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jewska (Modjewska) ist, allerdings politisch verfolgt, einc große englische
Tragödin gewordcn. — Man wird antworten und sagen: sieke Skandk-
navien — 2bsen, Strindberg, Hamsun, Äiunch. Doch diese Gleichstellung
hinkt sehr. Man wird dann fortsahren und meinen: die polkttschen Ver-
hältniffe, Künstlerehrgetz nach tnternationaler Anerkennung und Ruhm,
Sucht nach Gewinn. Ia, gewiß, allerdings, zum Teil. Aber vor allen
Dingen dies: das national'Polnische laboriert an Jnzucht und steckt in
einem provinzialismus. Dieses provinzlertum treibt die Geister hinaus,
verscheucht sie, dergestalt, daß sie in die kleinen Verhältnisse zurückzukehren
sich scheuen. Daheim ein Adclsnest, altfränkisch, schmollend, so oder so —
eng. Und draußen lockt und klafft die wette, offne Welt.

*

Der im ungeduldigen Merben zürnende und drohende Napoleon rief
der Gräfin Maria Walewska zu, dieser kleinen blonden Frau, diesem
vaterlandschwärmerischen, knnerlich so stillen polnischen Kinde, das wie
nachtwandelnd, aber zäh seinen ungestümen Forderungen sich widersetzte:
die Polen wären leidenschastlich und leichtsinnig, alles bei ihnen -- 2ma-
gination, von System keine Spur. Jhre Begeisterllng, einem Augenblick
entsprungen, wäre vehement und lärmend. Sie verstünden es nicht, dtese
zu zügeln, noch sie zu erhalten. Und genau so wäre sie, die jöolin .Wa-
lcwska. Am Ziele seines Wunsches hat Napoleon selbst zur Genügc ern-
gesehn, welch bittres Unrecht er ihr angctan. Der außerhalb der ilawischen
!änder lern- und erfahrungsbegiertge Freinde, der kn der pölin ein an-
regungsreiches Geschöpf sieht, das seine ?ieugier anstachelt und über das
er dennoch den Stab brechen dürse, empfindet sie etwa so: voller Grazte
und Temperament. abenteurisch und von irgend einem Schncid ihrer Aaffe,
vergnügungssüchtig und vollgespickt mit Kaprkzen. Doch unrer den histo-
rischen polinnen findet man nicht eine etnzige, die dieser angenehmen
Schablone entspräche. All die Töchter )8olens, deren Namen und Schick-

sale erhalten geblieben, sind romanhafte Gestalten, romantische Naturen,
vom Geiste Lhopins und Mickkewiczens getragen, vom Fanatismus Ko-
sciuszkos angesacht. Beileibe kein Mannwetb, von einer Idee verfolgt und
diese verfolgend, kein Blaustrumpf, ketne kantige, verbohrte Rechthabertn.
Der patriotismus der polin tst nicht lärmend zänkisch, noch erpicht,- ihre
Baterlandsltebe ist schwärmertsch und von einenr verhaltenen Glühen.
Und sie selber, die polin, die sür dke 2dee ihrer Heimat lebende und
kämpfende Polin, hat jene Grazie des Blutes, die das Resultat ihrer Rasse
und der wirklich alten Kultur ist. Eine Reihe empfindsamer, rührender
und liebestarker Fkgurcn tauchen auf. Die leidenschaftliche junge Könkgtn
Iadwiga, dke, blutjung, aus ihre vehemente Liebe verzichten muß und als
Dulderin selbstlos und opferfreudig ihrem Bolke weiterlebt. Die vtelver--
solgte, viellieb.e Könkgin Barbara Radziwillöwna, Sygmunt Augustens'
zweite Gemahlin, die treu und wie somnambul ihr junges Leben aushauchen
muß. Eine uns ganz entrücktc Figur ist die Gräfin EmiliaPlater, eine zarte
Boticellische Erscheinung, die Heldin des Aufstandes vom 29. November
l8Z0,leidenschastlich und keusch, einefanatischeundphantastischeAmazonen-
figur, wkrbt und organisiert Regimentcr, feuertsie an, sührt sie immer wieder
ins Gefechl, wird verwundet. Und stirbt zuletzt, noch blühend jung, man
darf sagen, an gebrochenem Herzen um das Vaterland. Eine stille Heilige
war die schöngekstkge Gräfin Klaudina potocka, die menschltche Freundin
der Dichter, des Mkckkewicz und anderer. Selbst leidend und duldend eine
aufopfernde Krankenpflegerin, deren ganzen Zauber, Güte und Lkebreiz
man nur ahnen kann aus dem Wiederhall der Liebe, SchwÜrmerei und
Verehrung, die sic bei den Zeitgenossen ausgelöst hat. Und die Zahl solcher
edler Frauen aus der Geschichte polens ist üpptg.

Die Güte und der Zauber der Seele einer Frau stirbt mit 'thr und kst
nicht durch Berichte aus die Bachkommen zu erhalten wie die Taten und
Werke eines Mannes. Doch wenn dtese Werte der Batur eines Volkes
entspringen, so finden wir diese Schönheit zerstreut und, wenn auch zur
Schekdemünze verdünnt, allenthalben wieder.

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