Farbe und Metapher
Traum enden'0. Diese poetische Überhöhung in der Metaphorik der ersten Sonnen-
strahlen, begleitet von der Rosetönung des Himmels durch Aurora muß im Frühen
16. Jahrhundert einigermaßen verbreitet gewesen sein, denn sie ist nicht nur in
Kaphaels Traum eines Ritters zu sehen, sondern mit ihr schließt auch Castigliones
Libro del Cortegiano: »...sah man im Osten schon die rosenfarbene Morgenröte,
und alle Sternewaren erloschen außer Venus, der süßen Mimmelsherrscherin auf
der Grenze von Tag und Nacht.«' 'Auch die Myrte ist eine mehrfach wiederkehrende
Schlüsselmetapher für Polia": Polia und Poliphilo ruhen im Schatten von »Lorbeer
und Myrte< (»lauro et di myrto«)'1', und in den Initiationsträumen von Polia findet
sich diese schließlich anspielungsreich in einem Schlafzimmer umgeben von auf
dem Boden verteilten Myrten wieder". Es ist dabei wichtig, hervorzuheben, daß sich
die Liebesthematik in der Hypnerotomachia mit einer vollendeten Tugendhaftig-
keit Polias verbindet: Polia ist umgeben von einem »choro di tutte virtute« und wird
als »honestamente und digni« geschildert 'h, ja in der Schlußapotheose rühmt
Poliphilo Polia metaphernreich ihrer Standfestigkeit und Wahrhaftigkeit wegen'".
In diesem Zusammenhang erscheint in der Hypnerotomachia wiederholt sowohl
das Motiv der Drei Grazien, wie das der drei Apfel, als bedeutende Metaphern der
tugendhaften Liebe von Polia: So bildet die Beschreibung eines Zuges von Jungfrau-
en unter der Führung der Drei Grazien unmittelbar die erzählerische Überleitung
zu Polias Liebesgeständnis, in dem sie Poliphilo offenbart, seinetwegen aus dem
Tempel der Jungfrauen der Diana in das Gefolge von Venus wechseln zu wollen .
Die Drei Grazien werden in der Hypnerotomachia an anderer Stelle nicht nur
ausführlich beschrieben, sondern auch in einem Holzschnitt dargestellt, als figür-
licher Schmuck eines Brunnens, und zwar in der Haltung einer Venus puclica Sl!
Die Tatsache, daß Raphael in der Unterzeichnung zur Darstellung seiner Drei
Grazien (Abb. 2) die rechte zunächst im Gestus einer Venus puclica konzipiert hat,
ist denn weniger rätselhaft, als man bisher glaubte, und schon gar nicht rechtfertigt
« Ebd., S. 458.
71 B. Castiglione, Das Buch vom Hofmann, 1986, S. 413; Ders., II libro del Cortegiano,
1987, S. 554:»...videro giä esser nata in Oriente una bella aurora cli color di rose e tutte
le stelle sparite, fuor che la dolce governatrice del eiel di \'euere, che della notte e del
giorno tiene i eonfini«.
75 Vgl. F. Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964, S. 149.
7,i Ebd., S. 236.
77 Ebd., S. 420, vgl. S. 186.
7« Ebd., S. 457.
™ Ebd., S. 458.
so Ebd., S. 173.
Ebd., S. 8111'., 85: »cum signodi pudicitia le Statue cum la leva mano occuitavano la parte
digna di copertura«. Der Holzschnitt ist auf Seite 82 abgebildet.
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Traum enden'0. Diese poetische Überhöhung in der Metaphorik der ersten Sonnen-
strahlen, begleitet von der Rosetönung des Himmels durch Aurora muß im Frühen
16. Jahrhundert einigermaßen verbreitet gewesen sein, denn sie ist nicht nur in
Kaphaels Traum eines Ritters zu sehen, sondern mit ihr schließt auch Castigliones
Libro del Cortegiano: »...sah man im Osten schon die rosenfarbene Morgenröte,
und alle Sternewaren erloschen außer Venus, der süßen Mimmelsherrscherin auf
der Grenze von Tag und Nacht.«' 'Auch die Myrte ist eine mehrfach wiederkehrende
Schlüsselmetapher für Polia": Polia und Poliphilo ruhen im Schatten von »Lorbeer
und Myrte< (»lauro et di myrto«)'1', und in den Initiationsträumen von Polia findet
sich diese schließlich anspielungsreich in einem Schlafzimmer umgeben von auf
dem Boden verteilten Myrten wieder". Es ist dabei wichtig, hervorzuheben, daß sich
die Liebesthematik in der Hypnerotomachia mit einer vollendeten Tugendhaftig-
keit Polias verbindet: Polia ist umgeben von einem »choro di tutte virtute« und wird
als »honestamente und digni« geschildert 'h, ja in der Schlußapotheose rühmt
Poliphilo Polia metaphernreich ihrer Standfestigkeit und Wahrhaftigkeit wegen'".
In diesem Zusammenhang erscheint in der Hypnerotomachia wiederholt sowohl
das Motiv der Drei Grazien, wie das der drei Apfel, als bedeutende Metaphern der
tugendhaften Liebe von Polia: So bildet die Beschreibung eines Zuges von Jungfrau-
en unter der Führung der Drei Grazien unmittelbar die erzählerische Überleitung
zu Polias Liebesgeständnis, in dem sie Poliphilo offenbart, seinetwegen aus dem
Tempel der Jungfrauen der Diana in das Gefolge von Venus wechseln zu wollen .
Die Drei Grazien werden in der Hypnerotomachia an anderer Stelle nicht nur
ausführlich beschrieben, sondern auch in einem Holzschnitt dargestellt, als figür-
licher Schmuck eines Brunnens, und zwar in der Haltung einer Venus puclica Sl!
Die Tatsache, daß Raphael in der Unterzeichnung zur Darstellung seiner Drei
Grazien (Abb. 2) die rechte zunächst im Gestus einer Venus puclica konzipiert hat,
ist denn weniger rätselhaft, als man bisher glaubte, und schon gar nicht rechtfertigt
« Ebd., S. 458.
71 B. Castiglione, Das Buch vom Hofmann, 1986, S. 413; Ders., II libro del Cortegiano,
1987, S. 554:»...videro giä esser nata in Oriente una bella aurora cli color di rose e tutte
le stelle sparite, fuor che la dolce governatrice del eiel di \'euere, che della notte e del
giorno tiene i eonfini«.
75 Vgl. F. Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964, S. 149.
7,i Ebd., S. 236.
77 Ebd., S. 420, vgl. S. 186.
7« Ebd., S. 457.
™ Ebd., S. 458.
so Ebd., S. 173.
Ebd., S. 8111'., 85: »cum signodi pudicitia le Statue cum la leva mano occuitavano la parte
digna di copertura«. Der Holzschnitt ist auf Seite 82 abgebildet.
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