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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 3.1903/​1904

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Heft 8
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Obrist, Hermann: Warum haben wir keine moderne Monumentalkunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.75368#0121
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Organ fürdie
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Keckakteur: Ernst Eloss

III. Iakrg. ^ IZelt 8. ^ 22. Dov. 1902.

Marum Kaben voir Keine moclerne Monunientalkunst?
Von I)ernianu Obrist, München.*)

Wir wollen versuchen, dieses vielleicht schwierige,
jedenfalls aber schwerwiegende Thema so zu be-
sprechen, daß es jeder verstehen kann. Daß unsere
Ausdrucksweise auf diese Art jedem tüchtigen Kunst-
historiker ein Greuel wird sein müssen, wird sich
vielleicht nicht vermeiden lassen. Tun wir also
vorübergehend einmal so, als ob es gar keine
Kunsthistoriker gäbe. Hinterher können wir sie
immer noch um Entschuldigung bitten, daß wir
ihnen ins Handwerk gepfuscht haben.
Unter Monumentalkunst werden wohl im all-
gemeinen, populär ausgedrückt, zu verstehen sein
Werke der Architektur, der Malerei und der Plastik,
die teils durch die Größe ihres räumlichen Um-
fanges, teils durch die Bedeutung und die Wichtig-
keit der Aufgaben oder des geistigen Inhaltes,
welche sie zu erfüllen oder darzustellen haben, teils
durch die Kraft der künstlerischen Persönlichkeit, die
sich darin ausspricht, über das Maß der übrigen
künstlerischen Erzeugnisse hinausragen sollen als
Wahrzeichen der Kraft und der Herrlichkeit des
Ltaates, der Gemeinde oder der Korporation, die

*) Wir entnehmen diese Ausführungen der iu München
seit einigen Wochen als literarische Beilage zu der „Münchner
Zeitung" erscheinenden Halbwochenschrift „Die Propyläen".
Diese von Eduard Engels redigierte Zeitschrift weiß, wie
das von uns mit Einwilligung von Autor und Redaktion
wiedergegebene Beispiel zeigt, es zu würdigen, wenn Künstler
in künstlerischen Fragen selbst das Wort nehmen.

sie errichten. In diesem allgemeinen Linne fehlt
es nicht an bedeutenden Werken im Deutschen Reiche.
Wir haben z. B. in der Architektur ein Reichs-
tagsgebäude, zahlreiche Rathäuser, Kirchen, Uni-
versitäten rc., die einen ganz imposanten Eindruck
machen und den Ltolz des Bürgers und des Archi-
tekten bilden. Lind diese Werke aber in ihrer künst-
lerischen Erscheinung und Formengebung ursprüng-
liche, schöpferische, moderne Lösungen der gestellten
Probleme? Wir glauben nicht, daß sich noch je-
mand finden wird, der das behaupten wollte. Jeder
Packträger kann uns heute schon erklären, daß
dieses Rathaus und diese Kirche im gotischen
Ltile, jene Universität im Renaissancestil, jenes
schloß und jenes Volksbad im heimischen Barock-
stile gebaut ist. Unter tausend Werken der Monu-
mental-Architektur, die im Jahre t903 in deutschen
Landen gebaut wurden, sind noch keine drei, in
denen versucht wird, das Problem in moderner
Horm zu lösen, etwa wie wir Beleuchtungskörper
in künstlerisch einwandfreiem, modernem Tharakter
schon viele haben. Im Wohnhause sind schüchterne
Versuche der Art zu bemerken; in der Monumental-
Architektur ist das äußerste, was in dieser Hin-
sicht geleistet wurde, die sogenannte verjüngte
Heimatskunst, wobei die Architekten, statt die
Prachtbauten der historischen Ltile zu plündern,
auf die ursprünglichsten frühmittelalterlichen Formen
 
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