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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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D.W.D.K.: Eine Atelierhaus-Genossenschaft in München
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Renner, Paul: Noch einmal Ausstellungszustände
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Hellwag, Fritz: Proben unsittlicher Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0587
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Heft ^2.

Die Werkstatt der Kunst.

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in München-Gern möglichst bald mitteilen, damit der
Verein ins Leben gerufen und ein Ucberblick über die vor-
läufige Beteiligung gewonnen werden kann.
Der Preis eines Atelierhäuschens mit Atelier und
3—q. Zimmern und mit Gartenland sollte ;?ooo Akk. nicht
übersteigen. — Künstler, die z. B. für eine Atelierwohnung
im vierten Stock eines besseren Hauses jetzt jährlich min-
destens ;ooo Mk., in ZO Jahren also 30000 Mk. an Miete
bezahlen, könnten bei Erwerbung eines eigenen Häuschens
in dieser Zeit tOOOO Mk. an Mieten ersparen und ihren
Erben ein eigenes Besitztum hinterlassen.
wenn alles gut überlegt und richtig gewirtschaftet
wird, so kann die beabsichtigte Münchener Atelierhaus-
Genossenschaft ein segensreiches Unternehmen werden.
O. W. O. X.
Dock einmal Uusstellungszustäncle/)
Herr L. K.-A. hofft Besserung unserer Ausstellungs-
zustände, wenn die Anerkannten die erbetene Großmut er-
weisen. Ich fürchte, dadurch würden unsere Ausstellungen
nicht besser werden, im Gegenteil, das Lharakteristische
würde verwischt, denn sie sind Ausstellungen geschlossener
Korporationen, die ihre Eigenart gerade den Werken ihrer
anerkannten Repräsentanten verdanken; wenn diese fern
bleiben, wie z. B. Uhde und Zügel von der heurigen
Sommersecession, so hinterlassen sie eine fühlbare Lücke.I
Es ist Mode geworden, in den intimen Ausstellungen
von höchstens 300 Merken das Ideal aller Ausstellungen
zu sehen. Ich weiß wohl, welche (pual für Augen — und
Beine ein Dauermarsch durch die Pariser Salons mit ihren
3000 bis 6000 Bildern, durch den Glaspalast und die Moabiter
Ausstellung bedeutet. Dennoch wird man dauernd auf die
großen Ausstellungen nicht verzichten können, ohne die Ent-
wickelung unserer Malerei aufs schwerste zu schädigen.
Die kleinen Ausstellungen haben ihre Berechtigung,
indem sie geschloffene Gruppen in einem geschmackvollen
Rahmen vorführen. Auch solche hat es ja von jeher in
Paris gegeben, wenn auch der „geschmackvolle Rahmen" nicht
immer die Rolle spielte, wie bei unseren „Lebenskünstlern".
Aber wo ist heute die Möglichkeit, einen vergleichen-
den Ueberblick über unser gesamtes Kunstschaffen zu ge-
winnen? wo haben heute der Kenner, der spekulierende
Kunsthändler, der Kritiker Gelegenheit, den kommenden
Leuten nachzuspüren, Urteile über Verkannte nachzuxrüfen?
unter der Jugend Spreu und Weizen zu sondern?
Man sagt mir: im Münchener Kunstverein. In der
Tat hat dieser Verein neuerdings seine Pforten rühmlicher-
weise auch den Allerjüngsten geöffnet, wein nur darum
zu tun ist, auszustellen und eine schöne Phrase mit auf den
weiteren Lebenspfad zu bekommen, dem kann hier geholfen
werden. Aber, unter uns, wer geht eigentlich jede Woche
in den Kunstverein? Richt alle Münchener Kunsthändler,
von auswärtigen nur zufällig einmal einer. Der Kritiker
schickt seinen Vertreter, den Kunstvereinskritiker. Man hat
überdies nicht die Möglichkeit zu vergleichen.
Man sagt mir: in der Frühjahrssecession. Aber da
finden wir die Auslese bereits getroffen, die wir selbst
treffen wollten; überdies von Leuten, die natürlicher-
weise Geschmack und Horizont der jetzigen Malergeneration,
nicht den der kommenden haben. In der Tat wird dort
manches leichte Zeug, wenn es Koloristik und Pinselschmiß
der gegenwärtigen Mode mitmacht, den schwereren mit
neuen Problemen belasteten Arbeiten anderer vorgezogen.
Richt aus persönlichen Gründen, wie vielleicht erbitterte
Refüsierte glauben. Das Problem liegt tiefer und ich kann
es hier nur andeuten: welcher Meister würde nicht
seine eigenen Jugendarbeiten refüsieren? (wenn
er sie nicht selbst gemalt hätte?) welcher Meister hat
nicht (meist unbewußt) seine Epigonen höher geschätzt, als
die ungebärdigen Anfänge der ihn ablösenden Generation?
st Man vergleiche den Vorschlag in Nr. ZI.

Alle Reformen bleiben Flickwerk, solange man den
Anspruch erhebt, den Kitsch ausscheiden zu können. Die
(Qualität einer Ausstellung durch Ablehnung geringerer
Werke zu heben, ist ja jede Jury nach bestem Wissen
und Gewissen bestrebt. Mit dem Erfolge, daß die
Gruppen immer geschlossener wurden, daß für den Nach-
wuchs immer weniger Platz wurde, daß die Ausstellungs-
misere immer akuter wurde. Gruppen haben kein Interesse
daran, daß die kommenden Leute aufgefunden werden; bei
aller Noblesse ihrer Mitglieder können sie diese für die
Meffentlichkeit ungeheuer wichtige Aufgabe darum nicht lösen.
wir brauchen, was Paris längst hat, einen juryfreien
Lulon cles Ivckepenclunts, einen Lulon ckes Netüsos, wo
wir selbst — inmitten ungeheuren Kitsches — Auslese
und Nachlese halten können. Nm das möglich zu
machen, soll inan Zusammenhängen, was Zusammenhängen
will. Mari wird da auf Gruppen stoßen und eine dieser
Gruppen wird vielleicht die Zukunft im Schoße
tragen. — Die Ausstellung brauchte nur vier Wochen zu
dauern; ich bin überzeugt, sie würde die Kritiker und Händler
von ganz Deutschland nach München locken.
Der gröszte Gewinn dieser Ausstellung aber
wäre der, jeder junge Künstler wird es mir bestätigen:
Hat er sein Kostbarstes, seine Eigenart, seine Ideale unver-
sehrt durch die Akademie gerettet, dann naht ihm die
größere und viel gefährlichere Versuchung: die
Ausstellungsjury. Gäbe es erst eine jury freie
Ausstellung, dann würde von dem edel st eil und
freiesten Kunstschaffen unseres Nachwuchses ein
häßlicher lähmender Alp genommen: wäre das nicht
Lohn genug „dem Lebenskünstler" dafür, daß er an 6000
schrecklichen Kitschbildern vorbeiwandern muß, um diese zu
finden?
Neber 6000 Bilder hatte der juryfreie Lulon ckes
Inckepenckunts dieses Frühjahrs. Ich glaube, so schlimm
wird es in München nicht gleich werden. Findet sich nicht
ein smarter Geschäftsmann, der uns eine juryfreie Aus-
stellung für das Fremden- und Ausstellungsjahr td08
beschert?
Vaul Renner-München
(z. Zt. Eching a. Ammersee).
Proben unsittlicker Kunstkritik.
s. Der „lichtvolle Historiograph" Ludwig
pietsch schreibt in der „Dossischen Zeitung" in
einem Bericht über die große Berliner Ausstellung:
„Das Bild zeigt eine Gruppe zweier schlanker, nackter
junger Mädchen in Lebensgröße, einer hellhäutigen, die
sich in höchst .nonchalanter' Haltung rücklings auf
den Bodenteppich geworfen hat, und einer bräun-
licheren, die, ihr und dem Beschauer den Rücken kehrend,
auf diesem Teppich sitzt und die Laute spielt. Eine per-
sische Bronzekanne und Schale stehen neben ihnen. Es
sind keine Bacchantinnen oder Mdalisken, sondern zwei
hübsche junge Töchter gebildeter Stände, die einmal
die Lust angewandelt hat, solche Frauen zu spielen,
und die sich in wohl verschlossenem, orientalisch
dekoriertem Zimmer entkleidet haben nnd an diesem
Spiel amüsieren."
Wir wissen nicht, was mehr an den pranger-
gestellt zu werden verdient, die absolute Unfähigkeit
des Kritikers, auch nur mit einem Wort über das
zu sprechen, was seine Aufgabe wäre, nämlich das
Künstlerische oder Unkünstlerische an dem Bilde, —
oder die eigenartige Schreibweise, durch die in den
Lesern, besonders aber in den „hübschen jungen
Töchtern gebildeter Stände" (aus Berlin IV.) lüsterne
Gedanken erweckt werden müssen.
 
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