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Farbe und Metapher

Wie die Korallenkette war die Myrte seit altersher der Venus geweiht und verkörper-
te in der visuellen Kultur des frühen 16. Jahrhunderts die von der Interpretation
einer Voluplas denkbar weit entfernte thematische Vorstellung der tugendhaften,
ihre Keuschheit bis zur Eheschließung bewahrenden Liebe. Und als solches diente
die Myrte schon im 16. Jahrhundert - uns beute noch vertraut- als Brautschmuck.
Schon im Mittelalter war die Myrte ein allgemein bekanntes Symbol der ehrbaren
Liebe tugendhafter Frauen:

Alanus de Insulis rühmte die Myrte im 12. Jahrhundert als Pflanze der »Mäßi-
gung« (»myrtus temperantia«), die im Kontext der Hortus co/ic/wsus-Thematik die
Jungfräulichkeit und Tugendhaftigkeit von Maria pflanzensymbolisch verklärt'"'.
Richard a. S. Laur. akzentuierte nicht nur die symbolische, sondern auch die medi-
zinische Hoheit der Myrte, die »selbst von den Sündern, die von den Ermattungen
der Laster geheilt zu werden wünschen«, »hochgeschätzt« sei, »weil sie [...] ihnen
Schlaf gewährt«'". Albertus Magnus stellt die Myrte in diesem Zusammenhang dem
Lorbeer an die Seite: »Der Lorbeerbaum [...] hat Blätter wie die Blätter der Myrte,
außer daß sie breiter und länger sind, die viele Winkel im Umkreis haben. [...] Es
wird der Lorbeerbaum sozusagen Lobbaum genannt, deshalb weil die des Lobes
Würdigen ehedem mit Zweigen dieses Baumes gekrönt wurden«"". Über diese
morphologische Verwandtschaft hinaus festigte sich schon früh in Italien der Topos,
in Lorbeer und Myrte Ruhm und tugendhafte Liebe metaphorisch miteinander zu
verbinden, etwa wenn Petrarca in einem seiner berühmten Sonette angesichts einer
tugendlosen Welt fragt: »Wo ist der Drang zum Lorbeer, zu der Myrte?« Vor dem
Hintergrund dieser Pflanzensymbolik war die rechte Personifikation im Traum
eines Ritters für die Zeitgenossen Raphaels unmittelbar verständlich, nicht als
lasterhafte Voluptas<, die Panofsky in ihr sah, sondern als idealisierte Verkörperung
der tugendhaften, keuschen Liebe68, die dem schlafenden Ritter mit untadeligen
Absichten metaphorisch >ihre Myrte darreichte Möglicherweise hat Raphael in
seiner kompositorischen Einbindung der Myrte in den landschaftlichen Hinter-
grund an die antike Vorstellung angespielt, daß diese Pflanze der Venus besonders
den Küstenzonen zugeordnet wurde. Darüber hinaus hat er direkt planimetrisch
an die Myrte angrenzend im Hintergrund ein lichthaft verklärtes Bild familiärer
Häuslichkeit eingefügt. Damit ist die für den Sinn der gesamten Darstellung so

64

L. Behling, Die Pflanzenwelt der mittelalterlichen Kathedralen, 1964, S. 60.

63 Ebd., S. 67.

66

67

De vegetabilibus Lihri VII, zitiert nach L. Behling, ebd., S. 76.

F. Petrarca, Canzoniere, 1989, S. 18f., Sonett 7: »Qual vaghezza di lauro? quäl cli mirto?

/ »Povera et nuda vai Philosophia«, / cliee la turha al vi! guadagno intesa.«

Freilich handelt es sich nicht um die Göttin Venus selbst, wie A. Chastel (Art et

luinianisme, I959, S. 252) vorschlug.

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