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bleiben. Man beachte erstens elnmal, daß man im Dorfe wesentlich horizontal
baut -im Gegensah zur Stadt, wo man vertikal schichtet. Schon dies ist ein großer
Vorteil ln organischem Sinne. Denn auch unsere Erde breitet stch horizonkal aus,-
das, was auf ihr wächst, pslanze und Baum, steht zwar vertikal zu ihr, aber doch
so, daß es die Horizontalebene nicht ganz verliert, das hetßt, der Baum hat sein
horizontal sich ausbreitendes §aubdach und die Zweige und Blätter wachsen in
der Horizontalebene aus dem Baume heraus. So stehen auch die Dorfgehöfte
vertikal auf der Horizontalebene, aber nicht als Vertikalsäulen oder -Türme,
sondern als breite, niedrige, behäbige Gebäude, bei denen das Dach nur dazu da
zu setn scheint, die Berührung mit dem Erdboden von obenher wieder herzustellen
und zwischen First und Scholle die Verbindungsltnie zu finden. Dle vermit-
telnden llbergänge also find charakteristisch. Selbst der Kirchturm steht ntcht iso-
liert, sondern erhebt sich über der Bedachung des Kirchenschtffes und dte Bäume,
die die Kirche umstehen, vermitteln wiederum, einerseits zwlschen Kirche und Erd-
boden, und anderersetts zwischen
Kirche und Gehöften. Und bel den
Häusern sind esdieHöfeund Gärten
mit Stall und Zaun und Busch und
Staude, welche ein harmonisches,
buntbewegtes und doch wieder zu-
sammenschließendes Bild schaffen.

Jedes Haus hat also seinen Hof
und seinen Garten, ohne den es gar
nicht gedacht werden kann. Diese
Einheit von Garten, Hos und Haus
lst das Wesentliche und ist das, was
erst das Landschaftliche ermögllcht.

Ein städtisches Haus steht sremd-
artig auf der Erde, wie ein Kloh,-
ein Bauernhof sügt sich in die Land-
schaft ein und wird organisches Glied
der Erde.

Nun denke man demgegenüber
an Vorstadthäuser. Die Borstadt
ist das Gegenbeispielzum Dorf. Da
baut man mttten in den Acker oder
was noch schlimmer ist, an die
»Straße' ein vierstöcktges Haus,
so als ob an einem Baum plötzlich
statt Aste und Zwetge ein großes
Gewächs hervorwachsen wollte.

Diese Straße in der jetztgen Form
ist das eigentlich Krankhafte. Gtra-
ßen sind Verkehrswege und Trans-
portwege. Heute aber sind die Stra-
ßen zugleich Schau- und Fassaden-
straßen,- statt daß man die Häuser
auö ihren Bedürfnlssen herausbaut,
baut man sie als posamentenbesah
der Straße. So erhält man etwas,
was von seinem landschaftlichen
Milieu, von der Mutter Erde voll-
ständig losgelöst ist und seine ekel-
hafte steinerne Welt für sich bildet,
unorganisch, unästhetisch, unhygie-
ntsch, — seelenlos. Natürlich nur
Maschinenwärter, Drehstuhlschrekb-
menschen und Tütchenkrämer kön-
nen in einem solchen Milieu ge-
deihen, oder vielmehr vegetkeren.

Man beachte, wtr stnd nicht gegen
dte Stadt an sich, aber gegen die
unorganisch, krebsartig wuchernde,

Kampf

regellos und unharmonisch zusammen-

gestoppelte und ausgehackte Großstadt.

Wo man aber nun heute in der Stadt oder tn der Vorstadt ekn Haus mit
Garten anlegt, bestrebt man sich nicht, eine Einheit von beiden herzustellen und
den Zusammenschluß mtt dem Boden, mit der Umgebung zu suchen, sondern man
behandelt das Haus für sich und den Garten für stch und den Bauplan sür stch
und kümmert sich recht wentg um daS, was Nachbar ist. Das ist es, was ich
unorganlscheAuffassung nenne, während dle organische Hausund Garten als
Ginheit nlmmt und Landschaft daraus macht. Auch hier wieder ist eine
Bedingung, daß man wenlger verttkal schichtet, als horizontal ausladet, daß man
eintgermaßen niederdeutsch ln die Breite baut, die Stuben und Kammern neben-
einanderlegt, nicht überetnander, und zwar nun sie in Gruppen ordnet, deren jede
einen „Flügel" sür sich erhält. 2ch habe lange gesucht, ob es Architekten gibt, dte
heute schon so bauen, und ich bln glücklich, sagen zu können, daß ich einen gefunden
habe, der meinem 2deal ziemlich nahe kommt — das tst Mr. Wilson Eyre von
phlladelphia. Er baut seine Villen nicht wie Vogelbauer oder Heuschober, son-
dern wte Bauerngehöfte, er gruppiert die Räume nebeneinander und nimmt als
Grundrlßform weder ein Ouadrat noch eln Rechteck, sondern belspkelsweise drei

ungleiche in rechten Winkeln oder stumpsen Winkeln aneinandergesetzte Rechtecke,
so daß das Ganze wie ein Dorf sür sich ausschaut. 2n pergolen, Arkaden, Vor-
bauten, Terrassen und Treppen läßt er das Architektonische in das Landschaftliche
übergehen und erreicht tn gewollter Absicht eine Einheit von Hof und Landschaft.
Wohlverstanden, von einem Haus kann man hier nicht mehr sprechen, denn das
etgentliche Haus ist von Garten und Landschaft gar nicht zu trennen. Nur die sehr
bedeutende Frage der Himmelsrichtung beachtet Eyre zu wenig. Dagegen ersüllt
er eine andere von mir gelegentlich schon erhobene Forderung, daß er die Zimmer
einseitig, nicht zweiseitig anordnet, daß sich also auf der eknen Seite die Zimmer,
aus der anderen derFlur oder Wirtschaftsräume oder einepergola befinden. Man
kann hterin sogar soweit gehen, daß man eknzelne Räume, z. B. an den äußeren
Flügelspihen der Gebäude, durch den ganzen Grundriß sührt, so daß sie an drei
Seiten Fenster haben und den Raum des Gebäudeflügels ausfüllen.

Um aber nun auf den so wichtigcn Garten zurückzukommen, so ist ekne gewiffe

Unregelmäßigkelt des Bodens nicht
minder wie des Hausgrundrisses un-
erläßlich. Auf eknem vollkommen
ebenen Gelände läßt sich viel schwe-
rer eine malerische landschaftltche
Architektur herstellen, als auf einem
unregelmäßigen, hügeltgen oder wel-
ligen Gelände. Die Architekten des
19. Zahrhunderts, besonders die
Städtebaumeister dieser Zeit, woll-
ten ftellich davon nlchts wissen und
die erste Arbeit, die sie vollbrachten,
war die, daß ste planterten. Aber
wiederum bildet das ein Beispiel,
wie die malertschsten Anlagen nur
auf hügeligem Terrain möglich sind.
Und so haben auch die Ärchttekten
der italienischen Renaissance ge-
dacht. Burgen legt man ja tn der
ganzen Welt gern auf Bergkuppeln
und -vorsprüngen an, Dörfer gern
an Bergabhängen, womöglich in
Bergmulden,- in2talien findet man
aber ganze Städte auf hügeligem
Terrain angelegt, wie z. B. die
Stadt Siena, die auf einem sieben-
fach stch auszweigenden Berg-
rücken liegt.

2st also ein ebenes Terrain ge-
geben, so darf man Mühe und
Kosten nicht scheuen, wenigstens eine
bescheidene Bewegung des Bodens
hervorzurufen und auf diese Wekse
Leben und Abweckslung in das
Einerlei des ebenen Bodens zu
bringen. Wie im einzelnen die Ge-
staltung des Bodens zu erfolgen hat,
hängt von individuellen Dingen ab,
vor allem von der näheren und wei-
terenUmgebung. Oberster Gesichts-
punkt muß eben auch hier sein, dte
Einheit mit der engeren und ent-
fernteren Umgebung zu suchen und
herzustellen und eine harmontsche
Gesamtwirkung zu errekchen. 2n
N.'ittnor den meisten Fällen wkrd das eigent-
" ^ liche Haus etwas erhöht ltegen und
die angrenzenden Gehöfte werden
den Ubergang nach dem tieferen Gelände bilden, oder diese werden sich nach den
Flügeln zu anschließen, während in der Hauptftont der Nbergang vom Landhaus
zur Landschaft durch Terrassen und pergolen erzielt wird. Namentlich Terrassen
anlagen und hängende Gärten sind etwas, was meist vergessen wird und doch sehr
wirkungsvoll und dankbar und für den vo.-stehenden Gesichtspunkt besonders
schähenswert ist, well aus diese Weise der Zusammenschluß des Ärchttektonischen
und Landschaftlich-Gärtnerischen erreicht wird. Denn dies ist eben das Wichttgste,
die Einheit von Garten und Haus, die in der „Landschaft" zusammenschließt.
Die Fassadenstraßen aber wolle man ebenso in der Vorstadt wie in der Billen-
stadt verlassen: die Front gehört nach dem Garten, nicht nach der Straße, mit der
wir doch als Bewohner in unserm Heim gar nichts zu tun haben — nach der
Straße zu liegen nur die Wtrtschaftsräume, Trrppen, Aufzüge und derglelchen.
Nur der, der etwas zu verkaufen hat, mag mit der Front nach der Straße bauen...

Meine Herren Ärchitekten und Baulustigen, verachtet mir dle Dörfer ntcht I
Ste können uns archktektonisch wieder gesund machen und uns die landschastliche
Einheit von Garten und Haus lehren. Or. Heinrich pudor.

Nottz: Welß (Tttelblatt) und Lendecke (Schlußblatt).

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