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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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Gabriele d'Annuncio und die Bildhauerkunst
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Das neue Kunstvereins-Haus in Augsburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0615
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Die Werkstatt der Kunst.

607

„Sie ist stets verschieden: wie eine Wolke, die von
Sekunde zu Sekunde ihre Form verändert, ohne daß du es
bemerkst. Jede leiseste Bewegung ihres Körpers zerstör,
eine parmonie und bringt im selben Augenblick eine neue,
schönere hervor. Du bittest sie, still zu halten, einen Mo-
ment unbeweglich zu stehen; durch ihre Regungslosigkeit
hindurch geht ein Strom geheimnisvoller Kräfte, wie der
Gedanke durch das Auge geht. — Das Leben des Auges
ist der Blick, dieses Undefinierbare, das ausdrucksfähiger
ist, als das Wort, der Ton; fo unendlich rein und vertieft,
so urplötzlich wie der Blitz, ja rascher noch als der Blitz,
unberechenbar, allmächtig — mit einem Wort: der Blick.
Und stelle dir vor, daß über ihren ganzen Körper dieses
Leben des Blickes hinstießt. Kannst du das fasten? —
Tine einzige Bewegung der Wimpern verwandelt dir ein
menschliches Antlitz und enthüllt dir eine Unendlichkeit von
Freude oder Trauer. Die Augenlider eines Wesens, das
du liebst, senken sich, und Schatten umkreist dich, wie Wasser
eine Insel. Sie erheben sich: Sommergluten versengen die
Welt, wieder eine Bewegung: deine Seele zerstießt, wie
ein Tropfen; eine andere noch und du bist der König der
Welt. Und denke dir diesen rätselhaften Zauber über ihren
ganzen Körper ausgegosten, über alle Glieder vom Scheitel
bis zur Sohle dieses Aufleuchten blitzenden Lebens. Bildest du
dir ein, du könntest einen solchen Blick meißeln? Die alten
Griechen, dieses menschliche Unvermögen wohl erkennend,
haben ihre Statuen blind dargestellt. Und nun — suche mich zu
verstehen — ihr ganzer Körper ist wie der Blick I"
Selten ist wohl das Mysterium des Lebens im weib-
lichen Körper schöner dargestellt worden, wie hier. Nur-
Künstler können das fühlen! — Und nun beschreibt Settala,
wie auch der leblose Stein nach Erfüllung mit diesem My-
sterium verlangt:
„Ich habe es dir ja gesagt: tausend Statuen, nicht
eine. In jedem Stein lebt ihre Schönheit! Das ist mir
eines Tages in Tarrara klar geworden in einer von Jammer
und Begeisterung gemischten Empfindung. Sie war mit
mir, wir sahen den großen Gchsen zu, die die marmorbe-
ladenen Karren von den Brüchen herunterzogen. Mir schien,
als sprühten von ihr Millionen belebender Funken in den
Marmor über, wie von einer Fackel, die man schüttelt,
wir sollten Block auswählen. Ich erinnere mich noch so
gut. Ls war ein prachtvoller Tag. Die umliegenden
Marmormassen glänzten in der Sonne, wie der ewige Schnee,
von Zeit zu Zeit vernahmen wir das Platzen der Minen,
die den verschwiegenen Bergen die Eingeweide zerrissen.
Bei Massa schauen auch die Berge blutigrot herüber, wenn
man vorübersährt. Diese Stunde werde ich nie vergessen,
selbst wenn ich noch einmal stürbe. — (Der Künstler hatte,
in einem seelischen Konflikt verzweifelnd, versucht, sich zu
töten, war aber wieder zum Leben gebracht worden.) —
Sie trat mitten in diese Versammlung weißer Steine, ver-
weilte einen Augenblick bei jedem, beugte sich nieder, be-
trachtete aufmerksam das Korn, es war, als wolle sie die
innersten Adern des Marmors prüfen, dann zögerte sie,
lächelte und ging vorüber. Ihre Kleider vermochten es
nicht, sie meinen Augen zu verhüllen. Es mar eine Art
von göttlicher Zusammengehörigkeit zwischen ihrem Fleische
und dem Marmor, den sie, sich bückend, mit ihrem Atem
streifte. Lin unbewußtes Ihr-Lntgegenstreben ging von
dieser leblosen weißen Maste aus. Der wind, die Sonne,
die Erhabenheit der Berge, die lange Reihe der eingespannten
Gchsen, die antike Krümmung der Joche, das Knirschen
der Karren und die Nebel, die vom tyrrhenischen Meere
herüber kamen und der hohe Flug eines Adlers, alle Er-
scheinungen, die mich umgaben, versetzten mich in eine un-
begrenzte Begeisterung, berauschten mich mit einem Traume,
wie ich ihn noch nie geträumt hatte. — Ach, Losimo,
Losimo, ich habe es gewagt, ein Leben von mir zu schleudern,
über dem die Glorie einer solchen Erinnerung leuchtet! Als
sie sodann die pand aus den von ihr gewählten Marmor
legte, und sich zu mir wendend, sagte: ,Dieser!', da lechzte
der ganze Berg von der Wurzel bis zum Wipfel
nach Schönheit."

Vas neue Runstverems-Haus
in Augsburg.
(Eingesandt.)
Augsburg. Die feierliche Eröffnung des neuerbauten
Kunstvereinshauses sand am 9. Juni durch den I. Vor-
sitzenden des Vereins, perrn Pofrat Wolfram, I. Bürger-
meister der Stadt Augsburg statt.
Genannter perr richtete herzliche Worte an die zahl-
reich erschienenen Festgäste und pries den Tag der Eröff-
nung als einen Freudentag für den Kunstverein Augsburg,
dessen Sehnen und Streben nach einem eigenen zweckmäßigen
peim nun gestillt sei.
Der Redner streifte kurz die Geschichte und fördernde
Tätigkeit des im Jahre t83Z gegründeten Vereins und den
Werdegang des nun glücklich erstandenen neuen peims.
Mit einem begeistert ausgenommenen poch auf Se. k. Hoheit
den Prinzregenten schloß perr posrat seine herrliche, mit
großem Beifall ausgenommcne Rede.
Danach ergriff der II. Bürgermeister, perr Pofrat
Gentner, das Wort und sprach namens der Stadtgemeinde
als Vertreter derselben seine Freude aus über das wohl-
gelungene neue peim. Er bezeichnete die neue Kunststätte
als Zierde der Stadt und einen neuen Beweis der eifrigen
Kunftpstege in Augsburg usw. Zum Schluffe wünschte der
Redner dem Kunstverein ferneres Blühen und Gedeihen
mit der Versicherung, daß die Stadt Augsburg wie bisher,
so auch forthin eine wahre Freundin und Förderin der
Kunst und des Kunstvereins sein werde.
Die Ausstellungsräume des neuer: pauses bestehen
aus einem großen und einem kleinert Gberlichtsaal und
fünf Nebenkabinetten mit hohem Seitenlicht. Von diesen
ist eines als Bibliothek und Lesezimmer, eines für Schwarz-
Weiß-Kunst und eines für Skulpturen bestimmt und ein-
gerichtet.
Außerdem enthält das in Barockstil neuerbaute paus
neben einem größeren Sitzungssaal, Sekretariat, Garderobe
und Toiletten im Tiesparterre noch einen geräumigen pack-
raum (Magazin) und kleine Wohnung für den Kustos.
Die Eröffnungsausstellung ist mit vorzüglichen,
fast nur erstklassigen Werken beschickt.
Von den Münchener Künstlern sind zu nennen:
Pros. Zeno Diemer (-P, Pros. Firle, w. Räuber
(Sammlung), A. Lrdtelt (Sammlung), L. Partmann (2),
R. Kaiser, I. D. polz, p. Klatt, G. Sinding, G. Rienäcker,
Frau Maria Nyl und Johanna v. Destouches, E. p. Lompton
(2); ferner: R. F. Lurry, Rob. Büchtger, A. Wex, Gtto
und Gskar Leu und L. peinisch mit Sammlungen (Land-
schaftsbilder).
Aus Stuttgart sind die rühmlichst bekannten Land-
schafter Pros. G. Reiniger, M. Pleuer und K. Schickhardt
mit mehreren Landschaften vertreten.
Fr. Reusing-Düsseldors sandte eine Sammlung Porträte.
wahre Schätze birgt das Kabinett für Schwarz-Weiß-
Kunst. Da lesen wir Namen, wie: Max Klinger, Leistikow,
perkomer, p. Unger, A. Krüger, Fantin-Latour, peller,
Jahn, wenban u. a. m.
Von den Augsburger Künstlern sind zu nennen:
Pros. L. Riß, F. Burger, L. Voß und Frl. Fanny Brauer.
Line besondere Beachtung verdienen die von der kgl.
Akademie der bildenden Künste prämiierten reizenden Zeich-
nungen, Randleisten, Studienköpse und Radierungen von
Pros. Earl Riß, hier.
plastische Werke sind ausgestellt von den Professoren
Bernauer und Kaufmann, dann Erl und Vierthaler-München
und K. Bartl und I. Rehle, hier.
Verkauft wurden eine Reihe von Gemälden und
Radierungen, darunter „pochgebirgslandschasten" von Lomp-
ton und von Gskar Leu, „Blumen" von Frau M. Nyl,
Radierungen von wenban, perkomer, Riß usw.
Möge nun das neue paus eine Stätte edler Kunst
sein und bleiben zu Nutz und Frommen der Künstler so-
wohl, als auch des kunstliebenden Publikums.
 
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