Traum eines Ritters und Hypnerotomachia Poliphili
über ihr I laupthaar, um die Taille und Brust gespannten korallenroten Perlenketten
geschmückt, die farbig unmittelbar den Korallenketten an den Drei Grazien ent-
sprechen. Hierdurch entsteht eine anschauliche Analogie, die im ursprünglichen
zwischenbildlichen Zusammenhang der beiden Tafeln unmittelbar sinnfällig gewe-
sen sein muß: Warum sollte in zwei Pendantbildern eine Voluptas den gleichen
Schmuck wie die Drei Grazien tragen? Vielmehr erscheinen die rechte Personifika-
tion und vor allem die linke der drei Grazien mit ihrem im Haar getragenen
Korallenschmuck und der ähnlichen Haltung wie zwei Schwestern, freilich aus zwei
unterschiedlichen Bildsphären, die Raphael auch farbgestalterisch durch einen
Moduswechsel voneinander getrennt hat. Raphael überträgt hier über die Bildgren-
zen und Realitätssphären beider Tafeln hinweg auf dem Wege einer metaphori-
schen Allusion den symbolischen Gehalt, den die Korallenkette an den Drei Grazien
- wie die drei goldenen Apfel und das in der Unterzeichnung angelegte Venus
pudica-Motiv in der Unterzeichnung' - als Venusattribut besitzt , auf die rechte
Personifikation. In diesen thematischen Zusammenhang fügt sich auch das an
exponierter Stelle dargestellte Attribut eines Zweiges mit weißen Blüten, das die
rechte Personifikation dem schlafenden Ritter mit großer Ausdrücklichkeit reicht,
und das bisher- angesichts der ansonsten akribischen ikonographischen Untersu-
chungen zu diesem Bild verblüffender Weise - nur allgemein und unzutreffend als
»Blume« angesprochen und nicht näher bestimmt worden ist. Auch wenn Raphaels
Pflanzendarstellungen nicht die Ansprüche wissenschaftlich-botanischer Genauig-
keit erfüllen, was ebenso für den Lorbeerbaum in diesem Bild gilt, spricht alles
dafür, daß dieser Zweig mit weißen Blüten, den die rechte Personifikation dem
Ritter darbietet, botanisch als Brautmyrte (Myrlus communis) zu bestimmen ist03.
62
S. Beguin, Nouvelles recherches, 1987, S. 465f., Hommage ä Raphael, 1983, S. 49.
W. Brückner, Koralle, in: LEXIKON DER CHRISTLICHEN IKONOGRAPHIE, Bd. 2, 1990,
Sp. 556.
Bei der botanischen Identifizierung dieser Pflanze verdanke ich einen ersten entschei-
denden Hinweis Frau Christiane Frobenius. Herrn Prof. Dr. Rüdiger Mues von der
Fachrichtung Botanik der Universität des Saarlandes in Saarbrücken danke ich für seine
bestätigende Begutachtung dieser botanischen Einordnung: »Die dargestellte Pflanze
verfügt über vergleichsweise breite, un- oderwenig geteilte wechselständige Blätter, fünf
Blüten in endständiger Infloreszenz. Die Einzelblüten sind mit vier bis fünf weißen
Kronblättern gemalt und sind im Innern der Blüte gelb dargestellt (Staubblätter). Es
handelt sich um den Zweig einer verholzten Pflanze. Diese Eigenschaften können
mehreren Pflanzen zugeordnet werden, z. B. Tee (Camellia sinensis), Zistrosen (Cistus
div. spec.), Weißdorn (Crataegus div. spec.) oder der Brautmyrte (Myrtus communis).
Mit wissenschaftlicher Genauigkeit ist diese Pflanze letztlich nicht zu bestimmen,
genausowenig wie der Baum im Vordergrund mit wissenschaftlicher Genauigkeit als
Lorbeer zu identifizieren ist. Mit dem Auge des Künstlers betrachtet kann es sich
durchaus um die Darstellung einer Brautmyrte handeln.«
27
über ihr I laupthaar, um die Taille und Brust gespannten korallenroten Perlenketten
geschmückt, die farbig unmittelbar den Korallenketten an den Drei Grazien ent-
sprechen. Hierdurch entsteht eine anschauliche Analogie, die im ursprünglichen
zwischenbildlichen Zusammenhang der beiden Tafeln unmittelbar sinnfällig gewe-
sen sein muß: Warum sollte in zwei Pendantbildern eine Voluptas den gleichen
Schmuck wie die Drei Grazien tragen? Vielmehr erscheinen die rechte Personifika-
tion und vor allem die linke der drei Grazien mit ihrem im Haar getragenen
Korallenschmuck und der ähnlichen Haltung wie zwei Schwestern, freilich aus zwei
unterschiedlichen Bildsphären, die Raphael auch farbgestalterisch durch einen
Moduswechsel voneinander getrennt hat. Raphael überträgt hier über die Bildgren-
zen und Realitätssphären beider Tafeln hinweg auf dem Wege einer metaphori-
schen Allusion den symbolischen Gehalt, den die Korallenkette an den Drei Grazien
- wie die drei goldenen Apfel und das in der Unterzeichnung angelegte Venus
pudica-Motiv in der Unterzeichnung' - als Venusattribut besitzt , auf die rechte
Personifikation. In diesen thematischen Zusammenhang fügt sich auch das an
exponierter Stelle dargestellte Attribut eines Zweiges mit weißen Blüten, das die
rechte Personifikation dem schlafenden Ritter mit großer Ausdrücklichkeit reicht,
und das bisher- angesichts der ansonsten akribischen ikonographischen Untersu-
chungen zu diesem Bild verblüffender Weise - nur allgemein und unzutreffend als
»Blume« angesprochen und nicht näher bestimmt worden ist. Auch wenn Raphaels
Pflanzendarstellungen nicht die Ansprüche wissenschaftlich-botanischer Genauig-
keit erfüllen, was ebenso für den Lorbeerbaum in diesem Bild gilt, spricht alles
dafür, daß dieser Zweig mit weißen Blüten, den die rechte Personifikation dem
Ritter darbietet, botanisch als Brautmyrte (Myrlus communis) zu bestimmen ist03.
62
S. Beguin, Nouvelles recherches, 1987, S. 465f., Hommage ä Raphael, 1983, S. 49.
W. Brückner, Koralle, in: LEXIKON DER CHRISTLICHEN IKONOGRAPHIE, Bd. 2, 1990,
Sp. 556.
Bei der botanischen Identifizierung dieser Pflanze verdanke ich einen ersten entschei-
denden Hinweis Frau Christiane Frobenius. Herrn Prof. Dr. Rüdiger Mues von der
Fachrichtung Botanik der Universität des Saarlandes in Saarbrücken danke ich für seine
bestätigende Begutachtung dieser botanischen Einordnung: »Die dargestellte Pflanze
verfügt über vergleichsweise breite, un- oderwenig geteilte wechselständige Blätter, fünf
Blüten in endständiger Infloreszenz. Die Einzelblüten sind mit vier bis fünf weißen
Kronblättern gemalt und sind im Innern der Blüte gelb dargestellt (Staubblätter). Es
handelt sich um den Zweig einer verholzten Pflanze. Diese Eigenschaften können
mehreren Pflanzen zugeordnet werden, z. B. Tee (Camellia sinensis), Zistrosen (Cistus
div. spec.), Weißdorn (Crataegus div. spec.) oder der Brautmyrte (Myrtus communis).
Mit wissenschaftlicher Genauigkeit ist diese Pflanze letztlich nicht zu bestimmen,
genausowenig wie der Baum im Vordergrund mit wissenschaftlicher Genauigkeit als
Lorbeer zu identifizieren ist. Mit dem Auge des Künstlers betrachtet kann es sich
durchaus um die Darstellung einer Brautmyrte handeln.«
27