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Weese, Artur
München: eine Anregung zum Sehen — Berühmte Kunststätten, Band 35: Leipzig: Seemann, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.47072#0030
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16

München.

Rom gefeiert hatte, ein Gnadenjahr in München zu begehen. Herzog Stephan
der Kneißel soll durch Gesandtschaft den Papst um Genehmigung des Planes
gebeten haben. Der Papst ließ sich bereit finden und schrieb Bonifacius IX.
„omnidns vsrs contritis et conlessis" einen Jubiläumsablaß vom 7. März bis
2. August aus. „In ganz Bayern war der pest frid, so daß die Pilgrim sicher
gingen und ritten Tag und Nacht, Mann und Weib und niemand dem andern
nichts tat." Der Zulauf war sehr groß, zumal auch der Herzog allen Pilgern
sicheres Geleit gewährte. Man rechnet, daß wöchentlich etwa 60000 Menschen
hinzuströmten und daß an etlichen Tagen die Zahl der anwesenden Fremden
qoooo betrug. Von Pfingsten bis Jakobi sei kein Tag vergangen, an dem nicht
in München eine Augsburger Metzen voll Regensburger Münze geopfert wurde.
Die Hälfte dieser Einkünfte hatte sich der päpstliche Stuhl Vorbehalten. Als
jedoch ein päpstlicher Bote das Jahr darauf das Geld verlangte, verweigerte
die Stadt die Herausgabe, was in Rom Veranlassung gab, die Münchner mit
einem Mahnschreiben des Papstes zu beehren. <Vl> sie dann wirklich gezahlt haben?
(Abb. u).'
Nun atmete man auf. Die Arbeiten an der Kirche kamen wieder in Fluß
und auch für die Innenausstattung und den Altardienst fiel etwas ab. Die Kirche
verfügte schon vorher über einen ansehnlichen Besitz an Grnaten, Paramenten,
silbernem und goldenem Altargerät, wie das Inventar vom tl-Juli ^274 bestätigt.
„Alles aber," erzählt der geistliche Rat E. Geiß, „was damals an Gold, Edelstein,
Silber und kostbaren Stickereien vorhanden war, hat der Jahn der Zeit hinweg-
genagt." Nur der Zahn des hl. Petrus, den Kaiser Ludwig aus Rom mitgebracht
hatte, blieb verschont und wird den Gläubigen noch heute zur Verehrung dar-
gereicht" (p. 22). Stellen wir alle diese Nachrichten zusammen, so läßt sich daraus
schließen, daß die Peterskirche als Außenbau, den Turm einbegriffen, gegen Ende
des 44. Jahrhunderts ihre Gestalt erhalten hatte, in der sie bis zu dem Reno-
vationswerk unter dem Kurfürsten Max I. I6ZO blieb. —7 Damit hatte sie auch
in der Silhouette der Stadt durch ihren breiten Frontturm, der über die Dachfirste
hinaus gewachsen war, einen Platz bekommen, vorerst noch ohne den oberen Auf-
satz, der erst im ^7. Jahrhundert hinzukam. Für eine Ausschmückung des Portales
aber geschah nichts mehr. Manche bescheidene Kirche älterer Zeiten hat die viel-
gewandte Dekorationskunst der Gotiker, die zeichnerische Gabe der Architekten wie
die fleißige Figurenbildnerei der Steinmetzen, im rechten Augenblick ausgenutzt
und im tl- Jahrhundert oder noch später die Stirnwand mit einem schönen Portale
geziert, in dessen weiter Halle bis zum Scheitel der Gewölbe hinauf der Statuen-
kreis der Heiligen und Altesten der Kirche von Adam und Eva an aufgestellt wurde,
als ob es gälte,, das ganze Spielpersonal eines Vsterspieles mit allen Statisten vor
Augen zu führen. Für St. Peter war dergleichen nicht einmal geplant. Die Vor-
halle ist modern, ein schwächliches Machwerk. Nach dem Kompromiß, der zum
Schaden der Doppeltürme ausfiel, blieb der Mittelturm mit seinem breiten, kahlen
Sockel ein Flickwerk. Aber just dies unorganische Wachstum mit seinen springenden
Perioden hat ihm eine originelle Form gegeben, an der nicht gerüttelt werden
sollte. Auf den ältesten Stadtplänen erkennt man schor: deutlich den breitschult-
rigen Petersturm, der neben den Frauentürmen fast als unbestrittener Allein-
herrscher über der Stadt aufragt. Nun muß er sich's freilich gefallen lassen, daß
das Bürgertum des 20. Jahrhunderts ihm einen riesigen Nachbarn auf dem Rat-
haus aufrichtet, der ihn wohl zusammendrücken und wieder einschrumpfen lassen wird.
Merkwürdig, es ist wie im Mittelalter so auch jetzt noch: wenn einmal die Bau-
lust eines reich und stark gewordenen bürgerlichen Gemeinwesens sich regt, dann
will es gleich hoch hinaus. Die Rathaustürme wachsen dann mit verblüffender
Geschwindigkeit bis in den Himmel hinauf.
 
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