Traum eines Ritlers und Hypnerotomachia Poliphili
bedeutende poetische Struktur im Umfeld der Personifikation auf der rechten Seite
zum ersten Mal im Zusammenhang gelesen: In ihrer farbmetaphorischen Gestal-
tung im kostbaren und lichthaft in den atmosphärischen Farben einer Aurora
verklärten Changeantfarbigkeit, ihrem anmutig mit einem Schleier gebundenen
und von diesem partiell bedeckten Haar, in dem ein weiterer Myrtenzweig steckt,
und mit ihrem anschaulich auf den Schmuck der Drei Grazien (Abb. 2) im Pen-
dantbild bezogenen Korallenketten erscheint sie als irdische Verkörperung der
Tugenden der Drei Grazien, als Zusammenfassung von Liebe, Schönheit und - in
der Myrte angezeigt - Keuschheit im Bild einer idealisierten, festlich geschmück-
ten Braut.
Wie unmittelbar die zeitgenössischen Betrachter diese Bedeutung in Baphaels
Darstellung der Personifikation der tugendhaften Liebe verstanden haben müssen,
belegt auch der Sachverhalt, daß sich diese weitgehend mit der literarischen Meta-
phorik eines Romanes deckt, der seit 1499 in mehreren Auflagen publiziert worden
ist, und in dessen Zentrum ebenfalls das vom Protagonisten erträumte Idealbild
einer tugendhaft liebenden Frau steht, Francesco Colonnas Hypnerotomachia
Poliphili . Dieser mit zahlreichen Holzschnitten illustrierte Roman bildet jenseits
seiner bekannten Bedeutung als Dokument antiquarischer Gelehrtheit in seiner an
poetischen Bildern und Farbmetaphern überreichen Sprache einen Schlüsseltext
dervisuellen Kultur um 1500. Um es gleich vorweg zu sagen: Auch aus der Hypnero-
tomachia soll Raphaels Darstellung nicht abgeleitet werden, aber als literarisches
Dokument des frühen 16. Jahrhunderts erhellt dieses Buch eine Reihe offenbar
verbreiteter Motive und Metaphern, die das Verständnis von Raphaels Traum eines
Ritters und des Pendantbildes der Drei Grazien an vielen Punkten erleichtern.
Das weibliche Tugendbild, von dem der Protagonist Poliphilo in der Hypneroto-
machia träumt, heißt Polia, und eine Reihe der Polia verklärenden Metaphern
stimmen unmittelbar mit denjenigen an Baphaels rechter Personifikation überein:
So wird Polias Gewand als perlengeschmückt ' und von der Rosefarbe Auroras
gerühmt ' , ihr Mund poetisch mehrfach mit Korallen verglichen'". Ja die Hypnero-
tomachia endet mit der metaphorischen Apotheose Polias, die sich über die Er-
rötung ihrer Wangen in die Roseschimmeiv/wroras am Himmel verwandelt, beglei-
tet von den ersten Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne, mit denen Nacht und
60
F Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964. Schon F. GANDOLFO (II »DolceTempo<,
1978, S. 22) bat hei seiner Sichtung der zeitgenössischen Traiimliteratur natürlich auch
allgemein auf die Hypnerotomachia Poliphili hingewiesen, ohne abereinen Zusammen-
hang mit Raphaels Darstellung zu vertiefen.
70 F. Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964, S. 136.
71 Ebd., S. 137.
72 Ebd., S. 458, 556.
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bedeutende poetische Struktur im Umfeld der Personifikation auf der rechten Seite
zum ersten Mal im Zusammenhang gelesen: In ihrer farbmetaphorischen Gestal-
tung im kostbaren und lichthaft in den atmosphärischen Farben einer Aurora
verklärten Changeantfarbigkeit, ihrem anmutig mit einem Schleier gebundenen
und von diesem partiell bedeckten Haar, in dem ein weiterer Myrtenzweig steckt,
und mit ihrem anschaulich auf den Schmuck der Drei Grazien (Abb. 2) im Pen-
dantbild bezogenen Korallenketten erscheint sie als irdische Verkörperung der
Tugenden der Drei Grazien, als Zusammenfassung von Liebe, Schönheit und - in
der Myrte angezeigt - Keuschheit im Bild einer idealisierten, festlich geschmück-
ten Braut.
Wie unmittelbar die zeitgenössischen Betrachter diese Bedeutung in Baphaels
Darstellung der Personifikation der tugendhaften Liebe verstanden haben müssen,
belegt auch der Sachverhalt, daß sich diese weitgehend mit der literarischen Meta-
phorik eines Romanes deckt, der seit 1499 in mehreren Auflagen publiziert worden
ist, und in dessen Zentrum ebenfalls das vom Protagonisten erträumte Idealbild
einer tugendhaft liebenden Frau steht, Francesco Colonnas Hypnerotomachia
Poliphili . Dieser mit zahlreichen Holzschnitten illustrierte Roman bildet jenseits
seiner bekannten Bedeutung als Dokument antiquarischer Gelehrtheit in seiner an
poetischen Bildern und Farbmetaphern überreichen Sprache einen Schlüsseltext
dervisuellen Kultur um 1500. Um es gleich vorweg zu sagen: Auch aus der Hypnero-
tomachia soll Raphaels Darstellung nicht abgeleitet werden, aber als literarisches
Dokument des frühen 16. Jahrhunderts erhellt dieses Buch eine Reihe offenbar
verbreiteter Motive und Metaphern, die das Verständnis von Raphaels Traum eines
Ritters und des Pendantbildes der Drei Grazien an vielen Punkten erleichtern.
Das weibliche Tugendbild, von dem der Protagonist Poliphilo in der Hypneroto-
machia träumt, heißt Polia, und eine Reihe der Polia verklärenden Metaphern
stimmen unmittelbar mit denjenigen an Baphaels rechter Personifikation überein:
So wird Polias Gewand als perlengeschmückt ' und von der Rosefarbe Auroras
gerühmt ' , ihr Mund poetisch mehrfach mit Korallen verglichen'". Ja die Hypnero-
tomachia endet mit der metaphorischen Apotheose Polias, die sich über die Er-
rötung ihrer Wangen in die Roseschimmeiv/wroras am Himmel verwandelt, beglei-
tet von den ersten Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne, mit denen Nacht und
60
F Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964. Schon F. GANDOLFO (II »DolceTempo<,
1978, S. 22) bat hei seiner Sichtung der zeitgenössischen Traiimliteratur natürlich auch
allgemein auf die Hypnerotomachia Poliphili hingewiesen, ohne abereinen Zusammen-
hang mit Raphaels Darstellung zu vertiefen.
70 F. Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964, S. 136.
71 Ebd., S. 137.
72 Ebd., S. 458, 556.
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