Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weisbach, Werner
Der junge Dürer: drei Studien — Leipzig, 1906

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.29149#0040
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
26

die auf eigene Beobachtung, schließen lassen, aufgenommen, und damit wird
ein im großen und ganzen der Natur nahekommender Eindruck erzielt. Es gibt
reizende Motive, wie die kleine Landungsstelle mit dem Kran im Hintergründe rechts.
Anderes wie die Felskulisse links mit dem verkrüppelten Baum wirkt schematisch.
Bemerkenswert ist die, um eine Raumtiefe zu schaffen, verkürzt in das Bild hinein-
geführte Baumreihe. Der Vordergrund wird wie gewöhnlich unmittelbar hinter der
Bank durch eine Terrainwelle abgeschlossen. Das ist das übliche System, wie Dürer
bei den frühesten Landschaften verfährt. Er weiß geschickt Traditionelles und Ge-
schautes zu kombinieren. Eine Ansicht aus einem Guß kommt dabei natürlich nicht
zustande.

Die einzige von den in die Wanderschaft zu setzenden Zeichnungen, die ein
Datum trägt, ist die Studie einer nackten Frau in der Sammlung Bonnat, 1493 be-
zeichnet (L. 345), zwar nicht monogrammiert, aber allgemein als Dürer anerkannt.
In der Strichführung zeigt sie denselben Duktus wie das Erlanger Selbstbildnis. Zweifellos
eine Studie nach dem Leben, wie sich aus den Pantoffeln und dem um den Kopf ge-
schlungenen Tuch ergibt. Von dem Augenschein ausgehend, hat Dürer die Frau ganz
en face mit stelzig nebeneinander aufgepflanzten Beinen ohne weiteres naiv abgezeichnet.

In der Zeit der Wanderschaft oder gleich nachher sind ferner, wie ich glaube,
folgende stilistisch zusammenhängende Zeichnungen entstanden: 1. Die schreitende
Frau, die ihren Mantel aufhebt, Slg. Bonnat, L. 346, gewiß auch eine rasche Auf-
zeichnung nach dem Leben; 2. das, wie heute ziemlich allgemein angenommen wird,
falsch 1496 bezeichnete reitende Paar in Berlin, L. 3; 3. das schreitende Paar in der
Hamburger Kunsthalle;1) 4. Die Madonna mit Engeln unter einem Zelt, im Louvre,
L. 300, eine der bedeutendsten und durchgeführtesten der hier zusammengestellten
Zeichnungen; 5. Ritter zu Pferd, London, Brit. Mus., L. 209; 6. Enthauptung eines
nackten Jünglings, Brit. Mus. (Abb. 14).'2)

Bei allen diesen Arbeiten macht sich der Schongauersche Einfluß mehr oder
weniger stark bemerkbar; sie tragen dabei ein durchaus Dürersches Gepräge. Eine
Brücke zwischen ihnen und den Baseler Illustrationen wird lediglich durch die
Schongauersche Kunst hergestellt. Gewiß wird Dürer in Basel aber auch nicht vor
der kecken, routinierten Ausdrucksweise des Meisters der Bergmannschen Offizin,
der ja einer der besten deutschen Illustratoren seiner Zeit war, die Augen gänzlich
verschlossen haben.

Wenn von Peartree darauf hingewiesen worden ist, daß Eigentümlichkeiten an den
Kostümen des Hamburger schreitenden Paares sich gerade auch auf Werken dieses Meisters
finden, so läßt sich gegen die Tatsache, daß Dürer Baseler Kostüme angewendet hat, und
diese Zeichnung etwa in Basel entstanden sei, ja gar nichts einwenden. Eine weiter-
gehende stilistische Verwandtschaft zwischen ihr und den Baseler Holzschnittwerken
als eine bei beiden evident sich ergebende Abhängigkeit von Schongauer vermag ich
nicht anzuerkennen. Einen zeichnerisch so geistvoll behandelten Kopf, wie den des
jungen Mannes der Hamburger Zeichnung, der gewiß mit Benutzung von Dürers
eigenen Zügen gegeben ist, dürfte man in den Baseler Werken vergebens suchen. Und

') Publiziert von Peartree im Jahrb. d. königl. preuß. Kunsts., 1904.

2) Durer-Society V, 4. Die von der Durer-Society, III, 3, 4 publizierten Madonnenstudien bei
Mr. G. Mayer, die mit der Erlanger Zeichnung Zusammengehen sollen, kann ich nicht für Dürer halten.
Sie sind auch schon von dem Herausgeber nur mit Vorbehalt abgebildet.
 
Annotationen