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Ansatzpunkte

angesprochen, die keine ahistorische'0, sondern eine ästhetikgeschichtlich verän-
derliche Größe bildet, die im frühen 16. Jahrhundert eine für die neuzeitliche
Koloristik grundlegende Neubestimmung erfuhr. Der wahrnehmungsgeschichtli-
che Paradigmenwechsel in der Bestimmung koloristischer Einheit ist exemplarisch
auch in Raphaels vorrömischen Altarbildern zu studieren. Zuvor aber soll dieser
kurz in der zeitgenössischen Theorie betrachtet werden.

Es warVasari, der den neuen ästhetischen Begriff der koloristischen Einheit im
16. Jahrhundert theoretisch reflektierte und in Ableitung von musikalischen Kate-
gorien zu bestimmen versuchte: »L' unione nella pittura e una discordanza di colori
diversi accordati insieme.«" Damit die Koloristik eines Bildes harmonisch als
»discordanza accordatissima« wirke und einer »musica unita ed arguta« zu verglei-
chen sei12, dürfe der Maler die einzelnen Buntwerte weder zu >kräftig< (»caricchi«),
noch zu >hart< (»crudi«) gestalten, sondern müsse durch eine Angleichung der Farb-
und Helldunkelwerte einen Mittelweg zwischen einer zu >grell leuchtenden« und
einer zu >gedämplten< Koloristik finden: »Cosi nella pittura si debbono adoperare i
colori con tanta unione, che e' non si lasci uno scuro ed un chiaro si spiacevolmente
ombrato e lumeggiato, che e' si faccio una discordanza ed una disunione spiacevole.
[...] ma lo unito che tenga in fra lo acceso e lo abbagliato, e perfettissimo e diletta
l'occhio, come una musica unita ed arguta diletta 1' orecchio.«'3 Es ist dabei
bedeutsam, daß Vasari nicht nur von der »unione de' colori«, sondern von der
»unione del colorito«, also vom Kolorit als Gesamtheit der Farben eines Bildes
spricht ''. Zum ersten Mal in der Geschichte der Farbtheorie wird hier das Kolorit
eines Bildes als Ganzheit auf seine Einheit hin betrachtet, und Vasari läßt keinen

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J. Shearman (Developments in the use of colour, 1957, S. 286; Ders., Leonardo's
colour and chiaroscuro, 1962, S. 50) setzte den Begriff der unione des Kolorits mit dem
Helldunkel Leonardos gleich. L. Becherucci (Raffaello, 1968, S. 10) verwendete Vasa-
ris Terminus der unione nur allgemein als ästhetischen Wertbegriff. M. B. Hall (Color
and meaning, 1992, S. 240) nannte einer ihrer vier »modes of coloring«, die sie Raphael
zuordnet, »unione mode«, ohne daß sie sich dabei allerdings auf Vasari bezieht oder
diesen Begriff historisch begründet.
G. Vasari, Vite, Ikl. I, S. 179.
Ebd., S. 181.

Ebd. S. 180f. Die Überlegung von J. Shearman (Developments in the use of colour,
1957, S. 286, Ders., Leonardo's colour and chiaroscuro, 1962, S. 30), daß Vasaris
Definition aus der Bestimmung von Franchino Gaffurius, »Ilarmonia est discordia
Concors«, aus dessen Traktat De harmonia musicorum instrumentorum opus (Mailand
1518) abzuleiten sei, ist nur eine von vielen Möglichkeiten, innerhalb der verbreiteten
pythagoräischen Vorstellung von der Harmonie als »Vereinigung des Vielgemischten und
Eintracht des Zwieträchtigen« (W. Capelle, Die Vorsokratiker, 1968, S. 479).
G. Vasari, Vite, Bd. I, S. 181.

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