WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN
sammeln und allgemeiner machen. Es ist ein Weg,
Wochen- und Monatschriften sonderlich unter Künst-
lern beliebt zu machen: ein Beitrag von guten alle-
gorischen Bildern würde dieses bewirken. Wenn die
Schätze der Gelehrsamkeit der Kunst zufließen, so
könnte die Zeit erscheinen, daß der Maler eine Ode
ebensogut wie eine Tragödie schildern würde.
Die beiden größten Werke der allegorischen Malerei,
die ich in meiner Schrift angeführt habe, nämlich
die luxemburgische Galerie und die Cuppola der
Kaiserlichen Bibliothek zu Wien, können zeigen,
wie ihre Meister die Allegorie glücklich und dich-
terisch angewendet haben.
Nach dergleichen großen Beispielen wird es den-
noch der Allegorie in der Malerei nicht an Gegnern
fehlen, wie es der Allegorie im Homer schon im
Altertume ergangen ist. Es gibt Leute von so zärt-
lichem Gewissen, daß sie die Fabel, neben die Wahr-
heitgestellt, nicht ertragen können. Eine einzige Figur
eines Flusses auf einem sogenannten heiligen Vor-
wurfe ist vermögend, ihnen Ärgernis zugeben. Pous-
sin wurde getadelt, weil er, auf seiner Findung Moses,
den Nil persönlich gemacht hatte. Eine noch stärkere
Partei hat sich wider die Deutlichkeit der Allegorie
erklärt; und in diesem Punkte hat Lebrun ungeneigte
Richter gefunden und findet sie noch jetzt. Aber
wer weiß nicht, daß Zeit und Verhältnis meistenteils
Deutlichkeit und das Gegenteil zu machen pflegt?
Da Phidias seiner Venus zuerst eine Schildkröte zu-
gegeben, waren vielleicht wenige von der Absicht
des Künstlers unterrichtet, und derjenige, welcher
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sammeln und allgemeiner machen. Es ist ein Weg,
Wochen- und Monatschriften sonderlich unter Künst-
lern beliebt zu machen: ein Beitrag von guten alle-
gorischen Bildern würde dieses bewirken. Wenn die
Schätze der Gelehrsamkeit der Kunst zufließen, so
könnte die Zeit erscheinen, daß der Maler eine Ode
ebensogut wie eine Tragödie schildern würde.
Die beiden größten Werke der allegorischen Malerei,
die ich in meiner Schrift angeführt habe, nämlich
die luxemburgische Galerie und die Cuppola der
Kaiserlichen Bibliothek zu Wien, können zeigen,
wie ihre Meister die Allegorie glücklich und dich-
terisch angewendet haben.
Nach dergleichen großen Beispielen wird es den-
noch der Allegorie in der Malerei nicht an Gegnern
fehlen, wie es der Allegorie im Homer schon im
Altertume ergangen ist. Es gibt Leute von so zärt-
lichem Gewissen, daß sie die Fabel, neben die Wahr-
heitgestellt, nicht ertragen können. Eine einzige Figur
eines Flusses auf einem sogenannten heiligen Vor-
wurfe ist vermögend, ihnen Ärgernis zugeben. Pous-
sin wurde getadelt, weil er, auf seiner Findung Moses,
den Nil persönlich gemacht hatte. Eine noch stärkere
Partei hat sich wider die Deutlichkeit der Allegorie
erklärt; und in diesem Punkte hat Lebrun ungeneigte
Richter gefunden und findet sie noch jetzt. Aber
wer weiß nicht, daß Zeit und Verhältnis meistenteils
Deutlichkeit und das Gegenteil zu machen pflegt?
Da Phidias seiner Venus zuerst eine Schildkröte zu-
gegeben, waren vielleicht wenige von der Absicht
des Künstlers unterrichtet, und derjenige, welcher
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