Vorwort
pliorik gedeutet wird. Mir kommt es darauf an, zu zeigen, wie wichtig die visuellen
Zusammenhänge als poetische Struktur für ein angemessenes Verständnis von
Raphaels Kunst sind. Diese anschaulichen Beziehungen bilden auch die Grundlage
visueller Metaphern, deren Bedeutung sich nicht wie beim Symbol aus konventio-
nalisierten Bedeutungszuordnungen bestimmt, sondern deren Sinn - wie dies
schon Aristoteles in seiner Poetik beschrieb - aus einer Übertragung gemäß einer
Analogie entsteht. Eine erste Sichtung der literarischen und kunsttheoretischen
Quellen konturiert die geistesgeschichtliche Aktualität der Farbmetaphorik in der
visuellen Kultur des frühen 16. Jahrhunderts und zeigt darüber hinaus, daß das
Phänomen der visuellen Metaphorik einer eigenen historischen Dynamik unter-
liegt, die auch - wie in der künstlerischen Rezeption von Raphaels Bildsprache
geschehen - zu ihrem Verschleiß führen kann.
Die Frage, warum Raphaels Koloristik in der kunsthistorischen Betrachtung
lange Zeit so zurücktreten konnte, sollte nicht in eine Literaturdiskussion in den
Fußnoten verbannt werden, sondern erwies sich als so spannend, daß sie in einem
eigenen wissenschafts- und rezeptionsgeschichtlichen Kapitel (Kap. II) betrachtet
wird. Es ist dabei eine heute weitgehend in Vergessenheit geratene geistesgeschicht-
liche Kontinuität in der Auseinandersetzung mit Raphaels Farbe in früheren Jahr-
hunderten wiederzuentdecken, die von Raphaels Zeitgenossen über Dolce, Vasari,
Bellori, Roger de Piles bis zu Winckelmann, Schelling, Goethe oder Hegel reicht,
und von dort in die Anfänge der Kunstwissenschaft bei Rumohr, Passavant und
Burckhardt mündet.
Vor der eigentlichen Betrachtung der Werke steht auch die Frage, mit welchen
Anforderungen seitens der Auftraggeber sich Raphael in koloristischer Hinsicht
auseinanderzusetzen hatte (Kap. III). Der unvollendete Ausführungsgrad derMa-
äonna del Baldacchino bietet den glücklichen Umstand, die Kollo der Farbe im
Werkprozeß und die spezifischen Eigenarten von Raphaels Werkgenese untersu-
chen zu können.
Ein Herzstück des vorrömischen CEuvres bilden natürlich Raphaels Madonnen-
bilder (Kap. IV), in denen gleichzeitig mit dem Zurücktreten symbolisch verbindli-
cher Attribute Raphael zunehmend mit den Mitteln der metaphorischen Allusion
über die Gestaltung der bildnerischen Mittel eine Metaphorik des Göttlichen erar-
beitet hat. Dieser Vorgang scheint mir unzutreffend als >Ästhetisierung< oder Profa-
nierung des Gottesbildes bewertet worden zu sein, vielmehr erschließt Raphael
durch die thematische Deutung des Sichtbaren neue Darstellungs- und Deutungs-
möglichkeiten des Göttlichen, die im geistesgeschichtlichen Zusammenhang der
Devotio moderna stehen.
Auf andere Weise ist die Genese einer neuzeitlichen Farbmetaphorik auch in
Raphaels Porträts zu verfolgen (Kap. V), in denen sich dieser keineswegs nur auf das
verosimile der Darstellung beschränkte, sondern visuelle Metaphern für Tempera-
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pliorik gedeutet wird. Mir kommt es darauf an, zu zeigen, wie wichtig die visuellen
Zusammenhänge als poetische Struktur für ein angemessenes Verständnis von
Raphaels Kunst sind. Diese anschaulichen Beziehungen bilden auch die Grundlage
visueller Metaphern, deren Bedeutung sich nicht wie beim Symbol aus konventio-
nalisierten Bedeutungszuordnungen bestimmt, sondern deren Sinn - wie dies
schon Aristoteles in seiner Poetik beschrieb - aus einer Übertragung gemäß einer
Analogie entsteht. Eine erste Sichtung der literarischen und kunsttheoretischen
Quellen konturiert die geistesgeschichtliche Aktualität der Farbmetaphorik in der
visuellen Kultur des frühen 16. Jahrhunderts und zeigt darüber hinaus, daß das
Phänomen der visuellen Metaphorik einer eigenen historischen Dynamik unter-
liegt, die auch - wie in der künstlerischen Rezeption von Raphaels Bildsprache
geschehen - zu ihrem Verschleiß führen kann.
Die Frage, warum Raphaels Koloristik in der kunsthistorischen Betrachtung
lange Zeit so zurücktreten konnte, sollte nicht in eine Literaturdiskussion in den
Fußnoten verbannt werden, sondern erwies sich als so spannend, daß sie in einem
eigenen wissenschafts- und rezeptionsgeschichtlichen Kapitel (Kap. II) betrachtet
wird. Es ist dabei eine heute weitgehend in Vergessenheit geratene geistesgeschicht-
liche Kontinuität in der Auseinandersetzung mit Raphaels Farbe in früheren Jahr-
hunderten wiederzuentdecken, die von Raphaels Zeitgenossen über Dolce, Vasari,
Bellori, Roger de Piles bis zu Winckelmann, Schelling, Goethe oder Hegel reicht,
und von dort in die Anfänge der Kunstwissenschaft bei Rumohr, Passavant und
Burckhardt mündet.
Vor der eigentlichen Betrachtung der Werke steht auch die Frage, mit welchen
Anforderungen seitens der Auftraggeber sich Raphael in koloristischer Hinsicht
auseinanderzusetzen hatte (Kap. III). Der unvollendete Ausführungsgrad derMa-
äonna del Baldacchino bietet den glücklichen Umstand, die Kollo der Farbe im
Werkprozeß und die spezifischen Eigenarten von Raphaels Werkgenese untersu-
chen zu können.
Ein Herzstück des vorrömischen CEuvres bilden natürlich Raphaels Madonnen-
bilder (Kap. IV), in denen gleichzeitig mit dem Zurücktreten symbolisch verbindli-
cher Attribute Raphael zunehmend mit den Mitteln der metaphorischen Allusion
über die Gestaltung der bildnerischen Mittel eine Metaphorik des Göttlichen erar-
beitet hat. Dieser Vorgang scheint mir unzutreffend als >Ästhetisierung< oder Profa-
nierung des Gottesbildes bewertet worden zu sein, vielmehr erschließt Raphael
durch die thematische Deutung des Sichtbaren neue Darstellungs- und Deutungs-
möglichkeiten des Göttlichen, die im geistesgeschichtlichen Zusammenhang der
Devotio moderna stehen.
Auf andere Weise ist die Genese einer neuzeitlichen Farbmetaphorik auch in
Raphaels Porträts zu verfolgen (Kap. V), in denen sich dieser keineswegs nur auf das
verosimile der Darstellung beschränkte, sondern visuelle Metaphern für Tempera-
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