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Unsere Weltausstellung : eine Beschreibung der Columbischen Weltausstellung in Chicago, 1893 ; mit über 1000 der besten, aus 15.000 Meisterwerken der Photographie sorgfältig ausgewählten Illustrationen — Chicago, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.3684#0004
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Unsere WeltaussteUung.

I)ie Ledeutuug uuserer Weltausstelluug.

Als die Weltausstellung noch im Werden begriffen und selbst
während sie im Gange war, hätte es für unpatriotisch gegolten, sich
kritisch über dieselbe zu äußern. Man stimmte ein Jubellied an, in

Der Generaldirektor George R. Davis.

welches jeder einstimmen mußte, denn man fürchtete, daß etwaige
ungünstige Aeußerungen dem Untcrnehmen in finanzieller Hinsicht
hinderlich sein könnten. Diese Zeiten sind jetzt vorüber, die Welt-
ausstelluug gehört der Vergangenheit an, die Kritik kann ihr nicht
mehr schaden, und selbst wenn man noch sv scharf kritisiren wollte, so
steht die Chicagoer Weltausstellung doch heute so großartig und er-
haben da und das amerikanische Publikum hat sie so ins Herz ge-
schlossen, daß eine Kritik, wenn sie auch berechtigt ist und kritisiren
lüßt sich ja an Allem, was von Menschenhand erzeugt ist — von der
Wucht des Ganzen, seiner Schönheit und Bedeutung erdrückt wird.
So muß das unparteiische Urtheil lautcn. Darum braucht man jetzt
nicht allein das Gute zu loben, sondcrn darf getrost auch auf die
Schnttenseiten hinweisen, ohne eiucr unpatriotischen Gesinnung ge-
ziehen zu werden.

Da muß man denn freilich zugeben, daß der Amerikaner geneigt
ist, in gewisser Hinsicht die Bedeutuug der Ausstellung zu über-
schätzen, während er in anderer Hinsicht die hohe Wichtigkeit derselben
noch kaum zu würdigen weiß. Was das Lctztere anbelangt, so ist
hauptsächlich darauf hinzuweisen, daß zum ersten Male in großem
Maßstabe das amerikanische Volk sich der Einwirkung des Schönen
hat hingeben können- Auf unserer mit der Herstellung der materiellcn
Grundlage eines idealen Volkslebens beschäftigten Entwickelungsstuse
hat man noch nicht die Muße gefunden, die Kunst zu Pflegen, dcn
Schönheitssinn zu entwickeln, überhaupt die hohe bildende Kraft des
Schönen würdigen zu lernen. Jn dieser Hiusicht hat die Weltaus-
stellung eine Anregung gegeben, welche Früchte tragen wird, von
denen sich der praktische Geschäftsmann und Handwerker noch keine
Vorstellung macht.

Die Bedeutung unserer Weltausstellung lag nicht allein in der
Geschwindigkeit der Herstellung, der riesigen Ausdehnung, dem Kolos-
salen, welches das Hauptgepräge des ganzen Unternehmens bildete,
vielmehr darin, daß man der Welt zeigte, daß „jenseits des Berges
auch Leute wohnen", daß Amcrika, wenn es auch, wie ein schnell
groß gewordener Knabe gleichsam aus seinen Kleidern herausge-
wachsen ist, dennoch, wie der Präsident in seiner Eröffnungsrede

sagte, die ältere Civilisation in die Schranken fordern kann, ohne auf
Grund seiner Jugend um Nachsicht zu bitten; daß sich hjcx ein Reich
gebildet hat, dem gegenüber die großen Weltreiche der alten Welt
eine bescheidene Rolle spielen müssen; daß hier ein Freistaat entstanden
ist, in welchem der Entwickelung des Menschen nicht der Hemmschuh
Jahrhunderte alter Traditionen angelegt wird, wo in selbststündigem
Ringen sich eiu urwttchsiges Geschlecht herangebildet hat, welches,
wenn auch noch manche dem Sohne der freien Natur anhaftende Un-
ebenheiten abzuschleifen sind, im Stande ist, die Resultate einer in die
Jahrtauscnde hiiiaufreicheiidcn Civilisation unabhängig aufzufassen
und zu vcrwerthen und somit originell zu arbeiten. Denn die Ori-
ginalität besteht ja nicht in dem Ausdenken neuer Dinge, sondern
darin, daß mau dem vorhandenen Wissensschatze den eigeuen Geistes-
stempel nusdrückt, ihn nuf eigene Weise bearbcitet und im fortschritt-
lichem Sinne in den Dienst der Kultur stellt. Dies galt es zu
beweisen, daß es mithin nicht leere Prahlerei ist, wenn der Ameri-
kaner behauptet, daß Amerika ein Asyl für die freiheitlichen und fort-
schrittlichen Elemente der alten Welt geworden ist, und daß Freiheit
und Zügellosigkeit nicht ein und dasselbe bedeuten, sondern die Frei-
heit und die „heil'ge Ordnung" wohl zusammcn existiren können.

Andererseits haben auch die Amerikaner gelernt. daß es möglich
ist, auch außerhalb der Grenzen unscres schönen, großen Vaterlandes
glücklich zu leben, in manchen Beziehungen eine ebenso hohe Kultur
zu erreichen, in manchen sogar uns zu überflügeln. Niemand weiß zu
würdigen, was in der Welt geleistet wird, bis er erfährt, was außer-
halb der Grenzen seines eigenen Vaterlandes vor sich geht, noch auch
weiß er den Werth seiner eigenen Umgebung wirklich zu schützen, bis
er Gelegenheit gehabt hat, andere Verhältnisse' kenneu zu lernen.
Also hat die Weltausstellung den Gesichtskreis unseres Volkes er-
weitert und zugleich unseren Patriotismus gekräftigt.

Jn praktischer Hiiisicht hat die Weltausstellung ühnlich gewirkt

wie alle derartigen Unternehmen. Sie hat zum Austausch der Jdeen,
zur Anknüpfung neuer Handelsverbindungen geführt, vor allen
Dingen die direkten Verbindungen zwischen Amerika und Deutsch-
land erweitert und fester geschlossen.

Der Präsident des Lvkaldirektvriums H. N Higllibotham.
 
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