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Wiegand, Theodor [Hrsg.]
Milet: Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899 (Band 3,1): Der Latmos — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.1001#0206
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DIE MALEREIEN DER ASKETENHÖHLEN DES LATMOS.

Jeden Freund der byzantinischen Kunst mußte die Aufgabe locken, zu den Aufnahmen der Latmos-
fresken das erläuternde Wort sprechen zu dürfen. Anfängliche Bedenken, ob das ohne persönliche Be-
sichtigung der Malereien an Ort und Stelle zulässig sei, konnten dank dem Vorhandensein photographischer
Hilfsmittel zur Nachprüfung der von Künstlerhand hergestellten Kopien überwunden werden. Und so
durfte ich der Aufforderung Th. Wiegands dankbar Folge leisten und damit wenigstens z. T. eine Absicht
verwirklichen, die ich vor bald fünfzehn Jahren hatte aufgeben müssen.

Worin liegt nun die Bedeutung dieser Bilderfolgen und ihrer Veröffentlichung? Sind es doch sichtlich
Erzeugnisse einer schlichten, ja zum Teil einer verwilderten Mönchskunst. Unteritalien und die russischen
Kirchen des hohen Mittelalters haben manche stilvolleren Reste byzantinischer Wandmalerei bewahrt, und
in den kappadokischen Höhlenkirchen wurden uns neuerdings viel reichere Zyklen bekanntJ). Wenn
die Latmosfresken dennoch für die Erkenntnis des Entwicklungsganges dieses Kunstzweiges eine erhöhte
Bedeutung gewinnen, so liegt das vor allem an der Art, wie sie aufgenommen wurden und wie sie hier
wiedergegeben werden, — nämlich in getreuester erreichbarer farbiger Nachbildung. Die Farbe hat noch
niemals bei der Erforschung solcher Reste eine auch nur annähernd ausreichende Berücksichtigung erfahren 2).
So bietet sich hier zum ersten Mal Gelegenheit, diese Seite der mittelalterlichen byzantinischen Monu-
mentalmalerei in ihrem Verhältnis zur Farbengebung der Mosaiken und Miniaturen vergleichend zu
würdigen. Darum ist es ein besonders glücklicher Zufall, daß diese wenigen Überbleibsel der Latmos-
kunst sich über eine größere Zeitstrecke verteilen und daß sie allem Anschein nach durchweg von späteren
Zutaten oder Übermalungen verschont geblieben sind.

Viel schlimmer steht es um die Erhaltung der meisten Fresken, soweit Zerstörung in Frage kommt.
Eine solche hat überall, selbst in der Bergwildnis des Stylosklosters, stattgefunden, und sie ist unverkennbar
eine absichtliche gewesen. Der Bilderhaß islamischer Hirten hat sich besonders auf die Köpfe und namentlich
gegen die Augen der Figuren gerichtet. Je leichter sie für die mit einem Stein bewehrte Hand erreichbar
waren, desto gründlicher sind sie verstümmelt. Nicht ganz so sicher haben die Steinwürfe gegen höher
liegende Bilder und gegen die Gewölbemalereien ihr Ziel erreicht, so daß uns aus ihnen hier und da noch
ein vollständiger Kopf anblickt. Auch manche Figur ist mehr oder weniger zerfetzt. Wo aber ganze Ge-
stalten oder größere Teile der Bilder verschwunden sind, ist meist — glücklicherweise nicht in allzu be-
trächtlichem Umfange — der gesamte Malgrund herabgefallen, sei es infolge späterer Durchfeuchtung,

T) Vgl. außer der bei Ch. Diehl, Manuel d'art byzantin. Paris 1910, p. 479 u. 533, verzeichneten Literatur Souslov, Monuments
de l'art ancien russe. St. Petersbourg 190S—1910, livr. 1—3, worin die Malereien der Kirchen in Nefeditsy jetzt auch nach farbigen
Aquarellkopien wiedergegeben sind, wenngleich ohne genaue Nachahmung ihres technischen Charakters.

*) Von älteren Publikationen darf wegen mangelnder Genauigkeit der Wiedergabe abgesehen werden. Eher scheint sie neuer-
dings bei den von Cledat veröffentlichten altchristlichen Fresken von Bäwit erreicht zu sein. Etwas besser steht es um die Mosaiken.
 
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