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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 15.1915/​1916

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32 Die Werkstatt der Runs!.XV, Heft 3.
rlrnlckau.

Der Schraubtaler.
Line vergessene Kleinkunst im Dienste der Kriegsfürsorge.

von Or. Victor Fleischer, Wien.
Unübersehbar ist die Menge von Erzeugnissen der ver-
schiedenen Industrien, die während der harten Kriegsmonate
durch „zeitgemäße" Arbeiten den Ausfall an Verdienst-
möglichkeit zu ersetzen bestrebt waren oder in spekulativer
Absicht allerlei patriotisch aufgeputzte waren auf den
Markt brachten. Für das Museum der Geschmacklosigkeiten
des Kunstgewerbes hat es vielleicht nie vorher eine so er-
schreckend reiche Ernte gegeben. In Wien ist zum Glück
bald nach Kriegsausbruch ein in seiner einfachen Bescheidenheit
vornehmes Abzeichen rasch populär geworden, das wilde Er-
zeugnisse zurückgedrängt hat: das „Schwarzgelbe Kreuz".
Line Organisation, um deren Ausbau die Schriftstellerin
Alice Schalek große Verdienste hat, darf sich rühmen,
durch die Schaffung und den Vertrieb dieses kleinen Kunst-
gegenstandes manche Not gelindert zu haben. Zwei Kro-
nen kostet das schwarzgelbe Kreuz, und für diesen Betrag
war es möglich, zehn Personen einmal mit Speise zu ver-
sorgen. In hunderttausenden Exemplaren, als Abzeichen
im Knopfloch, als Krawattennadel, Brosche, Uhrenanhänger,
Halsschmuck usw. wird das schwarzgelbe Kreuz seit einem
Jahre in allen Gesellschaftskreisen der Hauptstadt, im Hoch-
adel wie von den Schaffnern der Straßenbahn, von Ban-
kiersgattinnen wie von armen Näherinnen getragen. Daß
es dann — wie in Deutschland das Eiserne Kreuz — auch
in den unmöglichsten Verwendungen als Zierstück in die
Industrie übergegangen ist, kann wenigstens zum Teil
damit entschuldigt werden, daß dabei jedesmal dem wohl-
tätigen Zweck neue Summen zugeführt wurden. In seiner
ursprünglichen Form ist es ein Oktogon aus dünnem
Messingblech, das in leichter Prägung den Doppeladler,
darüber ein schwarzes Kreuz und in dessen Mittelschild das
wiener Wappen — weißes Kreuz auf rotem Grunde —
trägt. Der Schöpfer dieses schwarzgelben Zeichens ist der
wiener Bildhauer Earl Maria Schwerdtner.
Der gleiche Künstler hat nun für eine andere
Wohlfahrtseinrichtung, die Wiener Invalidenschulen, der
Anregung eines wiener Sammlers folgend, ein neues
kleines Kunstwerk geschaffen, durch das eine fast ganz vergessene
süddeutsche Kunstart erneuert wird: eine Kapselmedaille
— oder, wenn wir die in Sammlungen übliche Bezeich-
nung aufnehmen wollen, einen „ S ch raub ta ler ". vor
dreihundert Jahren ist, wie die neueste Forschung festgestellt
hat, diese ein wenig spielerische, aber in ihren Schöpfungen
oft sehr reizvolle Abart der Medaillenkunst in Augsburg
entstanden und durch lange Zeit nicht über den Kreis der
Augsburger Künstler hinausgedrungen. Zunächst waren
die Schraubtaler Münzen oder Medaillen in Talerform,
die sich durch Schrauben oder einen ähnlichen Mechanismus
öffnen ließen, in ihrem Inneren gravierte Inschriften oder
in Oel gemalte kleine Bildnisse zeigten und als Taufpaten-
geschenke beliebt waren. Gegen das Ende des t 7. Jahrhunderts
fanden sie als „Hochzeitstaler" Verbreitung und bargen
dann Einlagen mit bildlich dargestellten Liebes- und Lhe-
fzenen oder auf Glimmerxlättchen gemalte Modebilder
(ähnlich den „Anziehxuppen-Bilderbogen", die es jetzt in
der Papierindustrie gibt); und wenige Jahrzehnte später
entstehen, wiederum in Augsburg, Schraubtaler mit Bilder-
reihen, die politische oder kirchliche Ereignisse zum Inhalt
haben: 17^7 aus Anlaß des Reformationsjubiläums und
dann im Anschluß an die Salzburger Protestantenauswan-
derung im Jahre t?32; zu den bekanntesten gehören die
mit Bildern des Kupferstechers Remshard.
In mancherlei Formen haben sich die Schraubtaler-
Arten bis ins Jahrhundert weiterentwickelt; so gab es
als Taufgeschenke Vierkreuzer-Stücke, die als freundliche
Ueberraschung einen Golddukaten einfchloffen. Auch als
Sxottmünze auf Italien wurden solche geheimnisvolle Prä-

gungen erzeugt: aus dem Jahre ;8^8 gibt es Fünf-Lire-
Stücke der Mailänder Republik mit der stolzen Inschrift:
Italia liberia — Oio Io vnole; und es haben sich solche
Münzen erhallen, die geöffnet, das Porträt Radetzkys zei-
gen: Nä Uacletölcy no!
Zu der Kapselmedaille von Schwerdtner hat der wie-
ner Maler Berthold Löffler eine Reihe, zu einem Le-
porelloband vereinigter farbiger Zeichnungen geschaffen,
die (in der Farbengebung denen einer Denkmünze aus der
Zeit der Befreiungskriege verwandt) Szenen des Welt-
krieges darstellen. Verse aus rasch bekanntgewordenen
neuen Kriegsgedichten begleiten die Bildchen statt eines
erläuternden Textes. Mit Hauptmanns „Drei Räuber" be-
ginnt die Reihe und bringt dann sorgfältig gewählte Worte
deutscher und österreichischer Dichter. Die Vorderseite der
Medaille zeigt einen deutschen und einen österreichischen
Soldaten in ruhiger, aufmerksamer Wachestellung vor einer
Eiche, an der die beiden Reichsschilde aufgehängt sind; die
prachtvoll komponierte Rückseite, deren Entwurf man am
liebsten für eine gemeinsame Kriegsmedaille der beiden
Heere übernommen sähe, zeigt zwei um ein Schwert ver-
schränkte Hände und die Wahlsprüche der verbündeten Kaiser.
Die feine, ohne Kleinlichkeit modellierte Medaille ge-
hört zu den besten Arbeiten des begabten und längst ge-
schätzten wiener Künstlers und zum wertvollsten, was die
der Zeit dienende Kunstindustrie hervorgebracht hat. Wegen
der Metallknappheit ist sie in Eisen gestanzt worden; da-
mit ist aber auch der Herstellungspreis ungemein verbilligt
und vom Verkaufspreis (zwölf Kronen) ein um fo größerer
Teil dem Fürsorgezwecke gesichert worden.
Ls wäre schön, wenn die Kapselmedaille im Reiche
Nachahmung fände und inmitten der Orgien an kunstgewerb-
licher Geschmacklosigkeit noch ähnliche kleine Kabinettstücke
deutscher Kunst entständen — doppelt erfreulich, wenn sie,
wie in Wien, dazu bestimmt wären, Kriegsleid zu lindern.

Rünstlerkriegshilfe.
vom Ausschuß für Künstlerkriegshilfe wird uns ge-
schrieben: Im März d. I. wurde durch Uebereinkommen
der künstlerischen und kunstgewerblichen Fachvereine Bre-
mens die Künstlerkriegshilfe gegründet. Ihre Tätigkeit
ist durch Aufrufe in der presse seinerzeit mehrfach be-
sprochen worden und im amtlichen Teil und anderen
Stellen der Blätter wurden seither und werden fernerhin
auch die laufenden Aufgaben für die Künstler und Kunst-
gewerbler von Fall zu Fall bekannt gemacht. Um Ver-
wechslungen und Irrtümern zu begegnen, sei jedoch fol-
gendes milgeteilt: Seit einiger Zeit befindet sich in der
Rutenstraße hier eine Ausstellung von Werken vorzugsweise
Worpsweder Künstler, ein Privatunternehmen des Herrn
Gust. Rau. Mit diesem Unternehmen hat die organisierte
Künstlerkriegshilfe nichts zu schaffen. Daß auf eine we-
fentliche Verschiedenheit beider Unternehmungen hinge-
wiesen werden muß, hat feinen Grund darin, daß die
Künstlerkriegshilfe ihre Einkünfte, welche ihr durch Stif-
tungen und Aufträge entstehen, voll und ganz den be-
schäftigungslos gewordenen und dadurch in Bedrängnis
geratenen Künstlern, Kunstgewerblern und Kunsthand-
werkern wiederum in Form von Aufträgen zuwendet, ohne
für ihre Mühewaltung Abzüge zu machen oder mit Ueber-
fchüssen zu rechnen. Ihre Kräfte arbeiten ehrenamtlich.
Im Gegensatz zur KKH. ist das R.'fche Unternehmen ein
geschäftliches und hat mit der KKH. nichts zu tun, obgleich
die gedruckten Prospekte diesen Anschein erwecken. Der
Ausschuß für die Künstlerkriegshilfe muß wert darauf
legen, daß zwischen einem Unternehmen und dem des
Herrn Rau, für welches dieser und feine Beauftragten
im Bremer Publikum durch den Vertrieb von Dauerkarten
eins eifrige Werbetätigkeit betreiben, streng unterschieden
wird. Beide Unternehmen gehen in ihren grundsätzlichen
 
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