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VORWORT

Es scheint naheliegend, ein Buch über die Farbe eines Malers zu schreiben, der seit
fünf Jahrhunderten zu den berühmtesten Künstlern in der Geschichte der Kunst
zählt, und doch ist eine solche Untersuchung in der Kunstgeschichte bisher nicht
selbstverständlich gewesen. Denn die Kunstwissenschaft, deren Geschichte als Fach
und Institution engstens mit der Rezeption von Raphaels Malerei verknüpft gewesen
ist, hat die Kategorie der Farbe lange Zeit aus der Betrachtung der mittelitalieni-
schen Renaissancemalerei ausgeblendet oder lediglich dem Residuum der forma-
len Analyse zugewiesen. Demgegenüber versucht die vorliegende Studie zu zeigen,
daß die anschaulichen Kategorien von Farbe, Licht und Dunkel in der visuellen
Kultur des frühen 16. Jahrhunderts zu thematischen Bedeutungsgrößen der bildli-
chen Gestaltung wurden: Gegenüber der >optischen< Erkundung von Farbe und
Licht und der Farbsymbolik im 15. Jahrhundert hat das 16. Jahrhundert auf neue
Weise die poetische Dimension der Farbe akzentuiert, und zwar auf dem Weg einer
metaphorischen Deutung ihrer sinnlichen Erscheinung. Gerade an der Malerei des
jungen Raphael, die im historischen Umbruchsbereich dieser neuen Entwicklung
steht und die in ihrer koloristischen Bedeutung völlig unterbewertet ist, ist dieser
Prozeß eindrucksvoll zu studieren. Doch um ein tiefergehendes Verständnis der
visuellen Kultur einer vergangenen Zeit zu entwickeln, sollen nicht nur Bild-,
sondern - was den Aspekt der Farbe angeht - auch Wortquellen befragt werden.
Die hier bisher zu wenig beachteten Quellentexte geben Einblicke in den reichen
Fundus der zeitgenössischen Färb- und Lichtmetaphern, die bis heute nichts von
ihrer Anschaulichkeit verloren haben. Raphael hat im geistesgeschichtlichen Kon-
texteiner Neubewertung des Poetischen durch die Ausbildung einer konsequent auf
den thematischen Gehalt und dessen anschaulicher Deutung bezogenen Farbigkeit
ei ne Bildsprache erarbeitet, in der die großen künstlerischen Aufgaben und Themen
der abendländischen Malerei - die Darstellung des Göttlichen, die Darstellung des
Menschen, die Heilige Familie, das Heiligenbild, das Altarbild, die historia - in para-
digmatischer Weise neu gestaltet sind.

Es war deshalb naheliegend, die Untersuchung nach Bildaufgaben zu gliedern,
zumal Raphaels vielgestaltige Koloristikkaum sinnvoll in den traditionellen Model-
len einer personalslilistischen oder einflußgeschichtlich bedingten >Entwicklung<
zu verstehen ist.

Das erste Kapitel eröffnet mit einer exemplarischen Analyse von Raphaels Bild
Der Traum eines Ritters, das im Kontext der zeitgenössischen Sichtbarkeitsmeta-
 
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