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Waldmann, Emil
Französische Maler des XIX. Jahrhunderts — Jedermanns Bücherei: Breslau: Ferdinand Hirt, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.67370#0081
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Renoir

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eine größere Helligkeit, ohne dabei den Reiz der Jugendwerke zu
verlieren. Das Licht strömt genau so poetisch durch die Laubdächer
wie einst, es umschmeichelt seine Frauengestalten immer mit der
gleichen sinnlichen Zärtlichkeit, es umspielt die Form, aber zerreißt
die Plastik nicht. Dieses Problem, vor dem Claude Monet offenbar
Angst empfunden hatte, löste Renoir mit schlafwandelnder Sicherheit.
Verglichen mit irgendeinem Bilde von Edouard Manet, etwa mit
dem im Motiv ähnlichen „Gewächshaus“, wirkt dieser „Gartentisch“
reicher und unruhiger. Der Wellenschlag der Form geht bei Renoir
in engerem Rhythmus, er belebt die Flächen stärker und häuft immer
kleinere Formen übereinander. Wenn er von irgendeinem Bilde,
ganz gleich, ob von Delacroix oder von einer Velasquez-Landschaft
oder von einem Waldbilde mit Figuren von der Hand seines Lieb-
lings unter den Fontainebleauern, von Diaz, begeistert war, pflegte
er zu versichern: „ein Diamant“. Dieses Blitzen und Funkeln in
tausend farbensprühenden Schnittflächen war sein Ideal, die Ober-
fläche seiner Bilder konnte nicht strahlend und bunt genug aussehen.
Seine Landschaften werden mit der Zeit immer vielteiliger, schon
auf dem Boulevardbild blitzt es wie Juwelen, im „Kastanienbaum“
ist gar keine feste Fläche mehr, und die Riviera-Landschaften mit
ihrer Fülle von Rot und Rosa in tausendfachen Schattierungen, vom
tiefsten Krapplack bis zum zartesten Lila, strahlen in überirdischen
Irisationen. Die Gabe des Verwandelns nimmt in den Bildern der
Spätzeit immer unwahrscheinlichere Formen an, wenn er eine Hand-
voll Blumen und Früchte auf ein weißes Tischtuch streut, glaubt
man das Leuchten von Juwelen vor dem bläulichen Schnee der
Alpen zu sehen. Und doch ist gegenständlich immer alles deutlich;
jede Gestalt einer Frucht, jede Rundung eines Körpers, jede Kurve
eines Olivenbaumes drückt vollkommenste Form aus. Sein Form-
gedächtnis, im Laufe eines halben Jahrhunderts durch rastlose Beob-
achtung und leidenschaftliches Auswendiglernen diszipliniert, be-
herrschte im hohen Alter, als er an den Rollstuhl gefesselt war und der
Pinsel an die gichtverkrümmten Finger angebunden werden mußte,
den Prozeß der Umsetzung in Farbe so souverän, daß das Auge fast
alles und die Hand, scheinbar, sehr wenig tat. Damals.hat er auch
gebildhauert. Die große Bronzefigur der Venus ist unter seinen
Augen nach seiner Willensübertragung auf einen Gehilfen modelliert.
Sein Auge fühlte, wie viel Ton der Gehilfe von der idealen Form weg-
nehmen und wie viel er modellierend hinzutun mußte. Renoir sah
und dachte, der andere, das Werkzeug, führte aus. Wer Renoirs
 
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