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WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN

Lande eigen geworden, und durch sie wird der gute
Geschmack allgemein.

Es ist ein ewiges Denkmal der Größe dieses Mon-
archen, daß zur Bildung des guten Geschmacks die
größten Schätze aus Italien, und was sonst Vollkom-
menes in der Malerei in andern Ländern hervorge-
bracht worden, vor den Augen aller Welt aufge-
stellt sind. Sein Eifer, die Künste zu verewigen, hat
endlich nicht geruht, bis wahrhafte untrügliche Werke
griechischer Meister, und zwar vom ersten Range, den
Künstlern zur Nachahmung gegeben worden sind.
Die reinsten Quellen der Kunst sind geöffnet: glück-
lich ist, wer sie findet und schmeckt. Diese Quellen
suchen, heißt nach Athen reisen; und Dresden wird
nunmehr Athen für Künstler.

Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es mög-
lich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachah-
mung der Alten, und was jemand vom Homer ge-
sagt, daß derjenige ihn bewundern lernt, der ihn wohl
verstehen gelernt, gilt auch von den Kunstwerken
der Alten, sonderlich der Griechen. Man muß mit
ihnen, wie mit seinem Freunde, bekannt geworden
sein, um den Laokoon ebenso unnachahmlich als
den Homer zu finden. In solcher genauen Bekannt-
schaft wird man, wie Nikomachus von der Helena
des Zeuxis, urteilen: „Nimm meine Augen," sagte
er zu einem Unwissenden, der das Bild tadeln wollte,
„so wird sie dir eine Göttin scheinen."
Mit diesem Auge haben Michelangelo, Raffael und
Poussin die Werke der Alten angesehen. Sie haben
den guten Geschmack aus seiner Quelle geschöpft, und

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