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Walden, Herwarth
Die neue Malerei — Berlin, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.26391#0044
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Linne leststellen kann. Blaue Farbe ist kein
Meer. Aber das Bild kann die Bewegung des
Meeres haben, ohne daß fließende Wellen durch
gerade oder gebogene Linien festgehalten wer-
den. Bei Chagall kann man sich etwas denken.
Aber was man sich etwa dabei denken kann,
ist nicht die Kunst. Das Bild Chagalls ist Kunst
weil seine optischen Gebilde nach künstleri-
schen Gesetzen bildgemäß gegliedert und ge-
staltet sind.

Die Qualität eines Bildes ist also nach der In-
tensität der Offenbarung und ihrer Gestaltung
zu werten. Die Voraussetzung für die Wertung
ist die Einsicht in das Wesen der Kunst über-
haupt. Die Wertung, also die Kritik, befaßt
sich nicht mit der Offenbarung, die Vorausset-
zung der Kunst ist. Denn Kunst ist die Gestal-
tung der Offenbarung. Künstlerische Fehler
sind nur in der Gestaltung zu suchen und zu
finden. Hierzu bedarf es der Erkenntnis der
besonderen künstlerischen Wirkungen aus den
besonderen künstlerischen Ursachen jedes ein-
zelnen Kunstwerks. Jede Fläche hat ihre eige-
nen Gesetze, denen der Schaffende wie der Ge-
nießende, also auch der vernunftgemäß Prü-
fende, unterworfen ist. Die äußere und innere
Geschlossenheit des Kunstwerks kann aus der
Sichtbarwerdung der Offenbarung erkannt wer-
den. Wo der Organismus des Kunstwerks einen
Eingriff gestattet, liegt ein künstlerischer Fehler
vor. Die künstlerische Logik ist so absolut und
so zwingend, wie die vernunftgemäße Logik.

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