsabg. FreidHof,
Metallarbeiter in Mannheim, der der unabhängigen sozialdemo-
kratischen Partei angehörte, hat sich in einem Artikel in der Mann-
heimer „Tribüne" für die Vereinigung mit der Mehrheitssozial-
demokratie ausgesprochen und wird in die sozialdemokratische Land-
tagsfraktion eintreten. Die Abg. Frau Unger tritt zu den Kom-
munisten über, die dann mit vier Sitzen im Landtag vertreten sind.
Soziale Rundschau.
Ei» nettes Lohnabkommen mit den Buchdruckern.
Berlin, 17. Sept. Der Tarifausschutz der deutschen Buch-
drucker hat am 17. September nach dreitägigen Verhandlungen «ist
n e u e s L o h n ab ko mm en abgeschlossen, das bis zum 7. Oktober
täust. In den Spitzen beträgt die Lohnzulage in der ersten unß
zweiten Woche 800 Mark, in der dritten Woche 1200 Mark. In-,
folge der Lohnerhöhung in Verbindung mit den enorm gestiegenen
Preise an Materialien und BetriebKunkosten erhöhen sich die Druck-
prcist vom 18. September ab um 60 Proz.
Neuregelung der Bcamtengehälter.
Berlin, 16. Sept. Angesichts der drohenden Eisenbahicer-
bewegung ini Westen, traten gestern nachmittag, Wie die Telegra-
phenunisn erfährt, die Vertreter des deutschen EisenbahnerveNban -
des, die Gewerkschaft deutscher Eisenbahner und des allgemeinen
deutschen EisenLahnerverbandes im ReichsverkehrsmiNisterium zu-
sammen, um mit der Verkehrsverwaltung über die zu treffenden
Maßnahmen insbesondere über die Gewährung einer einmaligen
WirtschaftsbMMe und Wer die Neuregelung der Gehälter und
Löhne der Staatsbeamten zu beraten. Die Vertreter der Gewerk-
schaft deutscher Esienbahner drangen daraus, daß diese Frage einer
tlNeuttigen Lösung entgegeNgestihrt Werden müsse. Der augen-
blicklich in München tagende Vorstand des deutschen Eissubahuer-
vevbandes hatte ans telepphonischen Anruf des Reichsverkchrsmini-
steriums erklärt bekommen, daß die Verhandlungen erst übernächste
Woche stattfinden könnten. Die Vertreter der Gewerkschaft deutscher
Eisenbahner erklärten, daß es ausgeschlossen sei, solange zu warten
und daß sofort bindende Verhandlungen stattfinden müßten. Nach
einer längeren Aussprache einigte man sich darauf, daß die Ver-
handlungen am Donnnerstag mittag im RvichssinanzMinisterium
stattfinden sollten.
Die Tuberkulose itt Baden vor und »ach dem Kriege.
Einer der gefährlichsten Gegner unseres Volkes und besonders
unserer Jugend ist die Tuberkulose, vor allen Dingen die Lungen-,
weniger die Kehlkopstubcrkulose. Seit dell 80er Jahren des vori-
gen Jahrhunderts ist nach den Veröffentlichungen des Statistischen
Landesamtes in Nr. 3 seiner Mitteilungen in Baden ein langsamer
Rückgang der Sterblichkeit au Lungentuberkulose sestzustellen.
Während in den Jahren 1886/1895,noch von 1000 Einwohnern 2,9
und im folgenden Jahrzehnt 2,3 starben, kamen im Durchschnitt
MdseMMMeSkirmKÄMMllMtM
MMew.
Am Sonntag, den 1. Oktober findet 1« Eberbach
vormittags 1V ühr eine
Konferenz
sämtlicher Ortsausschüsse innerhalb des Landeskommissariats«
bezirks Mannheim statt.
Tagesordnung:
1. Aufstellung von Kandidaten zu den Berftcherungs-
ämtern und zum Oberverficherungsamt.
Referent: Kollege Stock, Karlsruhe.
2. Die Aufgaben der Verfichertenvorstandsmitglie-
der der Krankenkassen.
Referent: Kollege Schwarz, Mannheim.
Die Ortsausschüsse werden gebeten, Vorschlagslisten
für dis Wahl des Versicherungsamts, in dem sie wohnen,
mitzubringen. Die Vorstandsmitglieder der Ortskranken-
kassen insbesondere müssen zu dem Besuch der Konferenz
in^Anbetracht ihrer Dichtigkeit aufmerksam gemacht werden.
Der Landervorstand.
der Jahre 1S06/1S10 aus 1000 der Bevölkerung 1,8, in den Jahren
1911/1913 nur mehr 1,7 Todesfälle.
Im Vorkriegsjahre 1913 unterlagen de« Tuberkulose 3171 Per-
sonen, das sind auf 1000 Einwohner 1,4 oder von 1000 Gestorbenen
9,5 Personen, die niedrigste Zahl, die seit Jahrzehnten in Baden
beobachtet worden ist. Die seit den 90er Jahren des vorigen Jahr-
hunderts planmäßig betriebene Bekämpfung dieser Volksseuche war
also von Erfolg begleitet.
Wie vielerorts, so hat auch in unserem Lande die Sterblichkeit
an Lungenschwindsucht während Les Krieges wieder stark zu-
genommen. In den Jahren 1915 und 1916 kamen zwar auf 1000
Einwohner immer noch 1,4 bzw. 1,5 an Lungenschwindsucht ge-
storbene Personen, im Jahre 1917 stieg die Zahl jedoch auf 1,8 und
iM nächst« Jahre ans 1,9.
Seit Kriegsende nimmt die Tuberkulosesterblichkeit erfreulicher-
weise wieder langsam ab. Im Jahre 1920 starben aus 1000 Ein-
wohner in Vaden 1,5, im folgenden Jahre 1,3. Damit nähert sich
die Tuberkulosesterblichkeit wieder dem Stand der Vorkriegszeit
und ist zu erwarten, daß Durch das tatkräftige Eingreifen der staat-
lichen und privaten Wohlfahrtsorganisationen dieser verderben-
bringenden Seuche noch mehr Einhalt geboten wird.
Zur Statistik unehelicher Kinder in Baden.
In Nr. 6 seikker amtlichen Zeitschrift hat das Badische Stati-
stische Landesamt aus die Zunahme der unehelichen Geburten in
unserem Land, sowie in den Nachbarländern gegenüber der Vor-
kriegszeit hingewiesen. In Ergänzung dieser Untersuchung bringt
die soeben erschienene Nr. 8 der „Statistischen Mitteilungen über
Las Land Baden" eine Darstellung über die Mütter unehelicher
Kinder nach Alter und Beruf im Jahre 1921. Dem Alter nach
stand der größte Teil der unehelichen Mütter (gegen 54 Prozent)
im Zeitpunkt ihrer Niederkunst im Alter von 20—25 Jahren. Ein
Atter von 18 Jahren hatten 190 Mütter noch nicht erreicht, das
Alter von 45 Jahren 5 Personen bereits überschritten. Die jüngste
uneheliche Mutter des Berichtsjahres 1921 war erst 14 Jahre alt.
Hinsichtlich des Berufs stehen die Fabrikarbeiterinnen in der Sta-
tistik der unehelichen Mütter an erster Stelle (839 Fälle). Den Be-
rus „häuslicher Dienstbote" hatten 245, den Beruf Näherin 192,
Wäscherin und Büglerin 30, Kellnerin 28, Modistin und Beklei-
dungsgewerbe 35, Friseuse 9 angegeben. Auf die Land- und Forst-
wirtschaft entfielen 423 Fälle. Als Bureaugehilfin, Verkäuferin,
Kontoristirr usw. bezeichneten sich 248 Mütter.
Die Säuglingssterblichkeit in Baden.
' Nach den Feststellungen des Statistischen Landesamtes ist die
Säuglingssterblichkeit seit Anfang dieses Jahrhunderts in lang-
samer Abnahme begriffen. Während im Jahrzehnt 1881/90 in
Baden auf 100 Leben-geborene im Jahr noch 22,9, im Jahrzehnt
1891/1900 21,7 im ersten Lebensjahr Gestorbene kamen, betrug die
Säuglingssterblichkeit iM Durchschnitt der Jahre 1901/10 nur noch
18,8, im Zeitraum der Jahre 1907/13 16,1. Erfreulicherweise ist
der Rückgang der Säuglingssterblichkett durch dell vierjährigen
Weltkrieg nicht aufgehalten worden. Sie beziffert sich im Durch-
schnitt der Jahre 1914/18 im Durchschnitt des Landes nur noch
aus 14,6 und ist in den Nachkriegsjahren 1919/22 auf 11,5 Prozent
gesunken.
Was die PEMNg nach einzelnen BeKrken anbelangt, so
stehen die BeAxkä Müllheim (5,7), Lörräch (7,1), Säckingen (8,1),
Donaueschingen (8,4) und Triberg (U) M günstigsten. Der ge-
Whrdesste Bezirk ist, wie schon vor 50 Jahren, Bruchsal mit 16,5
Prozent.
Bei den Knaben ist, wie schon in früheren Jahren, eine größere
Sterblichkeit zu beobachten als bei den Mädchen. Desgleichen ist
der Prozentsatz bei den Unehelichen erheblich größer als bei den
Ehelichen.
Todesursache sind zum überwiegenden Teil bei den unter
1 Monat alten Säuglingen Lebensschwäche und Bildungsfehler,
bei den übe« 1 Monat bis zu 1 Jahr alten Säuglingen Brechdurch-
fall, Magenkrankheiten, Darmkatarrh, Abzehrung, Lungenentzüm
düng, Tuberkulose.
Der Rückgang der Säuglingssterblichkett ist in erster Linie der
sich immer mehr über das Land ausbreitendeu Fürsorgetätigteit
der Städte, Kreisverwaltungen und besonders des Landesverbands
für Säuglings- und Kleinkindersürsorge durch Errichtung von
Krankenhäusern, Säuglingsheimen, Miitterberatungsstunden usw
zu verdanken.
Kommunales.
Die Wahlen in Braunschweig.
Braunschweig, 18. Sept. Laut „BraMschw. Nachr." er-
hielten bei der gestern hier stattgesundeneu Wahl Der unbesoldeten
GtaDträte Die Sozialdemokraten 5581 Stimmen, Die Unabhängigen
14 564, Vie Kommunisten 5098, Die Wirtschaftliche EinheiWiste
(Bürgerliche) 21 720 und -io Demokraten 3081. Darnach entfallen
auf Die Sozialdemokraten 1, Unabhängigen 2 und Die bürgerlich«
Einheitsliste 4 Sitze. Kommunisten und Demokraten Hatzen keinen
Sitz erhalten.
Aus der Stadt.
Geschichtskalender.
18. September. 1848: Barrikadenkampf in Frankfurt a. M. und
Darmstadt. — 1904: Sozialdemokratischer Parteitag in Bremen,
1910 in Magdeburg, 1921 in Görlitz.
Parteinachrichten«
In der Woche von, 17.—25. Sept, ist das Parteisekvetarmt nn«
am Dienstag und Donnerstag von 6—8 Uhr abends geöffnet. In
dringenden Angelegenheiten wende man sich außer dieser Zeit an
Genossen Kilger, „Artnshos", Zimmer 9.
Der diesjährige „Volkskalender" ist erschienen und ersuchen
wir die Ortsvereine des Amtsbezirks Heidelberg Dieselben im
Parteivureau avholen Zn lassen.
Der Kreisvorstand. I. A.: Aman.
Die Nebel Steigen.
Herbst geht durchs Land. Das erste Welken ist da. Müdigkeit
schwingt durch die kurzen Tage. Von Wehmut und Versonnenheit
ist die Lust erfüllt. Wieder steht ein Sommer an der Rüste. Er hat
Nicht gehalten, was er versprochen. In vielerlei Hinsicht nicht. Ein
ganzes großes Volk siecht dahin. Alle Zukunft ist ihm verhängt.
Einem harten Winter schreitet es entgegen. Alle Wege zur Sonne,
sind ihm versperrt. Die Not hat eine nie geahnte Höhe erklommen.
Hager, gebückt, entkräftet und kraftlos schreite» die Menschen dahin«.
Ihre Blicke sind glanzlos, ihre Bewegungen müde geworden. Der
Sommer will scheiden. Und die Nebel steigen zäh rind Weitz . . .
Die Nebel steige». Durch die Arbettergassen schwingen sie ihre
Weißen Leichentücher. Alle Hoffnungen nnd Erwartungen sind
längst zu Grabe getragen worden. Unerschwinglich teuer ist das
Brot geworden. An Fleisch und Fett ist kaum mehr zu denken.
Alles, was das Leben angenehm und lebenswert macht, ist von
einem großen, grauen Verzichten versiegelt worden. Air neue
Kleidung ist nicht mehr zu denken. Zur Feuerung wollen die paar
Lohnpfennige, trotz ihrer zifsemmätzigen Riesenhöhe, nicht mehr
langen. Und die Blätter salleu. Lautlos und welk gleiten sie auf
den Erdboden. Ein großes Grab hat sich aufgetan. Eine starre,
finstere Ruhe breitet die schwarzen Flatterschwingen über den Fried-
hof der Heimat . . .
Die Nebel steigen. Wohl ist Arbeit noch in reichlichem Ausmaß
vorhanden. Und alles arbeitet. Arbeitet mehr als acht Stunden.
Nach Feierabend geht die zweite Arbeitsschicht an. Im Haushalt,
im Garten, in irgend einer Nebenbeschäftigung. Aber diese Mehr-
arbeit vermag die hohen Anforderungen, die das Leben stellt, nicht
wettzumacheu. Ein ganzes Volk geht zu Grunde — trotz Fleiß und
Tüchtigkeit und ehrlichem Willen. Hohläugig schreiten die Kinder,
matt und entnervt die Alten. Unterernährung schwingt ihre« blutige
Geißel. Die Magen Murren. Trostlosigkeit foltert die Seelen.
Und wir fragen uns sinnend: womit haben wir diese Furchtbarkeit
verdient? Und erhalten keine Antwort. Der Herbst ist da. Und
die Nebel steigen . . .
Der Jahrestag des Oppauer Unglücks. Am Donnerstag, den
21. d. M., ist ein Jahr verflossen seit der furchtbaren Explosion im
Oppauer Werk «der Bad. Anilin- und Sodasabrik. Wir erinnern
uns noch alle dieses verhängnisvollen Tages, der so furchtbares
Felir Notvest.
Roman von Jakob Christoph Heer.
(39. Fortsetzung.)
Fölix Notvest liest ihm den Brief Karl Wehrlis vor, Dor das
schmerzliche Ereignis mitteilt: „Sie erzählte unserem kleinen Harrs
vom Großvater in Reisenwerd, der zu Besuch kommen würde. Sie
spra chmit Ghristli Mer RetsenWerD, über Vie Jugendzeit, wie alles
schön gewesen sei, die alten Linden, das Lätschschietzeu. „Sony,
begib dich zur Ruhe!" mahnten wir, aber sie sagte: „Laßt mich!
Es Wird jetzt alles von selber wieder gut." Sie wollte noch sin-
gen: „Wem Gott ein Irenes Lieb beschert", aber es ging nicht, sie
erzählte Dafür, «wie die JunMNannschaft in der Nacht Vie Reben des
Schleifers Keller bearbeitet hat. „Und an der Tanne stand im
Tagschein« der Vater und «lachte vor Freude!" Run war es Nus
einmal, als ob Vie Sony träumte. Dann sank sie Ghristli in den
Arm. „Karl!" hauchte sie noch — der Rest war Sterben!"
Der Kommandant vevt nnd zittert an allen Gliedern. „So, sie
hat noch an den Morgen gedacht? Ich aber sehe meine Lony nie
Wieder — niemals — niemals! — Doch, «doch; meine Lony kann ja
Mcht tot sein!" Er fährt aus: „Lebt wohl, Herr Pfarrer, und er-
«zahlt anderen Leuten solche Märchen!" Wie einer, der im Dunkeln
tappt und cs doch eilig Hat, verläßt er das Pfarrhaus.
Einen Augenblick zu spät fällt es Felix Notvest ein, daß er dem
Kommandanten hätte folgen sollen.
Der unglückliche Mann geht vor sein Haus, aber er tritt nicht
«in. „Das ist brav, Barry, Naß Vu «bei mir bist!" Er wendet sich,
er steigt Den hoch mit Schnee bedeckt« Rebberg empor, «aus Dem
xinige nackte, braune Sprossen ragen. AM Waldrand stellt er sich
hinter die Tanne, hinter der er einst gestanden hat, und er tut so,
als ob er jemand belauere. „Sie hat HM doch eine große Freude
gehabt «an meinem Brief", spricht er für sich. „So schau doch her,
Lony, ich lache vor Freude!" Und er grünst. „Barry, suche Sony!"
schmeichelt er dem Hunde. Ja, wenn Du sie halt nicht findest, ist sie
tot — tot." Er hört die Stimmen von Leuten«, Vie in Der Nähe
Hölz hacken. „Komm, Barry!" Wie wenn er von den Leuten
etwas zu fürchten hätte, schleicht er weite« durch den Mit Rauhreif
behangenen Wald und gerät in eine wilde, ächzende Eile. Er weiß
es selber nicht, wie viele Stunden er schon mit Barry im Schnee
Wandert. Nach Lyon will er plötzlich nicht mehr, Der «alte Bauers-
wann. Was Würde er Dort finden! Nichts als ein frisches Grab!
Wer Mit weg Will er Von soinein nnver-ehrten Heim. „Warum die '
Lony, warum nicht die Judith?" fragt er im Selbstgespräch. Vor
Fußspuren im Schnee hält er M: „Wenn es die Tritte Lonhs
wären!" Vagelschwingen haben sich Im Vorüberslug in den reinen
Schnee gezeichnet. „Ehe Die Seele Lonhs in Den Himmel gestiegen«,
hat sie Wohl in heiliger Liebe den Boden der Heimat gestreift."
Ueberall entdeckt er Lony» Spur, jeder Hauch Des Verschneiten Wal-
des, «die Kirrenden Eis nadeln sprechen Sony, seinem Prachtmüd-
chen! Der SylvefleraSend dämmert, Und wo der Wald hoch und
still ist, ruht der Kommandant, Den Kopf Marrys auf seinen Kutten.
Und wahrhaftig, er sieht Sony. Jung und stark schreitet sie, ein
Büschel Weizen im Arm und Vie Sichel iU Der Hand, mit lachen-
den Augen aus ihn zu. Und er redet sie an: „Lony, soll ich das
Heimwesen Franz Wohlgut geben?" „Sei nicht so unvorsichtig,
Vater!" und -ihre großen «Augen, die so sonnig sind wie blühender
Flachs, strahle!, ihn an. Ja, er und seine Lony versteh«»' sich. „Du
haft recht, Sony, ich bin kein Tor wie König! Lear!" Er erwacht
Wer seinem eigenen Wort.
Da, horch!. — Rings im Lande klingen Die NsujaHrsglocken,
die Töne schweben und beben« über Vie gefrorene Erde und steigen
hinaus zu Den ewigen Sternen. Wie schtcksalsMächtig das singt
und klingt! Der alte Mann im Walde ringt sich empor. Wenn
rnan «doch die Jahre zurücknehmen könnte, Die selbstverschuldeten
Jahre ohne Liebe und Glück! Er schwankt zu der Lichtung: das
Gesicht von den Tränen der Reue bedeckt, schreit er in den schwar-
zen, starre«! Winievhimmel Hinauf: „Liebe Lony, ich wünsche di«
von Herzen ein gutes, gesegnetes, glückhaftes und freudenreiches
neues Jahr!"
Mehrere Tage int der Kommandant einsam durch die Wäl-
der. In einer fernen Gegend hören die Leute nSchtlWerweile
einen Hund heulen. Sie gehen den langgezogenen, kläglichen Tö-
nen nach. Im Dickicht einer Waldschlucht finden sie einen Greis,
der kraftlos und ohne Besinnung -Wiegt und wohl erfroren und
gestorben WA«, wenn ihn das treue Tie« Nicht mit seinem Leib
gedeckt hätte. Als MM den Unbekannten, der Een« guten Sonn-
tagsstaat trug und eine bedeutende Summe Geld bei sich hatte, ins
Lors brachte und er wieder etwas zu Kräften gekommen war, wollte
er seinen Namen geheim behalten. Der Gemeindepräsident ade«
erkannte ihn. „Gott, seid Ihr «es, Grotzrat?" — »Ja, so weit kommt
man", stöhnt der KömmMdant, „wenn MM die bessere Tochter
mMandell und die schlechtere vorzieht!"
Er wird unauffällig nach ReifenweW NND in sein Haus zu-
rückgebracht, aber unter dm Dörflern, die zuerst glaubten er fei
zur BeerDigung KochyK nach Lyon gereist, W'M MütMns nM
Redens kein Ende, die Reisenweider schämen sich ihres Grotzmtes
und merken es wähl, daß dieser Beste vom Vauerustamme vor dem
Zusammenbruche steht. Niemand mag in das -Nnglückshaus tre-
ten, und seine Bewohner kommen vor Schande nicht auf die Straße.
Dem Kommandanten ist es Weh und weinerlich, er wiederholt
nur immer: „Es ist mir nicht gut, Susanne, «hole mir ein Was
roten Weins!" Er sitzt am Tisch und trinkt, wortlos sitzt er da,
liebkost dann und wann Barry, und wenn« er etwas spricht, ist es
von Lony.
„Lony ist jetzt im Himmel!" versetzt Frau Susann- sanftmütig.
„Soll aber -eine Judith auch wie Lony sterben? Mich drückt de«
Kummer um das Kind in die Erde.
„Ich trete das Heimwesen nicht ab!" knirscht er.
„Du bist jetzt in den Sechzigen, Hans Ulrich", überredet Fran
Susanne, „lade ein wenig von deinen Schultern ab. Was willst
Du noch regieren! Lasse einmal «die Jungen schalten und walten'.
Mit Franz wird schon auszukommen sein!"
Der Tod Lonys, Das Unglück im Haus, die Gewissensbisse, der
Wein und das Zureden seiner Frau übermannen nach und nach
den Kommandanten. „Gebt mir Frieden!" stöhnt er. „Ich bin ja
schon ein halber Narr, was tuts wem» ich ein ganzer werde? Ich
will nichts als ein Plätzchen, wo ich an Sony denken kann."
„Soll Judith an Franz schreiben, daß er vorbeikomme?" fragt
Frau Susanne, „du wollest dich mit ihm besprechen!"
„Gut, sie mag ihm schreiben!" murmelt der gebrochene Kom-
mandant, „schlagt mir auch den Nagel in den Sarg, ich habe nichts
dagegen!"
Ein dunkler Tag kommt. In« der Wohnung sitzt, die Fede«
hinter Dem Ohr, dir Kanzleibogen Vox sich, Der Notar. Franz hat
zwei Zeugen mttgebmcht, keine Bauern aus Dem Dors, Vas wollte
der Grotzrat selbst nicht, sondern zwei seiner Freunde. „Was seid
Jhr von Beruf?" wendet sich der Konimaudant an den einen. "
„Güterhändler!" „Und Ihr?" fragt er Den anderen. „Börsenmak-
ler!" Der Kommandant knurrt unwillig,
"So, ich lgvc alle Beteiligten und Zeugen ein, die Urkunde zu
unterschreiben", versetzt der Notar nach einer Stunde kalt und ge-
schäftsmäßig, doch auch so, als habe er selbst kein Zutrauen zu den»
geschlossenen Ehe- und Uevergabevettrag. Er reicht Vie Feder zu-
erst dem Kommandanten. Wie der Grotzrat unterzeichnet, daß er
Haus- und Heimwesen, mitsamt ver Jahrhave, doch mit Vorbehalt
-eines Leivgedings, eines Oberstübchens, das Hm und seinem Ehe-
Weib als unzerstörbares Eigentum angehört, an seinen Schwieger-
sohn abtritt, da zittert ihm die Hand so sehr, daß er die Linke ans