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VIII. RAPHAEL ALS >POETA MUTOLO< IN DEN
HISTORIEN

Schon in vorrömischer Zeit hat Raphael seine Färb- und Bildmetaphorik in der
künstlerischen Aufgabe der vielfigurigen Erzählung in der histöria* auf komplexe
Weise entfaltet, auch wenn er hierfür mangels anderer Auftrage zumeist auf die
wenig repräsentative Gattung der Predella angewiesen war 2. Letzteres mag für die
überraschende Tatsache verantwortlich sein, daß Raphaels erzählerische Fähigkei-
ten in den >kleinen Historien< der vorrömischen Predellen bisher nur selten und
nicht vollständig im Zusammenhang analysiert worden sind. Wenn von Raphael als
Erzähler in vorrömischer Zeit die Rede ist, so wird neben seinen beiden Darstellun-
gen des Hl. Georg3 und dem Bild des Hl. Michael (Abb. 6) zuvorderst und meist
ausschließlich an die Grabtragung (Abb. 59) gedacht: »Mit der Grabtragung be-
ginnt allererst Raffaels eigener Weg, der von hier auch unmittelbar zu den Stanzen
führt und ein neues Kapitel in der abendländischen Historienmalerei eröffnet«, so
das Resümee einer seit dem 19. Jahrhundert weit verbreiteten Einschätzung4.

Der Gattungsbegriff der lüstoria wird hier über die Gegenstände der I Iistorie hinaus auf
alle Darstellungen mit vielfigurigen Erzählungen bezogen.

Auch wenn Alberti allgemein dem jungen Künstler rät, »non fare come molti, quali
imparano disegniare in piccole tavolelle«, so mußte sich auch ein junger Maler mit der
Begabung Raphaels bei der Entfaltung seiner künstlerischen Fähigkeilen nach den
Möglichkeiten der gegebenen Aufgaben richten (Della pittura, S. 152).
Hl. Georg, Pappelholz, 29,4x25,5 cm, Paris, Louvre, Inv.-Nr. 609; Hl. Georg, Öl auf Holz,
28,5x21,5 cm, Washington, National Galleryof Art, Andrew W. Mellon Collection, 1937.
G. Winter, Die Grabtragung, 1986, S. 77; vgl. z. 15. H. Grimm, Leben Raphaels, o..).,
S. 45IT.; C. M. Rosenberg, Raphael and Florentine Historia, 1986, S. 175. S. Feiuno
Pagden vermerkt »Raphael did not obtaln any commission for a history painting while
he was in Florence [...]. The only exception was the famous Borghese Entombment* und
sieht Raphaels vorrömische Entwicklung der historia ganz in den Bereich der Zeichnung
verlagert (Raphael's invention of >slorie< in his Florentine drawings, 1992, S. 92). Vgl.
auch J. Meyer zur Capellen, Raffael in Florenz, 1996, S. 215f. Demgegenüber hat
J. Pope-Hennessy wichtige Hinweise auf die erzählerischen Fähigkeiten von Raphael
als »Mute Poet« in den Predellen mit mehrfigurigen Bilderzählungen gegeben: »The
narrative talent that Raphael evinces in these panels | Traum eines Hitlers (Abb. 1), Drei
Grazien (Abb. 2)] was not confined to paintings whose subjects were antique. It can indeed

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