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WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN

erteiltfnur die Ankündigung Fähigkeit zu der-
selben. Sie bildet sich durch Erziehung und Über-
legung und kann zur Natur werden, welche dazu
geschaffen ist.,. Sie ist ferne vom Zwange und ge-
suchten Witze, aBj^r es erfordert Aufmerksamkeit
und Fleiß, die Natur in allen Handlungen, [wo sie
sich nach eines jeden Talent zu zeigen hat] auf den
rechten Grad der Leichtigkeit zu erheben.; In der
Einfalt und in der Stille der Seele wirkt sie und
wird durch ein wildes Feuer und in aufgebrachten
Neigungen verdunkeltj Aller Menschen Tun und
Handeln wird durch dieselbe angenehm, und in einem
schönen Körper herrscht sie mit großer Gewalt. Xeno-
phon war mit derselben begabt,Thukydides aber hat
sie nicht gesucht] In ihr bestand der Vorzug des
Apelles und in neueren Zeiten des Correggio, und
Michelangelo hat sie nicht erlangt. Uber die Werke
des Altertums aber hat sie sich allgemein ergossen und
ist auch in dem Mittelmäßigen zu erkennen.
Die Kenntnis und Beurteilung der Grazie am Men-
schen und in der Nachahmung desselben an Statuen
und auf Gemälden scheint verschieden zu sein, weil
vielen hier dasjenige nicht anstößig ist, was ihnen
im Leben mißfallen würde. Diese Verschieden-
heit der Empfindung liegt entweder in der Eigen-
schaft der Nachahmung überhaupt, welche desto
mehr rührt, je fremder sie ist als das Nachgeahmte,
oder mehr an ungeübten Sinnen und am Mangel
öfterer Betrachtung und gründlicher Vergleichung
der Werke der Kunst. Denn was bei Aufklärung
des Verstandes und bei Vorteilen der Erziehung

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