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wenn man polnische Malerei, polnische sslaslik, polnische Musik kennt. Schon
weniger erstaunlich, wenn man von srüher her weiß: daß diese Kunft nur allzu
sehr von dem nationalen Geschick ihreS Volkes bestimmt und eingefangen wurde.
Der Verlust der polnlschen Unabhängigkett, die Klage deshalb, die vergeblichen
Anstrengungen dagegen und die Hoffnung auf Besreiung: sie haben die Ge-
müter - länger als ein Iahrhundert - fast ausschließlich beschäftigt, sie haben die
Ereignisse der großen Welt beinahe zu Eretgnissen einer andern Welt ferngerückt
und nur wie jenseits von Gitterstäben sichtbar werden laffen. Polnische Maler
kaben ntemals etwas anderes gemalt als die sentimentalen Szenen von Freiheitö-
kriegen, selbst dort, wo sie etwas anderes malten. (Was paradox klingt und doch
wahr ist.) polnische Dichter haben die Liebe zur Heimat besungen und ihre
Schilderung von Tokio tst immer etne Schilderung von Warschau gewesen.
Festhält sie das Unglück der Nation. Rückblick auf Tradition erbltndet sie für
Gegenwart. Wie sehr auch die jüngsten threr poeten (wie Tetmajer und Reich)
den Weg kn die Weite suchen: sie blciben immer noch an die Bedkngtheiten ihrcs
Landes gefesselr. Das benachbarte und so nahe Rußland, das eine neue Ver-
heißung deö Lhristentums und schon seit Gogol eine Sozialität von eminenter
Wucht geboren hat, ^ es konnte wohl die westlichen Staaten, es konnte die Kon-
tinente überwälttgen, - aber es blteb auf die jo nahe polnische Literatur beinahe
ohne Einfluß. Diese: nach
wie vor ist sie aristokratisch,
psychologisch-spielerisch,
ohne Vorwehen etnes sich
rapide näkernden neuen
Iahrhunderts.

Ganz anders die ostjü-
dkschen Erzähler, die das-
selbe Land ernährt, für die
aber andere Verhältnisse
geschaffen sind. Die Tei-
lung polens hat nur in ge-
ringerem Maße auf sie Ein-
fluß üben, hat niemals ihre
etgene Angelegenheit wer-
den können. Und so ist
auch die Ursache, jammernd
Traditionen nachzuhängen,
nicht da. Ihre Gegenwart
ist durchaus gegenwärtig.

Ihr Iammer durchauö
jammervoll erlebt. Und da-
her: ihre Kunst niemals
überliefert, niemals Kon-
vention des neunzehnten
Iahrhunderts, sondern stets
Ouell aus dem Heute.

Daß ich noch vor einem
Iahre nichts von der Exi-
ftenz ostjüdischer Erzähler
gewußt habe, gebe ich zu,
und so mag ihre jehige An-
pretsung anmaßend erschei-
nen. Aber sie seien ange-
priesen als das Veuland,
wahrscheinlich Beuland für
sast Alle, als die seltsam
dunkle und helle astatische
Insel in Europa. (Neben
den australischen Märchen, die uns Diederichs gegeben hat, die wundervoflstc
Bereicherung-der letzten Iahre.) Alexander Eliasberg hat in der Liebhaber-
bibllothek von Gustav Kiepenheuer einen Band herausgegeben, der I. L. perez,
Scholem Alejchem und Scholem Asch pereinigt. Man lese ihn und begreife:
Dlchter werden aus dem überschwelkendcn Reichium eines Volkes oder aus
seiner tiefsten Demütigung geboren. llnd dcr sanfarende Iubel der Tizianschen
Göttinnen reicht noch immer irgendwie diesem Scholem Alejchem die Ha»d.

. Otto Zoff.

Balkenverzierung

Das Feuer prasselt stärkrr — trommelt. Er hat ganz dicke Klöhc nackgelegt.
Ah...'

Daheim um Weihnachten! Die schiesen Zäune kleben auf dem Schnee,- die
welke Sommerlaube duckt sich frierend,- Spatzen futtcrn geschäftig aus dem ab-
gekehrten Tisch, wo Brosamen liegen und ratschen sich waö vor. Die dunkle,
dampfende Wärme der niederen Küche drückt an dle überlaufenen Fenster, daß
sie tropfen. Ktnder lärmen — watscheln um den phlegmattschcn Hund in der Ecke.
Und wohliges Feuer glüht im Ofen. Türen fiiegen zu. „Ah! Eine Kälte Vas!"
wenn wer hereinkommt. Behagllch sieht man hinaus. Wohlgeborgen in warmen
Häusern mit hochgiebeltgen, blinkenden Dächern, die rauchende Kamine krönen ...

— Soweit weg jeht, soweit! Liebe Mutter! Liebe Schwestern!

„--hört man denn bei Euch draußen nichts vom Frieden?" Ein

Brief. . .

Oktober erst und schuhttef Schnee. Aber doch schläft noch mattgoldne
Mittagssonne auf dem weißen Letntuch. Ein paar einsame Bäume greisen
kahl und ratlos tn die graue Unendlichkett, wie slehenve Hände. Herren-
lose Hunde stürmen um eine ausgehöhlte, versallene Scheune - durch, und
hinten hinaus. Ihr harter Aufbell schltht jäh durch dic weiche Luft. An cinem

steckengebliebencn Lastauko
werkt die Mannschaft und
einigeRussen. Legenvorne
Bretter unker, setzen Hebel
ein und würgen ein ge-
plagtes: „Zu—u —uglcich!
Zu—u—gleich!" inS wüh-
lende Surren des Motors.
Langsam und mühselig
kriecht, ganz weit hinten,
eine dampfende Train-
kolonne daher —

Ia so! Die Meldung!
Friede! Wenn jetzt auf
etnmal Frtede wäre — ganz
schnell!? Die großen Ta-
gesbläkterwürden rauschen:
„Fanfaren- und posaunen-
töne hallen durch die deut-
schen Gaue! Es ist ein
Sieg, wie nie — und
Friede!" Undalleprovinz-
blätter wären befrackt und
reckten neugierig die gan-
sigen Hälse — blähten sich
in khrem, fadenscheinig-
schwarzen Wichs: „Ia,
Deutschland". Glänzende
Zylinder zwängten sich
durch jubelnde Blechmusik
der dröhnenden Straßen,-
feistfette, ringbesetzte Finger
ft'ihren über den gewölbten
Bauch, bis zur dicken Uhr-
kette und tändelten damit.
LeichteFahnen und schwere
Girlanden an offenen Fen-
stern. — Und Lachen, La-
chen!...

Hohle, schwankende Geftalten gingen — jede durch eine sehnsüchttge Tür, dke
so — so lange ihrer wartete — totmüde — und fielen um. „Ia weil du nur wieder
da bift." Erlösend. Bankette bögen die blanken parkettböden der großen Säle.
— Nur irgendwo, ganz versteckt, vtelleicht in einer kalten Dachkammer, wo
Schmalhans Küchenmeister ist, würde wer, ganz brav, aber bedenklich sagcn:
„Unerforschlich sind des Schicksals Wege!" Oskar Graf-Bera.

Oeux ex

(Aus mcinem Kriegstagebuch)

ein Kochgeschirr ist wetß geworden — weiß unter der Rußkruste — vom
vielen Kochen. Und alle Tage: Kaffee, Reis und Konserven — Konserven,
Rets und Kaffee. Aber heute gibts Gulasch! . . .

Draußen ist Schnce und Krähen schreicn eintönig m den grauen, tkesen, endlosen
Himmel. Im Herde prasselt Feuer. Mein Kamerad steht dsrt, die Arme drüber-
haltend: „tzuh! Ist das eine Hundekälte!" Und lacht selbstzufrteden: „Ein schönes
Quartier ists doch. Wenn wir nur dcn ganzen Wtnter blieben." Kaum hör' ich
ihn. Ich schaue lange schon durchs Fenftcr: l.Irlaub! Weihnachten daheim!?...

Stille Welt

D» dieser „Stillen Welt", diesem letzten Vovellenbuch der Ebner-Eschenbach,
das bei paetel erschienen ist, leben nur stille Leute, reiche oder resigniertc
Leute, alte Leute. Alte Leute tun nicht mehr vtel,- sie beschauen das Leben,
sie bedenken es und manchmal erzählen sie. Das ist die Welt, tn der die späten
Bücher der Ebner-Eschenhach spielen. Eine Welt von wenigen Aktionen,
abcr von viel Nückschau. In diese Bücher kommt die Iugend nur mehr wie
der schöne, helle, tmmer wteder ersehnte Gegensah,- die Iugend trägt keinen
Schatten mit sich,- sie ist kampflos: ihre einzige Mission ist es, Licht zu
bringen, zu erfreuen, einsach das andere, das nicht mehr beseffene, das ewig

geliebke zu sein. (Fortsehung der Gloffen auf Sette 2Z)

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