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Weisbach, Werner
Der junge Dürer: drei Studien — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.29149#0044
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die rein künstlerischen Werte übersah. Aber das waren Strömungen, die auf der Ober-
fläche blieben.

Der Humanismus bestand nur für gewisse Kreise. Er war exklusiv. Mit dem
Volke hatte und suchte er keine Fühlung.

Das Volk sog seine geistige Nahrung aus anderen Quellen, ln seinem Leben
spielte die Religion und alles, was damit zusammenhängt an Legenden, Wunder-
geschichten, Hymnen und Erbauungsbüchern eine ganz andere Rolle als in dem der
mehr oder weniger heidnisch gesinnten Humanisten. Die großen trecentistischen
Dichter, die Schöpfer und Pfleger des Volgare, hatten hier einen fruchtbaren Boden
und blieben volkstümlich. Seine Unterhaltung bestritt man zum großen Teil auch
noch mit den alten romantischen Sagen, den Ritter- und Minnegeschichten, die
nach wie vor die cantastorie, die Bänkelsänger, auf öffentlichen Plätzen vortrugen.
Dazu kamen neuere Novellen, Balladen und Romanzen von mehr oder weniger
romantischem Aufputz.

Auch das klassische Altertum lebte in der romantischen Vermummung, die
ihm das Mittelalter gegeben hatte, im Volke weiter.

Aber nicht aus den unteren Schichten des Volkes allein tönen uns diese
mittelalterlich-romantischen Nachklänge entgegen. Für die ganze Renaissancekultur ist
die Verschmelzung romantischer und humanistischer Elemente bezeichnend.1 *) In besonders
lebhaften Farben tritt uns das an einzelnen italienischen Fürstensitzen vor Augen. Wer
sich etwa in das Studium der Kultur des Estensischen Hofes in Ferrara vertieft, der
wird überrascht sein von der Fülle romantischer Züge und romantischer Neigungen.1)
Und das ist das Bemerkenswerte, daß sich in solchen Liebhaberereien und Gesinnungen
die höchst Stehenden und die niedrigsten Kreise stellenweise berührten. Es gibt ja
heute ebenfalls noch gewisse gleichsam elementare Erzeugnisse, die für Hoch und
Niedrig bei sonst gänzlich entgegengesetzten Interessensphären eine Basis für gemein-
same Anschauung, Genuß und Verständigung bieten, etwa Märchen oder Volkslied;
das, was abseits der Bildung liegt. Auch gewisse Hervorbringungen der bildenden
Künste.3)

Der Humanismus als wesentlich intellektuelle Kulturerscheinung darf gewiß
nicht für sich allein die Ehre in Anspruch nehmen, in Italien die Entstehung einer
künstlerischen Renaissance herbeigeführt zu haben. Mag man bei dieser nun den
Ton auf die neue Versenkung in die Natur oder auf den Anschluß an die Antike
legen. Das Wesen der italienischen Renaissance, wenn man sie als Stilbegriff faßt,
liegt ja gewiß in der Verbindung der beiden Faktoren.

Die bildende Kunst schöpft ihre Kräfte aus anderen als geistigen Quellen.
Sie liegen auf einem anderen Gebiet als das Humanistische. Ihr Reich ist die An-
schauung, das Sichtbare.

Wo keine intensive bildmäßige Anschauung vorhanden ist, da kommt keine
künstlerische Blüte zustande. Ein Zeitalter wie das Goethes mit all seinen lebhaften
Kunstinteressen hat Deutschland keine starke bildende Kunst zu bringen vermocht.

b Vgl. Weisbach, Francesco Pesellino und die Romantik der Renaissance, Berlin, Bruno
Cassirer, 1902, Kap. 2.

b Vgl. besonders Oiulio Bertoni, La Biblioteca Estense e la Coltura Ferrarese, Turin 1903.

3) Diese allerdings heute in weit geringerem Maße.
 
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